Beckstein 15 Jahre nach "Mehmet":"Es ging darum, ein Exempel zu statuieren"

Günther Beckstein, 2010

Günther Beckstein (hier auf einem Bild aus dem Jahr 2010): "Großzügig gegenüber denjenigen, die sich integrieren und hart zu denen, die das nicht tun."

(Foto: Stephan Rumpf)

Als bayerischer Innenminister hat Günther Beckstein den 14-jährigen Muhlis Arı in die Türkei abgeschoben und wurde dafür heftig kritisiert. Doch auch 15 Jahre später ist der bekennende Christ mit seiner Entscheidung im Reinen. Im Interview erklärt er die "Muhlis-Delle" in der Kriminalstatistik, spricht über den Doppelpass für Türken und sein Image als Hardliner.

Von Philipp Alvares de Souza Soares und Theresa Authaler

"Mechmet" - Günther Beckstein sitzt in der Gaststätte des bayerischen Landtags und bemüht sich, den Kunstnamen von Muhlis Ari so türkisch wie möglich auszusprechen. Er hatte den damals 14-Jährigen Straftäter vor 15 Jahren ohne seine Eltern in die Türkei abgeschoben.

Aber das ist lange her. Beckstein will zeigen, dass er mit der Türkei eng verbunden ist. Wüsste man es nicht besser, würde man in diesem charmanten, älteren Herrn niemals den harten Hund erkennen, der er früher war. Wenn er von seiner Zeit als bayerischer Innenminister erzählt, spricht er von sich in der dritten Person: Was "der Beckstein" damals gemacht hat, findet er heute noch immer ziemlich gut.

SZ.de: Herr Beckstein, im Jahr 2010 haben Sie den deutsch-türkischen Freundschaftspreis bekommen. Hat Sie das stolz gemacht?

Günther Beckstein: Natürlich, das war eine der wichtigsten Auszeichnungen für mich. Ich war ja immer ein Hardliner in der Ausländerpolitik. Das weiß jeder, auch jeder Türke. Der Preis macht deutlich, was ich wirklich wollte. Der Beckstein ist kein Türkenfeind, sondern ich bin sehr für Integration.

Cihan Sendan, der damals in der Jury saß. Er hat sie sehr gelobt, aber eine Sache nimmt er Ihnen noch immer übel: Die Abschiebung von Muhlis Ari, alias Mehmet.

Ja, die Maßnahme war damals in Deutschland hoch umstritten, übrigens auch in der Türkei. Viele Türken haben sich gefragt: Was passiert, wenn mein Kind mal etwas anstellt? Mein Credo war: Großzügig gegenüber denjenigen, die sich integrieren und hart zu denen, die das nicht tun.

Viele Menschen haben das Vorgehen gegen Muhlis Arı damals als Kampagne wahrgenommen. Mehmet wurde zur Projektionsfläche für die Angst vor kriminellen Einwanderern.

Mir war von Anfang an bewusst, dass die Abschiebung die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit findet. Und das war durchaus beabsichtigt. Mehmet war ja kein Einzelfall. Wir hatten damals mit jugendlichen Mehrfachtätern aus dem Integrationsmilieu ein erhebliches Problem. Deshalb ging es auch darum, ein Exempel zu statuieren.

Wie meinen Sie das?

Die Abschiebung war eine generalpräventive Maßnahme. Und die hat gewirkt, wir hatten die sogenannte Muhlis-Delle in der Kriminalstatistik. Die Zahlen weisen nach, dass danach in ganz München die Straftaten von jugendlichen Intensivtätern drastisch nach unten gegangen sind. Aber dass es dann eine derartige Kampagne geworden ist, dass zum Beispiel bei der Abschiebung eine zweite Chartermaschine mit Journalisten mitgeflogen ist, das war nicht vorherzusehen. Und auch nicht beabsichtigt.

"Herrschaftszeiten!" Becksteins iPhone piept. Eine SMS von der islamischen Gülen-Bewegung. Im CSU-Hausblatt Bayernkurier ist ein negativer Artikel über sie erschienen. Beckstein zitiert aus der SMS: "Wir fühlen uns als CSU-Mitglieder sehr verletzt. Was würden Sie uns raten?" Er schaut von seinem Handy auf. Er ist stolz, gefragt zu werden. Er, der Türkenfreund. "Die CSU hat nicht immer so viel Wert auf die Türkei gelegt wie ich", sagt Beckstein und grinst.

Sie sind evangelischer Christ, bekennen sich in der Öffentlichkeit immer wieder zu Ihrem Glauben. Hatten Sie kein Problem damit, einen 14-jährigen Jungen abzuschieben? Er war ja ganz allein in der Türkei, ohne seine Eltern und seine Brüder.

In der Kirche haben wir darüber natürlich furchtbar gestritten. Aber es kann doch auch kein Christ ernsthaft sagen: Jetzt sperren wir den 18 Monate ein, wenn wir wissen, dass er danach die nächste Serie von Straftaten begeht. Das war für jeden klar, dass der ein Berufskrimineller wird.

Aber er hätte seine Strafe ja nach Recht und Gesetz in Deutschland verbüßen können.

Das ändert ja nichts. Nur, weil jemand 18 Monate einsitzt, wird er nicht zu einem lammfrommen Menschen.

Also glauben Sie nicht daran, dass Gefängnisstrafen sinnvoll sind?

Doch, in manchen Fällen schon. Nur hätte man das bei Mehmet viel früher machen müssen. Aber das ging ja nicht, weil er so jung war. Man hätte sich mit seinen Eltern zusammensetzen und sie unterstützen müssen.

In der Türkei hat Nationalismus eine ganz andere Dimension

Sie hätten Mehmet nicht abschieben dürfen, wenn er die doppelte Staatsbürgerschaft gehabt hätte. Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoğan fordert immer wieder den Doppelpass für Türken, die in Deutschland leben. Was halten Sie davon?

Davon halte ich nichts. Insbesondere im türkischen Milieu ist klar, was die herrschende und was die dienende Staatsbürgerschaft ist.

Wie meinen Sie das?

In der Türkei hat Nationalismus eine ganz andere Dimension als bei uns. Ein Türke muss, auch wenn er zwei Pässe hat, zur Wehrpflicht in die Türkei. Wenn jemand die türkische Staatsangehörigkeit hat, erwartet die Türkei, dass er uneingeschränkt den türkischen Gesetzen unterworfen ist. Denen ist völlig wurscht, ob jemand noch eine andere Staatsangehörigkeit hat.

Viele Einwanderer aus anderen Ländern haben doch schon einen Doppelpass.

Bei vielen Ländern ist das auch unproblematisch. In der EU wollen wir sowieso eine einheitliche Staatsbürgerschaft. Aber was wäre die Wirkung von einer doppelten Staatsangehörigkeit für die Türken? Ich sage, sie würden sich weniger integrieren.

Die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien ist zur Zeit ein großes Thema. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat gesagt, dass sie unser Land verlassen müssten, wenn sie sich nur an unseren Sozialkassen bedienen. Schüren solche Äußerungen nicht bloß Ressentiments in der Bevölkerung?

Da muss man natürlich aufpassen. Aber manchmal ist es besser, wenn Politiker die Dinge klar ansprechen. Der Friedrich wollte ursprünglich jemand sein, der sehr differenziert redet. Aber im Laufe der Zeit wurde das schwierig für ihn. Der dunkelt nach, sag ich mal.

1998 gab es dieses Plakat von den Grünen, auf dem stand: "Beckstein würde sogar Jesus abschieben." Wie ging es Ihnen damit?

Das Plakat halte ich auch heute noch für eine ganz große menschliche Gemeinheit. Es ist die Aufgabe eines Innenministers, Recht und Gesetz durchzusetzen, denn wenn das unterbleibt, verlieren die Gesetze ihre Wirkung. Ich wollte Spitze in der Sicherheit werden, auch mit harten Maßnahmen.

Welche Rolle spielt die öffentliche Meinung für Sie? Ist es wichtig, dass man dem Volk vermittelt, dass man macht, was es will, oder waren Sie davon unabhängig?

Natürlich nicht, das Volk ist in der Demokratie ein wichtiger Faktor. Deswegen war es eine ganz wichtige, vom Volk indizierte Haltung des Beckstein: Wir wollen weniger Zuwanderung und mehr Integration. Das war 1998 mein Slogan. Einmal habe ich gesagt: Wir brauchen mehr Menschen, die uns nutzen, als solche, die uns ausnutzen. Da hat mich aber der Landesbischof fürchterlich in die Pfanne gehauen.

Würden Sie das heute noch genauso sagen?

Nein, ich habe den Satz dann auch nicht mehr ohne Erläuterung gebraucht. Das kann schnell falsch verstanden werden. Aber die Grundüberlegung ist schon richtig: Wir können über das Ausländerrecht, das Sozialrecht, nicht das Sozialamt der Welt sein. Wir wollen Asyl für die wirklich Verfolgten. Wir wollen Zuwanderung von Menschen haben, die sich bei uns auch integrieren können.

Was wäre denn heute Ihr Slogan, im Jahr 2013?

Zuwanderung stärker steuern und Integration verstärken.

Das klingt nicht mehr so griffig. Auf ein Plakat würden Sie das sicher nicht schreiben.

Das ist die große Schwierigkeit. In dem Moment, indem Sie griffig werden, wird es gefährlich. Griffig heißt halt: Bildzeitungsüberschrift. Ich habe immer das Motto gehabt: Differenziert denken, eindeutig reden. Die Leute müssen wissen, was der will.

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