Bayreuther Festspiele:Wenn der Mythos wankt

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Ein Bassbariton tritt wegen Nazi-Tattoos zurück und der Chef der Bayerischen Staatsoper wirft der Wagner-Familie Verlogenheit vor - eigentlich könnte man meinen, in Bayreuth ist soeben der größte anzunehmende Unfall eingetreten. Dem ist aber nicht so. Die Festspielleiterinnen haben viel größere Probleme.

Olaf Przybilla

Wenn einem Festspielhaus vier Tage vor der Premiere und keine zehn Stunden vor der Generalprobe der Protagonist des "Fliegenden Holländer" abhandenkommt, wie das in Bayreuth soeben geschehen ist. Wenn es plötzlich um Nazi-Symbole geht, auf einem ehemals tiefbraun kontaminierten Boden. Wenn sich ein Haus zudem mit dem Vorwurf der Verlogenheit konfrontiert sieht, und wenn dieser Vorwurf von keinem Geringeren stammt als dem Leiter der Bayerischen Staatsoper, Nikolaus Bachler.

Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier kämpfen an allen Fronten, um die Bayreuther Festspiele wieder zum Erfolg zu führen. (Foto: dpa)

Wenn also all dies geschieht, dann sollte man meinen, dass an einem Haus wie dem in Bayreuth vermutlich soeben der größte anzunehmende Unfall eingetreten ist, zumindest in der noch jungen Ära der beiden Festspielleiterinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier.

Dem aber ist nicht so. Die innere Krise des Hauses, die den beiden Leiterinnen deutlich mehr zu schaffen macht, konnte man in der letzten Festspielsaison viel klarer besichtigen. Und dieser tatsächlich größte anzunehmende Unfall war keineswegs so knallig, wie nun die Tätowierungen auf der Brust des Evgeny Nikitin - er war einfach nur miefig.

Wer 2011, im fünften Jahr der "Meistersinger von Nürnberg", den Kopf in den Zuschauerraum wendete, der durfte sich in einem durchschnittlichen Stadttheater wähnen. Einem außerordentlich großen zwar, aber eben einem, in dem an heißen Tagen die Reihen gerne mal ausgedünnt sind. Man muss sich das vorstellen: Da inszeniert die Chefin des Hauses, Katharina Wagner, das historisch wohl heikelste Werk ihres Urgroßvaters, der Grüne Hügel müsste nun bersten. Am Ende aber bleiben die Sitze leer.

Unter Wolfgang Wagner registrierten sie am Festspielhaus mindestens zehn Anfragen pro Ticket. Inzwischen sind es pro Karte höchstens noch sechs Anfragen. Wenn dieser Trend so weiterginge, dann wäre das nicht weniger als das Ende eines Mythos. Denn dieser wird nur so lange leben, wie das Haus in Bayreuth - das mit Bedacht an nur fünf Wochen im Jahr geöffnet ist - eine Schimäre bleibt, ein Sehnsuchtsort, den nicht jeder erreichen kann, einfach so. Das ist die wahre Sorge der jungen Wagner. Nicht der nächste Nazi-Skandal.

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War der Eklat um Nikitin möglicherweise eiskalt kalkuliert? So weit muss man nicht gehen, denn die Tätowierungen des Bassbaritons aus Russland sind zwar in der Tat gut dokumentiert. Das Dechiffrieren von Runen auf der Haut eines Sängers aber muss man nicht zwangsläufig zum Handwerkszeug einer Festspielchefin rechnen. Natürlich aber war Nikitin Teil eines Programms - Teil des neuen Bayreuths, mit dem sich Katharina Wagner in die Geschichte der Festspiele einschreiben will.

Daran, an der Verwirklichung ihres Programms, muss sie sich messen lassen. Ihre Zwischenbilanz sieht nicht eben prächtig aus: Die Festspielnacht, ihr großes "Wagner für alle", musste eingestellt werden. Zu schlicht war das Schotterplatz-Ambiente in der Stadt, zu sehr glich die Veranstaltung gelegentlich einer fränkisch-karibischen Klassikkirchweih, der Hauptsponsor sprang ab.

Ihre Oper für Kinder hat Wagner zwar ins Leben gerufen, ursprünglich aber sollten die Wagner-Werke für den Nachwuchs auf einer neuen, in der Tat notwendigen Probebühne zu sehen sein. Davon ist der Hügel derzeit weiter entfernt als Nikitin von einem Bayreuther Engagement als neuer Siegfried.

Das liegt beileibe nicht nur an Katharina Wagner, und doch trug der kaum bemäntelte Zoff zwischen ihr und den finanzkräftigen Freunden der Bayreuther Festspiele - "Kommunikationsprobleme" ist inzwischen die gemeinsame Lesart - einen erheblichen Teil dazu bei, dass das Projekt nicht vorankommt.

Ganz ähnlich ist es mit dem Festspielhaus: Dort regnet es durchs Dach, ab und zu fallen Brocken aus der Fassade, die Orchestermusiker mussten den "Holländer" auch in dieser Saison im wenig charmanten Ambiente des Festspielhaus-Restaurants üben. Es geht kaum etwas voran, in Bayreuth.

Hinzu kommen die hausgemachten Probleme, die Kräfte am Hügel binden. Gewiss, vieles sind Altlasten, mit denen man sich herumschlagen muss. Dass die Staatsanwaltschaft monatelang am Haus ermittelte, war eine Folge der dubiosen Kartenvergabe an einem ehemals patriarchalisch geführten Haus. Dass die Gewerkschaften 2009 mit einem Premiere-Boykott kokettierten, war Folge einer Hausvaterkultur, die in vergangenen Zeiten archaische Züge trug. Und dass die Gewerkschaften in dieser Saison erstmals - gegen den einst erklärten Willen Wolfgang Wagners - keine Karten mehr an bayerische Betriebsräte verteilen dürfen, war die Konsequenz einer kaum zu überblickenden Abfolge von Rügen der Rechnungshöfe: Mehr Karten in den freien Verkauf, lautet ihre Forderung.

Unter dem Strich bleibt der Eindruck einer schier endlosen Reihe von Skandalen und Skandälchen am Hügel. Katharina Wagners Vertrag endet 2015. Bis dahin wird sie versuchen müssen, diesen Eindruck zu korrigieren.

© SZ vom 25.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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