22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen hätten laut einer repräsentativen Befragung für die Studie „Jugend in Deutschland 2024“ im vergangenen Jahr für die AfD gestimmt. Bei der Bundestagswahl im Februar sah das Ganze ähnlich aus: Bei den 18- bis 24-Jährigen war die Partei zweitstärkste, bei den 25- bis 34-Jährigen sogar stärkste Kraft. Ähnliches beobachteten zwei Lehrer auch am Christian-Ernestinum-Gymnasium in Bayreuth. „Auch in der Schule haben wir einen Rechtsruck wahrgenommen und uns dahingehend Sorgen gemacht“, so Tina Bergen, Lehrerin für Geschichte und Marc Brückner, Lehrer für Wirtschaft und Recht.
Gemeinsam mit seiner damaligen Kollegin Tina Bergen, die mittlerweile am Franz Ludwig-Gymnasium in Bamberg unterrichtet, hat er ein mehrwöchiges Unterrichtsprojekt auf die Beine gestellt. Und genau dafür erhielten sie am Montag den ersten Preis des Deutschen Lehrkräftepreises in der Kategorie „Unterricht innovativ“. Das Projekt handelte vom Thema Migration, sowohl historisch gedacht als auch wirtschaftlich und habe damit auch genau in die Lebenswelt der Jugendlichen gespielt, wie die beiden Lehrer erklären.

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Hintergrund sei allerdings nicht nur die Juniorwahl und der Lehrplan gewesen. „Fächerübergreifender Unterricht bringt die Kinder weiter voran“, so Marc Brückner. Tina Bergen benennt noch einen weiteren Aspekt. Der Unterricht in der Mittel- und Oberstufe sei teils sehr überfrachtet. Nachdem die Schüler beispielsweise sechs Fächer pro Tag hatten, müssten sie eigentlich zu Hause auch noch weiter lernen und Hausaufgaben machen. „Wir hatten ein bisschen Hoffnung, das Schulsystem zu ändern“, erklärt die Lehrerin. Denn die Kinder sollten nach den Unterrichtsstunden für die Woche in ihrer Freizeit nichts mehr für den kombinierten Unterricht der beiden Fächer tun müssen.
Doch wie genau lief die etwas andere Form des Unterrichts und damit auch die Benotung ab? Zunächst habe es noch einige getrennte Unterrichtsstunden in Geschichte und Wirtschaft gegeben. So hätten alle Schüler ein Grundwissen gehabt, erklärt Brückner. Anschließend hätte jede Gruppe jeweils aus drei Ausgangs- und drei Endszenarien wählen können. Beispielsweise verschiedene historische Migrationsbewegungen wie aus Italien, aber auch die Arbeitsmigration der BRD von 1950 bis 1970. Den Schülern habe es also freigestanden, mit welchen der Themenbereiche sie sich beschäftigen und zu welchem Bereich sie etwas erarbeiten wollten.
Und auch die abschließende Prüfungsform durften die Schüler selbst wählen. Zur Auswahl hätte ein Zeitzeugeninterview, ein fiktives Hörspiel und das Erstellen eines Brettspiels gestanden. Von der Wahl der Kinder seien beide Lehrer überrascht gewesen, wie Tina Bergen erläutert. Da viele der Schüler selbst migrantische Wurzeln hätten, sei ihre Erwartung gewesen, dass sich die meisten deshalb für das Interview entscheiden. Letztlich habe das allerdings keine Gruppe gewählt. Bei dem Brettspiel sei die Vermutung gewesen, dass sich niemand dafür entscheidet. Wer mag in diesem Alter schon basteln? Stellte sich heraus: so einige. Es war die beliebteste Aufgabe.
Da es sich bei bei den Fächern am Christian-Ernestinum-Gymnasium in der elften Jahrgangsstufe um Nebenfächer handelt, ersetzte sowohl das Hörspiel als auch das Brettspiel die Ex. Auch für die mündlichen Noten musste allerdings gesorgt werden. „Wir haben die Kinder bei der Benotung mit ins Boot geholt“, sagt Marc Brückner. Mit einem Fragebogen konnten die Schüler die Mitarbeit ihrer Teammitglieder bewerten. Doch auch ihre eigene Leistung sollten sie dort einschätzen. Und genau dieses Feedback nahmen sich Tina Bergen und Marc Brückner bei ihrer Bewertung zu Herzen. Schließlich könnten sie, wenn sie mit den Gruppen reden oder mal schauen, was sie in dem Moment arbeiten, nicht sehen, wie es in der restlichen Zeit funktioniere. Habe es mal eine sehr große Diskrepanz zwischen ihrer Bewertung und der der Schüler gegeben, hätten sie dann das Gespräch gesucht, um herauszufinden, woran das lag.
„Selbst in den Freundesgruppen kam es zu Reibereien. So konnten die Schüler sehen, wie es in der Berufswelt ist und haben gelernt, sich in solchen Teamarbeiten zu behaupten“, sagt Tina Bergen. Insgesamt sei die Benotung, so nahmen es die Lehrer wahr, sehr transparent und fair gewesen. Denn nur weil die Jugendlichen miteinander befreundet sind, hätten sie sich nicht automatisch die beste Bewertung gegeben.
Am Ende des Projekts sahen die Zukunftsszenarien, die sich die Schüler selbst überlegen sollten, übrigens nicht allzu rosig aus. Einige der Jugendlichen überlegten, was passieren könnte, wenn bestimmte Parteien an die Macht kämen. Wie sähe dann die Zukunft ihrer teils fiktiven Charaktere mit Migrationshintergrund aus, wie gehe es für sie weiter? „Manche Gruppen haben sogar einen Wechsel des Planeten vorgeschlagen“, so Brückner. Auch Tina Bergen kann bestätigen, dass beinahe jede Gruppe beziehungsweise die fiktiven Personen Angst hatten, Deutschland in ihrem Szenario verlassen zu müssen. Die Problematik sei den Schülern also durchaus bewusst geworden.
Die Lehrerin, die wie ein Sorgenfresser für Schüler ist
„Ich glaube, bei dem Großteil der Schülerinnen und Schüler ist uns die demokratische Erziehung gelungen“, resümiert die Geschichtslehrerin. Leider hätte das in dem Punkt der fächerübergreifenden Verbindung nicht funktioniert. „Wir hatten die Hoffnung, dass die Schüler die Zusammenhänge selbständig erkennen“, sagt Bergen. Bei den anfänglichen Einzelstunden hätten die Schüler beispielsweise eine Karte mit historischen Migrationsbewegungen bearbeitet. Dieselbe Karte sollten sie 45 Minuten später rund um die Arbeitsmigration bearbeiten. Ob ihnen das bekannt vorkommt, hätte Marc Brückner die Schüler gefragt. Nein, sie würden die Karte zum ersten Mal sehen, entgegneten sie ihm. „Die Schüler denken ähnlich wie die Lehrer in Fächern“, so Brückner.
Für den Deutschen Lehrkräftepreis mussten die beiden Lehrer ihr Projekt selbst einreichen. „Ich habe das Projekt anfangs gar nicht als wirklich besonders wahrgenommen“, sagt Tina Bergen. Von der Schulleitung sei ihnen jedoch nahegelegt worden, sich für die Auszeichnung zu bewerben. Mit dem ersten Platz hat sich das dann auch gelohnt. „Uns beiden ist die Außenwirkung nicht wichtig, natürlich freut es einen, aber wir wollten einfach etwas Gutes für die Kinder machen“, sagt Marc Brückner. Gelungen scheint ihnen das auch zu sein. Die Schüler spiegelten ihnen zwar wider, dass das Projekt und diese Form des Unterrichts, das eigenständige Arbeiten und so lange konzentriert am Stück, anstrengend war. Allerdings hätten sie sich auch noch nie in einem Themenbereich so gut ausgekannt wie nun in diesem.
Auch an zwei weitere Lehrer des Freistaats gingen Preise in der Kategorie „Ausgezeichnete Lehrkräfte“. Mona Schwabe, Lehrerin für Deutsch, Mathematik, Englisch, Wirtschaft und Beruf (WiB), Kunst und Geschichte/Politik/Geographie (GPG) an der Mittelschule Schnaittach im Nürnberger Land bekam eine Auszeichnung. „Wenn wir Probleme hatten, wussten wir immer, dass wir zu Ihnen kommen können und Sie so etwas wie ein Sorgenfresser sind“, wird die Nominierung eines Schülers in der Pressemitteilung zitiert.
Auch Michael Stierstorfer, Lehrer für Deutsch und Latein sowie Fachleiter Deutsch am Gymnasium der Benediktiner in Schäftlarn im Landkreis München konnte einen der insgesamt zehn Preise gewinnen. „Im Unterricht von Herrn Stierstorfer kann jeder er selbst sein, weil er den Schülern das Feedback auf Augenhöhe gibt und auch mittlere und schlechtere Schüler durch seine positive und stark optimistische Art mitzieht“, lautet eine der Nominierungen. Anders als bei „Unterricht innovativ“ nominierten hier die Schülerinnen und Schüler ihre Lehrer selbst für diese Auszeichnung.