Süddeutsche Zeitung

Bayreuth:Der Paradeoberfranke

Günter Dippold ist in jungen Jahren schon Bezirksheimatpfleger geworden. Zu seinem 60. Geburtstag wird er nun gefeiert als einer, der "fränkisches München- und Bayern-Bashing" gar nicht nötig hat.

Von Olaf Przybilla, Bayreuth

Selbstredend gibt es mehrere Bezirksheimatpfleger in Bayern, genauso wie es mehrere Bezirke gibt. Da jeden runden Geburtstag medial ausgiebig zu feiern, wäre schon viel verlangt. Aber mit dem Bezirksheimatpfleger ist es wie mit dem bayerischen Europaminister: Es kommt immer drauf an, wer das Amt gerade bekleidet. Als ein gewisser Markus Söder 2007 vom Generalsekretär von Stoibers Gnaden zum Europaminister herabgestuft wurde, da ignorierten sowohl Söder als auch die Sendeanstalten diese De-facto-Degradierung weiträumig: In den Talkshows saß er künftig einfach als "Außenminister Bayerns" - Träger eines Postens, von dem vorher kaum einer mitbekommen hatte, dass es den überhaupt gibt. (Seit Söder das nicht mehr ist, ist es wieder wie zuvor.)

Es ist auch nicht vollkommen üblich, dass Bezirksheimatpfleger zu ihrem 60. Geburtstag eine Festschrift in Form eines massiven Ziegelsteins zugedacht bekommen. Es gibt aber eben wohlbegründete Ausnahmen: "Und in Deutschlands Mitte Franken" heißt das nach einem Vers Friedrich Rückerts benannte Werk, das Günter Dippold zum 60. Geburtstag vom Historischen Verein für Oberfranken zugedacht worden ist und in dem unter anderem Koryphäen ihres Fachs wie die Historiker Werner K. Blessing, Martin Ott und Dieter J. Weiß Beiträge beigesteuert haben. Selbstverständlich passt das zu einem wie Dippold, dem Oberfrankens Bezirkstagspräsident Henry Schramm attestiert, man könne mit Fug und Recht behaupten, einer wie er habe mehr geschrieben, "als die meisten Leute in ihrem Leben lesen".

Aber das ist nicht der eigentliche Punkt beim oberfränkischen Bezirksheimatpfleger Dippold - und auch nicht, dass er dieses Bayreuther Amt bereits im zarten Alter von 33 Jahren übernommen hat. Dippold darf als ein Art Paradeoberfranke gelten, als einer, dessen Zungenschlag die Herkunft aus einem Stadtteil von Lichtenfels in Oberfranken gar nicht erst zu verheimlichen sucht, der freilich - eine feine Beobachtung von Wilhelm Wenning - die "letzten Reste eines oberbayerischen Zentralismus" ebenso ablehne wie ein "fränkisches München-und-Bayern-Bashing". Auch sei falsche fränkische Bescheidenheit Dippolds Sache nicht, ebenso wenig wie die durchaus verbreitete "Tendenz, die Region zu verklären", attestiert Wenning, Vorsitzender des Historischen Vereins für Oberfranken. Was alles andere als wenig ist: Dippold verkörpert tatsächlich den Typus eines Gelehrten, der Heimatbezogenheit mit enzyklopädischem Wissen, Folklore mit Geistestiefe, wissenschaftliche Präzision mit Mutterwitz, Dialekt mit Selbstbewusstsein zu verbinden weiß. Eine seltene Kombination.

Wer ihn in Lichtenberg besucht (nicht zu verwechseln mit seiner Heimatstadt Lichtenfels, die ist 60 Kilometer entfernt), in einem vor einem halben Jahr eröffneten Konzertsaal unter der Erde, dem gibt Dippold erst mal einen Einführungskurs in gesamtfränkischer Historie unter beiläufiger Zuhilfenahme obligater Querverweise zu den Themenkomplexen Architektur, Geologie, Musikwissenschaft, Bibliotheks- und Alltagskunde, gerne auch mehr, wenn's denn erwünscht ist. Und er sagt Sätze wie den: Nein, die Musikbegegnungsstätte im Haus Marteau, wo nun dieser Kammermusiksaal in den Boden gebuddelt wurde, die fürchte "eine Konkurrenz in Europa" nicht. Selbstbewusstsein auf Oberfränkisch, sehr wohltuend. Der Bezirksheimatpfleger ist gewissermaßen der übergeordnete Haus-Chef dort, man wird davon ausgehen dürfen, dass es den Saal gar nicht gäbe ohne Günter Dippold.

Spektakuläre Konzertsäle in überschaubar großen Städten auf den Weg zu bringen, ist aber natürlich nicht das eigentliche Kerngeschäft Dippolds. Sondern Worte. Am besten findet man das womöglich in seinem Buch "Kleine Geschichte Oberfrankens" (Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2020) widergespiegelt, einem Standardwerk. Das endet so: "Der Reiz der Region Oberfranken liegt gerade nicht in ihrer Gleichförmigkeit, sondern in ihrer Vielfalt. Vielfalt ist nämlich kein Schaden, sondern ein Wert."

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