Süddeutsche Zeitung

Eremitage in Bayreuth:Wilhelmines Selfie-Schloss

Vor 300 Jahren wurde die Eremitage in Bayreuth eröffnet. Die ebenso gebildete wie exzentrische Markgräfin hinterließ dort in ihren Gemächern einen rätselhaften Bilderbogen.

Von Olaf Przybilla

Auf Seite 450 ihrer Memoiren kommt Wilhelmine von Bayreuth etwas in den Sinn, was en passant einzuflechten ihr nun doch angemessen erscheint. "Ich vergaß zu erwähnen, dass am 3. August mein Geburtstag gefeiert worden war. Der Markgraf hatte mir prachtvolle Juwelen, eine jährliche Zulage und die Eremitage geschenkt." Ja freilich, die Eremitage, kann man schon mal vergessen.

Es ist dieser gelegentliche Ton einer großen Lakonie, der Wilhelmines Erinnerungsbuch - bei Insel erschienen - so vergnüglich macht. Allerdings muss man besagte Nebenbeibemerkung der Markgräfin aus preußischem Hause auch einzuordnen wissen. Als Wilhelmine die Eremitage als eine Art verspätete Morgengabe in den Präsentkorb gelegt bekam, da muss man sich das Areal vor den Toren Bayreuths noch ziemlich anders vorstellen als heute.

Für Touristen ist die Anlage, die am 15. August vor 300 Jahren mit fränkischer Eremitagen-Kirchweih eröffnet wurde, zunächst mal ein exemplarisches Stück Überwältigungsarchitektur an Wasserspiel, eines der begehrtesten Fotomotive im Norden Bayerns. Das märchenhaft mit bunten Kristallen bestückte Neue Schloss samt Sonnentempel indes ist jener Teil des Rokoko-Parkgeländes, den Wilhelmine erst beigesteuert hat. Und das auch erst in ihrer letzten, um Repräsentation bemühten Bauphase. Zur ursprünglichen Geschenkmasse gehörte das also noch nicht.

Fränkische Geschichte ist ja immer schwierig auf einen Nenner zu bringen, schon weil die Herrschaftsverhältnisse komplexer sind als andernorts. Bei der Eremitage kommt eine höchst verschlungene Bauhistorie hinzu, die dadurch nicht einfacher wird, dass sich Wilhelmine in ihrem fränkischen Exil eine Art Rückzugsinsel aus Buchstaben aufgebaut hatte. Ihre Bibliothek umfasste etliche Tausend Bände, einheitlich in braunes Leder gebunden und mit Monogramm (FSW für Friederike Sophie Wilhelmine) versehen. Und sie stellte sich diese Bände, später Grundbestand der von ihr mitbegründeten Universitätsbibliothek Erlangen, offenbar nicht nur als schmucke Tapete in den Wandschrank. Sie bediente sich weidlich daraus, vor allem in den antiken historiografischen Werken, aus denen sie Anleihen für die Ausgestaltung ihrer Gemächer entnahm.

Ingo Berens beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Eremitage. Dem stellvertretenden Leiter der Schloss- und Gartenverwaltung Bayreuth darf man ein enzyklopädisches Wissen nachsagen über das 52 Hektar große Gelände mit den zwei Schlössern und verwirrend disparaten Denkmälern. Wenn Berens aber über die Details antiker Anleihen Wilhelmines referiert, so glaubt man sogar bei ihm gelegentliches Stocken zu hören. Ja, die Geschichte von Kleombrotos gehört nicht eben zum Grundwissensschatz des Bildungsbürgers, und man darf unterstellen, dass auch 1735, im Jahr der Eremitage-Schenkung, der eine oder andere hatte kurz nachschlagen müssen. Das indes dürfte Wilhelmine gleichgültig gewesen sein. Ihr ging's im Audienzzimmer des Alten Schlosses um das Symbol: Kleombrotos wurde vom spartanischen König ins - Achtung - Exil geschickt. Seine Frau Chilonis folgte ihm selbstlos. Und damit auch den Begriffsstutzigeren unter den Besuchern klar wurde, auf wen damit angespielt ist, ließ Wilhelmine ihren Hund ins Deckengemälde einpflegen. Will heißen: Wilhelmine in Bayreuth - das ist die Geschichte eines Exils. Eine Selbstallegorisierung. Der Gang nach Franken als Opfer.

Seit das Markgräfliche Opernhaus 2012 zum Weltkulturerbe erklärt wurde, ist die Geschichte Wilhelmines - die jenes auf den Weg gebracht hat - häufig erzählt worden. Aber sie ist ja auch hübsch, diese Geschichte. Für ihre Mutter, Gattin des preußischen "Soldatenkönigs" Friedrich Wilhelm I., sollte die Tochter eine Art Entree-Billet in die Weltgeschichte werden. Wilhelmine, so war der Plan, musste verheiratet werden mit einem Spross aus dem britischen Königshaus. Am Ende wurde es nur ein tapferer Provinzfürst aus diesem Dings, wie hieß es gleich? Franken, genau.

Die gewissermaßen zu Ehezwecken expatriierte Wilhelmine hat sich dann mehrfach um die Historie Frankens verdient gemacht. Sie hat die verwahrloste Tradition der Regionalbeschimpfung auf ein solides Niveau gehoben. So schneidig hat seither selten jemand die Franken beleidigt: Bei ihrer Ankunft glaubte sie, "mottenzerfressene Perücken" zu beobachten, "in denen sich Läuse ebenso altehrwürdiger Herkunft wie die ihren seit undenklichen Zeiten eingenistet hatten". Auch hat sie Musikgeschichte geschrieben, und dies gleich doppelt. Ohne Markgräfliches Opernhaus hätte Richard Wagner sein Festspielhaus wo auch immer bauen lassen, aber bestimmt nicht in Bayreuth. Und sie hat die Eremitage zum Hotspot für die heutige Selfie&Instagram-Gemeinde ausbauen lassen (das Neue Schloss!), zuvor aber ihre Sommergemächer im Alten Schloss als allegorischen Bilderbogen ausstaffiert, der Kunsthistorikern bis heute Rätsel aufgibt.

Ein Deckengemälde im Damenflügel, in dem römische Matronen Schmuck an den Feind übergeben, um die Stadt vor Ärgerem zu bewahren? Gut, das ist noch einfach: Für die Staatsraison sind Frauen Opfer zu geben bereit, Frauen wie Wilhelmine. Zur Not lassen sie sich sogar an Provinzfürsten verheiraten. Das Japanische Kabinett, ausstaffiert mit asiatischen Lacktafeln, in dem Wilhelmine mit fernöstlichem Antlitz lächelt? Kann man auch noch entziffern: Selbst in der Verbannung namens Bayreuth bleibt sie die Patronin des irdischen Glücks, das für Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts nicht selten in Fernost angesiedelt war. Was aber symbolisieren die unregelmäßig geschnittenen Spiegel in jenem Zimmer, in dem Wilhelmine ihre Memoiren geschrieben haben soll? Ist das nicht eigentlich, Herr Berens, der gebrochene Gestus einer Frau der Moderne?

Eine letztgültige Antwort, sagt Berens, habe die Wissenschaft dafür noch nicht gefunden. Aber es ist schon bezeichnend, dass König Ludwig II. beim Besuch der Wagner-Festspiele später exakt dieses Zimmer bevorzugte: einen Raum mannigfaltig gebrochener Selbstbespiegelung.

Die Einsiedelei gehört zu den wunderlichsten Dingen in Bayreuth

So darf man die Eremitage wohl als Bilderbogen einer komplexen Biografie deuten, als Spiegel eines historischen Frauen-Schicksals. Für den Wilhelmine-Biografen Günter Berger erfüllte das Landschaftsareal zwar auch repräsentative Zwecke. Vor allem aber diente es Wilhelmine zur Entlastung vom Zeremoniell zugunsten ihres Privatlebens. Und entsprach dabei ihrem Willen, Distanz zwischen sich und die Bayreuther Untertanen zu legen.

Wobei Wilhelmine das Areal ja auch nur übernommen hatte. Zwar hat sich Markgraf Georg Wilhelm ins Gedächtnis der Stadt viel weniger eingebrannt. Die Einsiedelei aber, die er sich dort hatte erbauen lassen, gehört zum Wunderlichsten, was Bayreuth zu bieten hat. Man darf sich das bei Besuchen keinesfalls entgehen lassen: Wie der Markgraf seine Gäste - hohe Herrschaften - in Kutten kleiden, sie mit hölzernen Löffeln speisen und mit Wasser bespritzen ließ, um sie für ein paar Stunden dem höfischen Pomp zu entfremden, Einsiedlern gleich - das ist großes Theater.

Das Neue Schloss dagegen, mit dem Wilhelmine neuen Glanz verbreiten wollte, dient heute vor allem als Fotomotiv. Wider alle Warnungen wurden dort kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs Teile des Reichsfilmarchivs untergebracht, 60 000 Lehrfilme für die Soldatenausbildung. Das Schloss wurde bombardiert, Zeitzeugen berichten von explosionsartiger Brandwirkung, angeheizt durch das brennbare Filmmaterial. Die Fassade wurde wieder aufgebaut. Im Inneren ähnelt das Schloss zum Teil einer schlichten Bayreuther Behörde.

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SZ vom 10.08.2019/infu
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