Bayernpartei:Jakob Fischbacher, der Preußenfresser

Jakob Fischbacher

Zwei Größen der Bayernpartei: Landwirtschaftsminister Joseph Baumgartner (li.) und Jakob Fischbacher. Das Verhältnis der beiden litt unter der Affäre.

(Foto: Fred Lindinger/SZ-Photo)

Der Mitbegründer der Bayernpartei stand im Zentrum einer der kuriosesten Affären nach dem Krieg. Ehen zwischen Bayern und Norddeutschen soll er als Blutschande bezeichnet haben. Doch womöglich war alles ein Missverständnis

Von Sebastian Beck

Es muss eine denkwürdige Versammlung gewesen sein in der Rosenheimer Viehhalle, am Sonntag, 27. April 1947. Ums Haar hätte sie mit einem dreifachen "Sieg Heil!" geendet, und das zwei Jahre nach dem Untergang des Naziregimes. Mit Autos, Omnibussen und Pferdewagen reisten die fast 4000 Bauern und Heimatvertriebenen an - eine ziemlich explosive Mischung.

Bevor der Hauptredner auf die Bühne trat, um Unklarheiten auszuräumen, sah es eine Viertelstunde danach aus, als würde eine Saalschlacht losbrechen. Beschimpfungen flogen hin und her. Dann ergriff Jakob Fischbacher, Kreisdirektor des Bauernverbands Rosenheim, das Wort. In eigener Sache, wie auch auf den Plakaten zu lesen stand, die Fischbacher überall im Chiemgau hatten verteilen lassen: "Dr. Fischbacher zum Fall Dr. Fischbacher."

Eine Woche davor hatte auch der Spiegel groß über den Provinz-Skandal berichtet, der Fischbacher eine "Aufklärungsversammlung" in der Viehhalle abnötigte und als eine der kuriosesten Episoden in die bayerische Nachkriegsgeschichte einging.

Sein Kern lässt sich in einem angeblichen Ausspruch Fischbachers zusammenfassen, den erst Regionalzeitungen und später der Spiegel verbreiteten: "Wenn ein Bauernsohn eine norddeutsche Blondine heiratet, so ist dies in meinen Augen Blutschande. Die Preußen, dieses Zeugs, und die Flüchtlinge müssen hinausgeworfen werden, und die Bauern müssen dabei tatkräftig mithelfen. Am besten schickt man die Preußen gleich nach Sibirien."

Blutschande, Hetze gegen Preußen und Flüchtlinge - das war eine ungeheure Entgleisung. Selbst in den USA berichteten Zeitungen über den weißblauen Extremisten Fischbacher, der Ministerrat sah sich zu einer mäßigenden Stellungnahme gezwungen, nachdem Vorschläge eingingen, man solle ihn doch verhaften oder aufhängen.

Nach wie vor ein Reizwort

Und auch fast 70 Jahre danach ist die Affäre Fischbacher für einige in Bayern noch ein Reizwort. Als die Süddeutsche Zeitung sie kürzlich am Rande erwähnte, meldeten sich mehrere Leser: Einer fühlte sich dadurch an seine Kindheit als Vertriebener nach dem Krieg erinnert, an die Schikanen, denen er als evangelischer Bub im katholischen Altbayern ausgesetzt war.

Andere wiesen darauf hin, dass die Sache mit Fischbacher und der Blutschande zu den schlimmsten Missverständnissen zählt, die es jemals zwischen Nord- und Süddeutschen gegeben habe: Denn Fischbacher habe keinesfalls den Nazi-Begriff verwendet, sondern auf Bairisch von einer "Bluadsschand" gesprochen - übersetzt: "großen Schande".

Was hat Fischbacher aber tatsächlich gesagt? Blutschande oder Bluadsschand? Wer dieser Frage nachgeht, der findet sich inmitten der Nachkriegswirren wieder. Im September 1946 durften die Bayern erstmals nach dem Krieg einen Landtag wählen - die neugegründete CSU ging daraus als Sieger hervor. Die Menschen hungerten und hausten in Kellerlöchern, aber trotzdem strömten alleine im Winter 1947 fast eine Million Flüchtlinge nach Bayern.

Auch auf dem Land beschlagnahmten die Behörden jeden verfügbaren Wohnraum und zwangen die Bauern zur Ablieferung von Lebensmitteln. Es waren die Zwischenjahre nach dem totalen Zusammenbruch, in denen sich in Bayern viele wieder nach der Vergangenheit sehnten: nach dem Leben auf dem Bauerndorf, in dem Jahreszeiten, Brauchtum und die katholischen Feiertage den Rhythmus vorgaben.

Kaum einer personifizierte diese Bayern-Romantik besser als Jakob Fischbacher. Selbst Sohn eines Bauern aus dem späteren Landkreis Wasserburg, hatte er bis 1934 für den Oberbayerischen Christlichen Bauernverein gearbeitet und sich danach als Versicherungsvertreter durchgeschlagen. Als die Nazis 1940 den Sieg über Frankreich feierten, hisste er in Rimsting die Hakenkreuzfahne an einer Bohnenstange auf dem Komposthaufen - seine Form des Widerstands. Nach dem Krieg zählte Fischbacher zu den Gründungsmitgliedern des Bayerischen Bauernverbands und der Bayernpartei.

Ein unabhängiges Königreich Bayern erschien ihm als logische Antwort auf die deutschen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Alles, was von draußen kam, das hielt Fischbacher für verderbt. Die Bauern im Chiemgau feierten ihn dafür.

Entnazifizierung? Für Fischbacher braucht Bayern eher eine "Entbazifizierung"

So auch am 3. Februar 1947, als Fischbacher vor Jungbauern in Wasserburg auftrat und ihnen einschärfte: Eine Frau mit lackierten Fingernägeln und angestrichenem Mund passe nicht auf einen bayerischen Bauernhof. Und es sei doch eine "Bluadsschand" (so stellte er selbst es jedenfalls später dar), wenn Bauern im Alztal sich "wasserstoffsuperoxydierte Weibsen" suchten - wo es doch auch saubere Madel mit Ausbildung in Hauswirtschaft gebe.

Und er legte nach. Ein paar Wochen später verlangte Fischbacher in einer Rede im Traunsteiner Kino neben der Entnazifizierung die "Entbazifizierung" Bayerns: Diebe und Wirtschaftskriminelle solle man nach Sibirien schicken. Überhaupt: Bayerische Ämter seien voll von Preußen, die man entfernen müsse.

In den Versammlungen erhielt er dafür Beifall, nur bei der Presse kam er damit ganz schlecht an: Die einstündige Rede Fischbachers sei eine einzige Hetze gegen "Flüchtlinge und Preußen" gewesen, schrieb das Oberbayerische Volksblatt am 9. April 1947 und erwähnte in dem Zusammenhang, dass Fischbacher zuvor in Wasserburg von "Blutschande" gesprochen habe. "Wie soll man die Deutschen zu Demokraten erziehen", fragte das Volksblatt, "wenn solche Reden öffentlich gehalten werden?"

Fischbacher, der Nazi-Gegner, stand nun plötzlich als Hetzer da; der Bauernverband suspendierte ihn vom Dienst. Doch weder er selbst noch die Presse trugen viel zur Aufklärung der Vorwürfe bei: Fischbacher und Zeugen dementierten zwar, dass in Wasserburg das Wort "Blutschande" gefallen sei. Auch habe er sich nicht abfällig über Flüchtlinge geäußert. Andere bestätigten den Ausdruck.

Die Zeitungen überboten sich in ihrer Empörung, doch was Fischbacher in den beiden Versammlungen nun tatsächlich gesagt hatte, das recherchierte niemand nach. Er selbst stiftete zusätzlich Verwirrung, indem er eine schriftliche Erklärung abgab, in der er abermals über die "geschminkten Weibsen" herzog, die Bäuerinnen werden wollten. Darin stand am Schluss: "Das halte ich für einen Verrat am Stande und wenn ich so sagen darf, für eine Blutschande." Also doch - zumindest schriftlich gebrauchte er den Begriff.

Schimpfen über die Presse und deren "Goebbels-Methoden"

Der Historiker Christoph Walther hat vor einigen Jahren eine Dissertation über Fischbacher verfasst, für die er unter anderem dessen Nachlass auswertete. Walther kommt zum Schluss: Fischbacher hat in Wasserburg von einer "Bluadsschand" im bairischen Sinne gesprochen, dann aber versucht, die Aufregung um das Missverständnis für sich politisch ausnutzen. Das misslang gründlich, denn es brach ein Shitstorm über ihn herein - so würde man die Reaktionen heute bezeichnen.

Er musste also reagieren und lud zur "Aufklärungsversammlung" in die Rosenheimer Viehhalle, wo er zunächst über die Presse und deren "Goebbels-Methoden" herzog, um dann selbst wieder den Scharfmacher zu geben: Bayern dürfe nicht noch einmal zuschauen, wie sich preußische Elemente sesshaft machten. Schließlich seien die Preußen schuld am Nationalsozialismus gewesen, die Bayern aber seien nur verführt worden. "Nordgermanen" sollten deshalb aus allen Amtsstuben entfernt werden.

Danach ergriff Bauer Thanbichler aus Traunstein das Wort: "Unser Bauernführer soll abgeschossen werden!", rief er den Zuhörern zu und schloss seine Rede mit "Sieg . . .", das er im letzten Moment aber noch zu einem "dreifachen Hoch" abbog, was im Gelächter und ironischen "Heil"-Rufen unterging.

Die Süddeutsche Zeitung rechnete nach der Versammlung in einem "Offenen Brief" mit Fischbacher ab: "Bayern ist vom Schicksal Deutschlands nicht ausgenommen - jeder muss wissen, dass Bayern bevölkerungsmäßig nie wieder werden kann, wie es einmal gewesen ist. Wenn Sie heute billigerweise alle Schuld auf ,die Preußen' schieben wollen, so tun Sie im Prinzip nichts anderes, als was Hitler getan hat, wenn er alle Schuld auf die Juden und Freimaurer schob."

Jakob Fischbachers angeblicher Ausspruch

"Die Preußen, dieses Zeugs, und die Flüchtlinge müssen hinausgeworfen werden, und die Bauern müssen dabei tatkräftig mithelfen. Am besten schickt man die Preußen gleich nach Sibirien."

Fischbacher galt von da an als fanatischer Preußen- und Flüchtlingshasser, wie Walther in seiner Dissertation schreibt. Eine Zeitung untertitelte sein Foto: "Das ist er - Dr. Fischbacher, der Erfinder der neuen Rassenlehre und urbayerischer Preußenfreßer".

Immerhin: Er wurde auf diese Weise berühmt und hatte mit schon 61 Jahren noch eine große Karriere als Politiker vor sich: Fischbacher saß von 1950 bis 1962 für die Bayernpartei im Bayerischen Landtag. 1972 starb er in Rosenheim. Von seinem politischen Wirken für Bayern ist kaum etwas im Gedächtnis geblieben. Biograf Walther nimmt ihn in Schutz und erinnert an seinen Einsatz für eine vierte Landesuniversität, den Bau des Sylvensteinspeichers oder für den Denkmalschutz. Alles vergessen - außer dieser einen, saublöden Affäre. Fischbacher hätte dazu wohl gesagt: Was für eine Bluadsschand.

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