Bayern nach dem Zweiten WeltkriegWie der Wiederaufbau gelingen sollte

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Nürnberg war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Trümmerfeld. Rechts im Bild ist die Frauenkirche zu sehen.
Nürnberg war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Trümmerfeld. Rechts im Bild ist die Frauenkirche zu sehen. (Foto: Jewgeni Ananjewitsch Chaldej/Imago/ Sammlung Volland)

In der ersten Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 6. Oktober 1945 ging es vor allem um die Kriegsfolgen. Auch darum, wie und wann sich Bayerns Kulturbauten wieder aufbauen ließen. Zum 80. SZ-Jubiläum der Originaltext von damals.

Die folgenden Ausführungen von Prof. Dr. Georg Lill, dem Direktor des bayerischen Amtes für Denkmalpflege, geben von berufener Seite Auskunft über heute vielbesprochene Fragen der Wiederherstellung zerstörter oder beschädigter Kulturbauten. Diesem auf das Grundsätzliche abgestellten Aufsatz, dem zwei Besichtigungsfahrten nach Nordbayern einen ersten Ueberblick schufen, sollen später Berichte über einzelne bayerische Städte folgen.

Die Hitlerzeit hat uns Zerstörungen hinterlassen, die wohl zum erstenmal in der Menschheitsgeschichte die Fragen des Wiederaufbaues zu einem Aufgabenkomplex weiten, wie er in ähnlichem Umfange noch keiner Generation zur Lösung gestellt worden ist. Kämpfte man früher als Denkmalpfleger um einzelne kleinere oder größere Objekte, so steht man heute vor beklemmenden, vor gigantischen Problemen, wie etwa dem der zerstörten Frankenstadt Würzburg, von der nur noch ein Gräberfeld von ausgebrannten Kalkwänden, ragenden Turmstümpfen und weißlichen Kuppelschalen kündet.

Auch Würzburgs Altstadt war fast vollständig zerstört.
Auch Würzburgs Altstadt war fast vollständig zerstört. (Foto: SZ Photo/picture alliance / SZ Photo)

Nürnberg steht ihr nicht viel nach, während München, Augsburg, Aschaffenburg, Rothenburg, Donauwörth dagegen trotz aller Verwüstungen immer noch als Organismen voll bewegten Lebens erscheinen mögen. Mit dankbarer Freude – sie gleicht der des Wiedersehens mit einem schon totgeglaubten Kinde – begrüßt man auf eiliger Fahrt das auftauchende unversehrte Bild von Dinkelsbühl, Ochsenfurt, Miltenberg, Wasserburg. Und selbst Einzelverwüstungen, die man in normalen Zeiten als furchtbar angesprochen hätte, wie den Bombeneinschlag im Westteil der Georgskirche in Nördlingen, muten heute als ein erträglicher, weil doch reparabler Schaden an.

Es geht heute nicht mehr um Einzelnes, denn ganze Städte müssen als Gesamtkunstwerk gerettet werden. Sie waren vollendeter, schaubarer Ausdruck gewaltiger deutscher Geschichtsperioden, wie etwa Rothenburg o. T. mit seinem gotischen Mittelalter oder Würzburg mit der höchst reizvollen Synthese von Mittelalter und Barock. Man steht stundenweise verzweiflungsvoll vor den Problemen und doch gilt es, eine Lösung in harter, ehrlicher Anstrengung zu finden.

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Möglichkeiten des Wiederaufbaues einer zerstörten Stadt gibt es natürlich mancherlei. Vor zwanzig Jahren konnte man eine Stadt wie Oppau, als reichlich Baumaterial und Arbeitskräfte vorhanden waren, in großzügiger systematischer Planung in einem Zuge wieder erstehen lassen. Heute ist alles schwieriger geworden. Man kann radikal vorgehen, kann die Trümmerstätten im Innern liegen lassen, den Außenring mit Maschinen einwalzen, darauf einen Gürtel von achtstöckigen Häusern bauen und hat die Wohnungsfrage schnell gelöst – man hat diesen Vorschlag ernstlich gemacht! Aber ein historischer Städteorganismus entsteht so nimmermehr.

Ein solches widereuropäisches Gestalten wäre nur Maschinenarbeit, wäre ohne Geist und Gemüt und bedeutete die Vernichtung selbst des Begriffes Würzburg oder Nürnberg. Der Schwierigkeit des Problems wird man in kleineren Städten naturgemäß eher Herr. So hat man im altbayerischen Erding einen einzelnen leitenden Architekten eingesetzt, dem alle Baumaßnahmen unterstehen. Damit sind Pfuschereien von ungeeigneten Kräften, deren jetzt schon manche am Werke sind, vorgebeugt.

Rothenburg ob der Tauber wurde zu etwa 40 Prozent zerstört, aber so nahe am historischen Zustand wiederaufgebaut, dass es heute noch als Ideal einer mittelalterlichen Stadt gilt.
Rothenburg ob der Tauber wurde zu etwa 40 Prozent zerstört, aber so nahe am historischen Zustand wiederaufgebaut, dass es heute noch als Ideal einer mittelalterlichen Stadt gilt. (Foto: Imago/Voller Ernst / Herma/imagebroker)

Anders wurde in Rothenburg 0. T. vorgegangen, wo ein keilförmiger Sektor im Osten der Neustadt zwischen Würzburger Tor, Rödertor, Weißem Turm und Markusturm völlig ausgebrannt ist. In diesem kleinbürgerlichen Handwerker- und Geschäftsviertel regen sich vielfache Einzelwünsche nach baldigem Aufbau. Straßenzüge bleiben die alten, Privatkapital ist vorhanden, die Zahl der ortsansässigen Architekten hat sich durch Zuzug vermehrt. In diesem Fall muß durch Führung und Beratung der Architekten und Handwerker durch eine kleine Fachkommission die Einpassung in den Baucharakter Rothenburgs gesichert werden.

Dabei soll beispielsweise nicht die sklavische Herübernahme des ehemaligen Zustandes eines Hauses erstrebt werden – denn man kann nicht die Raumdisposition etwa eines ehemaligen Pinselmacherhauses einem heutigen Autochauffeur aufzwingen –, sondern eine nachfühlende Neuschöpfung, die vor allem in Maßstab, Materialgerechtigkeit und handwerklicher Solidität ihren Stolz suchen muß. Bausünden der letzten Generationen sollen dabei rücksichtslos beseitigt werden. Ohne feste, bestimmte Zielsetzung geht es natürlich nicht, allzu individualistische Wünsche müssen zurücktreten.

Die Probleme häufen sich natürlich bei den großen Städten München, Nürnberg, Augsburg, Würzburg. Man kann hier keineswegs immer die alte Form-, ja häufig nicht einmal die alte Straßenführung beibehalten. Die radikale Zerstörung ganzer Wohnviertel wirft die schon lange brennende Frage nach Stadtplanung, Durchgangs- und Umgehungsstraßen, Raumordnung nach Wohn-, Industrie-, Verkehrsvierteln in nie geahnter Möglichkeit auf.

Pause beim Wiederaufbau: Nürnberg ist im Zweiten Weltkrieg stark zerstört worden. 1949 rasten Bauarbeiter bei ihrer Arbeit.
Pause beim Wiederaufbau: Nürnberg ist im Zweiten Weltkrieg stark zerstört worden. 1949 rasten Bauarbeiter bei ihrer Arbeit. (Foto: Sammlung Rolf Poss/imago-images)

So muß vor allem der Städteplaner seine Forderungen und Wünsche kundtun, nicht willkürlich mit dem Stift auf dem Stadtplan, sondern aus dem historischen Werden, den wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten und den aus der Bodengestaltung erwachsenen Verkehrsnotwendigkeiten heraus. Erst wenn man sich über diese Verhältnisse klar ist, wird man die Frage erheben können, wo man ohne Rücksicht auf individuelle Wünsche und Möglichkeiten mit dem Wiederaufbau beginnen kann.

Wir glauben, daß dieser Wiederaufbau ähnlich vor sich gehen muß, wie einmal unsere Städte in Jahrhunderten geworden sind: Inselartig werden sich die Quartiere aus dem Schutt erheben, um ihre Kristallisationspunkte geordnet, wie es sich aus händlerischen, verwaltungsmäßigen, kirchlichen, industriellen Erfordernissen ergibt. Um die großen Zentren werden sich dann die Quartiere des Kleinhandels und die eigentlichen Wohnviertel von selbst gruppieren.

Alle diese Vorbedingungen lassen schon das eine sichtbar werden: an einen Wiederaufbau in zwei bis drei Jahren, wie dies der braune Rattenfänger dem Volke vorgetäuscht hat, kann natürlich kein vernünftiger Mensch glauben. Was Generationen und Jahrhunderte in mühseliger und hingebender Kulturarbeit geschaffen haben, kann nicht die Betonmaschine in wenigen Jahren ersetzen. Wir müssen mit Jahrzehnten rechnen, bis alle Schäden werkgerecht wenigstens an den großen Kulturbauten beseitigt sein können. Und manche Bauten, darüber müssen wir uns klar sein, werden nie mehr erstehen können. Lassen wir sie ruhig als Ruinen, wie das Schloß von Heidelberg, mahnend stehen!

Und nun noch eins: die Sorge, Kirchen und Residenzen könnten als Objekte des Wiederaufbaues dem Wohnhausbau vorangestellt werden, diese Sorge ist unnötig. Keine verantwortliche Stelle hat, dies kann ich aus intimster Kenntnis sagen, solche Meinungen vertreten. Was wir jetzt an den großen Kulturbauten tun können, ist Sicherung vor weiteren Zerstörungen durch Abdecken, Notdachung, Verschalen, Stützen, eventuell auch durch Entfernung von durch Einsturz bedrohten Teilen.

So ist in München nur ein Seitenschiff der Theatinerkirche rein behelfsmäßig zur Notkirche ausgestaltet worden, um einen gottesdienstlichen Raum in der Innenstadt zu gewinnen. Aber auch diese behelfsmäßigen Arbeiten leiden unter Baustoff- und Arbeitskräftemangel, so daß zu fürchten ist, daß manche sehr dringende Rettungsaktion unterbleiben und die schlechte Jahreszeit weitere umfassende Zerstörungen herbeiführen wird. Dem steht natürlich nicht entgegen, daß heute schon Pläne für endgültige Restaurierungen gemacht werden. Aber auch hier muß man Vorsorge treffen, daß nur wirklich geeigneten Kräften so verantwortungsvolle Aufgaben übertragen werden.

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