Bayern nach dem KriegWohnungsnot, Arbeitermangel und eine umgeleitete Heilquelle

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Soldaten der 3rd Infantry Division der US Army laufen im April 1945 durch das zerstörte Nürnberg. Die Männer haben ihre Gewehre geschultert. Das zeigt, dass keine unmittelbare Gefahr mehr durch deutsche Truppen besteht.
Soldaten der 3rd Infantry Division der US Army laufen im April 1945 durch das zerstörte Nürnberg. Die Männer haben ihre Gewehre geschultert. Das zeigt, dass keine unmittelbare Gefahr mehr durch deutsche Truppen besteht. (Foto: SZ Photo)

In der ersten Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 6. Oktober 1945 gab es noch keinen Bayernteil. Berichtet wurde dennoch über den Freistaat, etwa über die Versorgungslage nach dem Krieg, überschrieben einfach mit „Das melden uns die bayerischen Städte“. Hier der Originaltext – inklusive heute seltsam anmutender Schreibweisen.

Landsberg: Der Bürgermeister kauft Salz

Landsberg, das früher ca. 10 000 Einwohner zählte, hat sich im Krieg auf rund 20 000 Seelen vergrößert. Heute liegen allein 7-8000 Ausländer in den großen Kasernen. Sie warten auf den Abtransport. Diese Menschenmengen, die sich seit den letzten Apriltagen durch Landsberg ergossen, stellten bei den damaligen Transportverhältnissen — und der Treibstoffmangel ist auch heute noch groß — ein nahezu unlösbares Problem dar.

Es fehlte vor allem an Mehl, Kaffee und Salz. Der neue Bürgermeister Hans Pfannenstiel, ein bekannter Landsberger Geschäftsmann – dem die Landsberger es mitzuverdanken haben, daß Ihre Stadt nicht verteidigt und damit unsägliches Elend abgewendet wurde – zögerte nicht, selbst das Salz aus Rosenheim heranzuschaffen, Mehltransporte ans Aichach anzukurbeln, und das nahegelegene Kaufbeuren wurde mit Viehlieferungen eingeschaltet. Heute meldet der Bürgermeister nicht ohne Stolz: ernährungsmäßig sind wir in Ordnung.

Auch die Arbeitslosigkeit ist kein Problem für Landsberg, höchstens die Arbeit e r losigkeit. Es fehlt an Forst- und Torfarbeitern, Schreinern, Schlossern usw.  Zwar sind die Auswirkungen des Bombenkrieges nicht groß, aber es müssen bei der gewaltigen Uebervölkerung Barackenwohnungen errichtet werden. Die 40 Behelfsheime, die schon 1943 begonnen wurden, können jetzt endlich fertiggestellt werden.

Auch die Sandauerbrücke wird eben aufgebaut; behelfsmäßig ist sie bereits begehbar. Die obere Karolinenbrücke wurde von den Amerikanern in kürzester Frist wiederhergestellt. Beide Brücken sind im letzten Moment noch ein Opfer des Wahnsinns geworden und mit ihnen die umliegenden Gebäulichkeiten. Eben ist man auch daran, eine oder vielleicht sogar zwei Ziegeleien aufzubauen und man hofft, noch in diesem Jahr 1 Million Ziegel für die Allgemeinheit liefern zu können.

Nach dem Krieg waren viele Menschen weitab der Heimat. Im Lager Plattling warten am 24. Februar 1946 russische Kriegsgefangene auf den Transport zurück nach Hause.
Nach dem Krieg waren viele Menschen weitab der Heimat. Im Lager Plattling warten am 24. Februar 1946 russische Kriegsgefangene auf den Transport zurück nach Hause. (Foto: dpa/picture alliance)

Plattling: Dachziegel aus Zement

Selbst das geübteste Auge würde nicht erkennen, daß hier in Plattling fast 11 000 Menschen wohnen, arbeiten und leben. Dieser Zahl stehen 6500 von 1939 gegenüber. Dank der ertragreichen Gegend war es möglich, das Problem der Ernährung zu lösen. Nur die Gemüseversorgung bereitete zuweilen einen Notstand.

Plattling selbst fiel am 29. April. Die Waffen-SS verteidigte den Uebergang über die Isar, dadurch entstanden im Südteil der Stadt Zerstörungen. Die St. Jakobskirche, eine der ältesten Kirchen von Bayern, ist ebenfalls beschädigt worden; ihr Turm wurde bis zur unteren Hälfte vernichtet.

Durch das Entgegenkommen der Besatzungsmächte stehen der Stadtverwaltung für Baumaßnahmen Materialien in beschränktem Umfang zur Verfügung. So wird Zement aus den Beständen, die im nahen Flugplatz lagern, entnommen. In einem besonderen Verfahren ist die Gewinnung von Dachziegeln möglich: mittels einer hydraulischen Presse werden aus Zement Dachziegel hergestellt Wohl handelt es sich hier nicht um die glücklichste Lösung, doch im Zuge der Selbsthilfemaßnahmen hilft es einen guten Schritt vorwärts. Fachleute bezeichnen diese Dachziegel als gut brauchbar. Noch vor Beginn winterlicher Witterung sollen alle Dachschäden behoben sein.

Straubing: Brennholz aus dem Bayerischen Wald

Zur selben Stunde, als wir in München durch den Rundfunk von der „Freiheitsaktion Bayern“ Kunde erhielten, bahnten sich amerikanische Panzer von Westen her den Weg nach Straubing. Die Vielzahl der Probleme drängte zu Entschlüssen. Der Landwirtschaft konnte für die Ernte, die qualitativ und quantitativ mittelmäßig ausfiel, Rohöl zur Verfügung gestellt werden. Ein vor Anker liegender Schlepper barg dieses kostbare Gut.

Von 800 Wohnungen, die mehr oder minder beschädigt sind, können bis vor Winteranbruch 200 wieder bewohnbar gemacht werden. Die Selbsthilfe überbrückt die Materialsorgen. Von zerstörten Häusern werden Ziegelsteine und Dachziegel geborgen, weil die in der Nähe befindlichen Ziegeleien noch nicht in Betrieb sind. 1939 zählte Straubing 26 000 Einwohner, heute leben 43 000 Menschen in dieser Stadt. Straubing zählt wohl zu den dichtbevölkertsten Städten. Der Zuzug nach Straubing ist gesperrt.

Jubiläum
:Die SZ wird 80

Zeit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Was waren die größten Fehlprognosen in der SZ? Was denkt die älteste Leserin über ihre Zeitung? Und was haben Essiggurken und Demenzuhren mit der Redaktion zu tun? Hier finden Sie alle Stücke zum runden Geburtstag.

Die Bahnverbindung nach Cham ist unterbrochen, weil die Eisenbahnbrücke bei Bogen zerstört worden ist. Bis Dezember dieses Jahres erhofft man die Fertigstellung. Auch hier steht die Holzbeschaffungsaktion im Vordergrund. Seit Tagen Ist eine LKW.-Kolonne, bestehend aus 50 Fahrzeugen und 300 Kriegsgefangenen, unterwegs, um aus dem Bayerischen Wald Brennholz nach Straubing zu transportieren. Seit Mitte August ist das Amtsgericht in Tätigkeit. Eine Industrie-, Handels- und Handwerkskammer ist neu gegründet worden.

Passau: Grenzpfähle am Rande der Stadt

Passau ist am 2. Mai von den amerikanischen Truppen besetzt worden. Seit diesem Tag weht auf dem Oberhaus das Sternenbanner. Der Stadtkern blieb ohne wesentlichen Schaden. Aber die verantwortlichen Männer der Stadtverwaltung, an ihrer Spitze Oberbürgermeister Rudolf von Scholtz (er war bis 1933 Leiter der Abteilung für Presse- und Nachrichtenwesen am Bayerischen Rundfunk in München) haben ebenfalls ihre Probleme.

Zunächst müssen die Brückentrümmer aus der Donau gehoben werden. Der Zerstörung fielen anheim: zwei Donau-, zwei Innbrücken, zwei Eisenbahnbrücken über die Donau, eine über den Inn und eine über die Ilz. Die Brückenreste bedeuten eine besondere Gefahr für den kommenden Winter und die Donauschiffahrt.

Durch die neugesetzten Grenzpfähle am Rande der Stadt stauen sich nun in Passau Menschen ans allen Nationen. Sie zu versorgen, unterzubringen und weiterzuschleusen obliegt der Stadtbehörde. Und die Kette der Rastlosen aus dem Sudetenland und aus Oesterreich, teils auf legalem, teils auf dem ,,schwarzen Weg“ in Passau eintreffend, scheint nicht abreisen zu wollen.

Trotz aller Schwierigkeiten wird den Baumaßnahmen viel Aufmerksamkeit gewidmet. Von 600 Wohnungen, die instandsetzungsfähig sind, sind bereits 500 ausgebessert und bewohnbar. Der Passauer Dom ist unwesentlich beschädigt, die Verglasung wird noch vor dem Wintereinbruch abgeschlossen sein. Der Schaden, durch einen Treffer verursacht, wird bald behoben sein. Das Lambrechthaus, in dem vor fast 400 Jahren der Kirchenfriede zwischen den Katholiken und den Protestanten geschlossen worden war, ist ebenfalls teilzerstört. Das Amt für Denkmalspflege wird die Restaurierungsarbeiten überwachen.

Eichstätt: Galgen vor der Schutzengelkirche

Der sonst so friedliche Bischofssitz an der Altmühl war in den letzten Kriegstagen zum Schauplatz eines dramatischen Ereignisses geworden, dessen photographische Wiedergabe – aus Gründen des Geschmacks bleibt sie dem Leser vorenthalten – ein Beitrag zur „Geschichte nationalsozialistischer Kultur“ ist. Es war in den letzten Apriltagen dieses Jahres. Das „tausendjährige Reich“ lag in den letzten Zügen. Längst war jeder Widerstand sinnlos geworden. Dennoch sollte auf Befehl des SS-Kommandos die Sprengung aller Brücken von Eichstätt durchgeführt werden.

Um die Heiliggeistbrücke und die umliegenden Häuser zu retten, durchschnitten zwei beherzte Einwohner die Elektrokabel der Fernzündung. Sie mußten diese Tat, zum Wohle ihrer Stadt gedacht, mit ihrem Leben bezahlen. In den Abendstunden des 24. April, wenige Stunden vor dem Einmarsch der Amerikaner, wurden die beiden Männer von einem SS-Kommando an den Bäumen vor der Schutzengelkirche gehenkt. Man bestand auf dem Hinrichtungsplatz – denn „die hochwürdigen Herren von Eichstätt sollten staunen“!

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Sie haben nicht gestaunt, denn sie lebten schon zwölf Jahre im Hitler-Reich. Gestaunt – um diesen milden Ausdruck zu gebrauchen, — haben die einmarschierenden amerikanischen Truppen, als sie die „Galgen“ vor der Kirchentüre sahen. Die Leichen der Gehenkten vor der Schutzengelkirche wurden auf Befehl des amerikanischen Kommandanten photographiert – als Zeitdokument aus dem Deutschland 1945 – abgenommen und würdig bestattet.

Regensburg: 20 Brücken wurden gesprengt

Das historische Regensburg ist fast vollständig erhalten geblieben. Besonders nachteilig wirkten sich dagegen die zahlreichen Zerstörungen an den Brücken aus. Regensburg als Drehscheibe des Verkehrs verzeichnete in seinem Regierungsbezirk 20 Brückensprengungen, davon zwölf Straßen- und acht Eisenbahnbrücken. Selbst die 800 Jahre alte, so vielen Katastrophen trotzende „Steinerne Brücke“ bleib beim Abzug der deutschen Truppen nicht verschont.

Die amerikanischen Verbände rückten am 27. April in die Stadt ein und stellten sofort Behelfsbrücken her; die „Steinerne Brücke“ wurde im Notbehelf ausgebessert und bereits Mitte Mai dem Verkehr wieder übergeben. Zur Zeit ist man damit beschäftigt, die Holzkonstruktion der Pfeiler auszuwechseln gegen Pfeiler aus Beton, damit der Uebergang über die Donau gegen etwaigen Eisgang im Winter gesichert ist.

Die Steinerne Brücke in Regensburg, 1945 kurz nach Kriegsende. 
Die Steinerne Brücke in Regensburg, 1945 kurz nach Kriegsende.  (Foto: Stadt Regensburg/Bilddokumentation)

Der Domprediger Dr. Johann Maier wagte es, wenige Tage vor dem Einmarsch der alliierten Truppen in Regensburg an die Verantwortlichen die Bitte zu richten, mit Rücksicht auf die Verwundeten und Kranken und auf die Frauen und Kinder, die Stadt nicht im aussichtslosen Kampf zu verteidigen, sondern sie als offene Stadt zu übergeben. Dafür hatte man aber kein Verständnis, vielmehr kam Dr. Maier vor ein Standgericht. Am 24. April wurde er mit noch zwei weiteren aufrechten Männern durch den Strang hingerichtet.

Regensburg beherbergt ca. 117 000 Einwohner in seinen Mauern. In dieser Zahl sind die in Lagern Untergebrachten nicht enthalten. Die Donauschiffahrt sieht sich besonderen Schwierigkeiten gegenüber. Dem Bayerischen Lloyd stehen nur noch 37% an Tonnage des Vorkriegsbestandes zur Verfügung. Durch Minen, Zerstörungen und Versenkungen wurden diese Dezimierung hervorgerufen. Ferner muß die Donau von den Trümmern der Brückensprengungen befreit werden. Bestrebungen sind im Gange, Tonnage zu schaffen, um dem Handel und der Industrie den unentbehrlichen Wasserweg wieder bieten zu können.

Bad Kissingen: Heilquelle wird umgeleitet

Mit dem Namen Bad Kissingen verbindet sich die Vorstellung einer gepflegten Stadt mit Kurparkanlagen, Hotels, guten Restaurants und Geschäften mit den Begriffen Ruhe, Erholung und Heilung. Die weltberühmte Rakotschy-Quelle im Kurgarten hat dieser Stadt zu Ruhm und Wohlstand verholfen. Wie schön ist auch das Bild dieser Stadt: Keine Spuren des Bombenkrieges, keine Ruinen. Für die Bewohner bedeutet der Fremdenverkehr und Kurbetrieb die Haupteinnahmequelle.

Die Stadtverwaltung hat daher die Absicht, bereits im kommenden Frühjahr den Kurbetrieb in beschränktem Umfang wieder aufleben zu lassen. Zu diesem Zweck wird die Rakotschy-Quelle vom Kurgarten zum Rosengarten umgeleitet. Pensionen und Fremdenheime, Hotels und Gasthöfe bereiten sich vor, den Anforderungen wieder gerecht zu werden.

Die großen Häuser und Heilstätten, die im Kriege als Lazarette dienten, bahnen ebenfalls die Umstellung auf den Friedensbetrieb an. Neben dem Fremdenverkehrsgewerbe wird auch die Industrie beitragen, den Bewohner Arbeit zu bringen, die teilweise als Heimarbeit in die Rhöndörfer vergeben wird.

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