Vom Bordell in den Hörsaal:"Deutschland ist bekannt als Bordell Europas"

Lesezeit: 2 min

Sandra Norak am Tag ihres bestandenen Jura-Examens. Der Weg dahin war weit, sechs Jahre lang musste sie als Prostituierte arbeiten. (Foto: Max Kronawitter)

Sandra Norak schafft den Ausstieg aus der Zwangsprostitution und wird zur Aktivistin. Ein Film zeigt ihren beeindruckenden Weg.

Von Katja Auer, Nürnberg/Passau

Der große Drache auf ihrem Rücken ist ein Brandzeichen. Ihr Zuhälter hat die junge Frau markiert, damit klar ist, wem sie gehört. Nun sitzt Sandra Norak auf einem Behandlungsstuhl, per Laser verschwindet die Tätowierung Punkt für Punkt. Zwei Jahre wird das dauern, aber noch viel länger dauert ihr Kampf gegen die Zwangsprostitution.

Norak ist ausgestiegen, sechs Jahre musste sie in verschiedenen Bordellen anschaffen. Ihre Geschichte hat sie dem Filmemacher Max Kronawitter aus Eurasburg (Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen) erzählt, der sie fast ein Jahr lang begleitet und durch ihre Erzählungen Einblick bekommen hat "in krasse Menschenrechtsverletzungen". Er zeigt sich beeindruckt von der jungen Frau, die nicht nur den Ausstieg geschafft, sondern danach ein Jurastudium absolviert hat - mit dem Ziel, ihre früheren Peiniger hinter Gitter zu bekommen und den Frauen beizustehen, die Ähnliches erlebt haben. "Diese Arbeit macht einfach kaputt", sagt Kronawitter. Dass jemand nach sechs Jahren in dem Milieu geistig so reflektiert sei, sei ungewöhnlich.

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Die klassische Loverboy-Geschichte

Sandra Norak, die unter diesem Pseudonym als Aktivistin gegen die Zwangsprostitution auch öffentlich auftritt, stammt aus Niederbayern. Es scheint eine traurige Kindheit gewesen zu sein, wie sie im Film erzählt. Eine psychisch kranke Mutter, Magersucht, Selbstmordgedanken. Und dann sei sie im Internet auf diesen Mann gestoßen. "Dann findest du jemanden, der sich für dich interessiert", sagt sie, das hat ihr Leben verändert. Noch minderjährig verliebt sie sich in den 20 Jahre älteren Mann, der ihr Zuhälter werden soll. Er brauchte Geld, er habe sie gebeten, es für ihn zu tun, es sollte auch nicht für lange sein - es ist eine klassische Loverboy-Geschichte. Sie schmeißt die Schule. Während sich ihre Klassenkameradinnen auf das Abitur vorbereiten, wird Sandra von einer erfahrenen Hure im Bordell angelernt.

Für den Film kehrt die junge Frau an die Nürnberger Frauentormauer zurück, es fällt ihr sichtlich schwer. Und sie klingt wütend, wenn sie über die Situation von Prostituierten spricht und über die liberale Gesetzeslage. "Deutschland ist bekannt als Bordell Europas", sagt sie später vor einer Schulklasse. Sie will aufklären. "Hätte mir das mit 16 jemand erzählt, wäre meine Geschichte vielleicht anders gelaufen", sagt sie. Sie erzählt von Drogen und Alkohol, ohne die es keine Frau aushalte, von der Isolation, von Scham und Ekel. "Das ist nichts, was man menschenwürdig ausüben kann", sagt Norak, deswegen kämpft sie für strengere Gesetze und Strafen für Zuhälter und Freier.

Und das bald auch mit juristischen Mitteln. Ihr Staatsexamen an der Uni Passau hat sie bestanden, nun beginnt sie ihr Referendariat. Und der Drache auf ihrem Rücken wird derweil immer blasser.

Der Film "Vom Bordell ins Jurastudium" ist am Dienstag, 8.3., um 23.40 Uhr in der ARD zu sehen und zudem verfügbar in der Mediathek.

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