Garmisch-Partenkirchen:Herstellungsbedingte Fehler an Schwellen waren Auslöser des Zugunglücks

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Bei dem Zugunglück in Garmisch-Partenkirchen vor zwei Jahren kamen fünf Menschen ums Leben. (Foto: dpa)

Fünf Menschen starben 2022 beim Zugunglück von Garmisch-Partenkirchen. Hauptursache waren Schäden an Betonschwellen. Jetzt ist klar: Eine Prüfung von außen durch Augenschein reicht hier nicht immer.

Von außen teils nicht erkennbare Materialschwächen an den Bahnschwellen aufgrund chemischer Reaktionen nach dem Herstellungsprozess waren nach neuen Untersuchungen eine wesentliche Ursache für das tödliche Zugunglück von Garmisch-Partenkirchen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Zwischenbericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU), der Montag zum zweiten Jahrestag des Unglücks veröffentlicht wurde. Am 3. Juni 2022 war ein Regionalzug von Garmisch-Partenkirchen nach München entgleist, dabei starben fünf Menschen, 78 wurden verletzt, 16 von ihnen schwer.

Die Untersuchungen zeigten chemische Reaktionen auf, die sich nach dem Herstellungsprozess von Betonbauteilen entwickeln und zu Schädigungen führen. Dem Bericht zufolge hatte die Bahn bereits 2018 Vorschriften erlassen, wie materialbedingte Fehler an den Schwellen, die es seit jeher gab, erkannt werden können – nämlich durch Augenschein. Was allerdings damals offensichtlich nicht klar war: dass die Schäden und Risse von außen teils nicht zu sehen sind.

Die BEU empfiehlt als Konsequenz, „ein technisches Verfahren zur vollumfänglichen Prüfung des Zustandes von Spannbetonschwellen aller Hersteller im eingebauten Zustand zu entwickeln. Und: „Es wird empfohlen, eine zentrale Rückverfolgbarkeit verbauter Spannbetonschwellen zu gewährleisten.“ Denn, so die BEU: „Die inneren Schädigungen waren bei den untersuchten Spannbetonschwellen deutlich höher als von außen erkennbar. Zudem fand die Rissbildung teilweise in dem durch Schotter, Schiene und Kleineisen bedeckten Bereich statt.“

Die BEU hatte bereits in ihrem ersten Zwischenbericht vor einem Jahr dargelegt, dass marode Schwellen Hauptursache des Unglücks waren. Die Bahn habe „direkt nach einem ersten Anfangsverdacht eines möglichen Herstellungsfehlers“ die Schwellen ins Visier genommen, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Die Erkenntnisse der Inspektionen und weiterer materialtechnischer Untersuchungen habe die DB zum Anlass genommen, Schwellen mit einem bestimmten Gesteinsgemisch „präventiv zu überprüfen und höchst vorsorglich auszutauschen“. „Die Schwellen sind deutschlandweit verbaut.“

Spekulationen gab es auch wegen der Verlegung eines Wildbaches

Die Bahn hatte als Konsequenz aus dem Unglück eine Überprüfung der Schwellen bundesweit gestartet und allein im vergangenen Jahr rund eine halbe Million Schwellen ausgetauscht. Das sei etwa fünfmal mehr als üblich, sagte eine Sprecherin. Dieses Jahr sei ein Austausch in vergleichbarer Größenordnung geplant. Offen blieb zunächst, in welchem Umfang tatsächlich noch betroffene Schwellen verbaut sein könnten.

Zu der Frage, wie die Schwellen konkret kontrolliert werden, erläuterte eine Bahnsprecherin: „Die DB inspiziert die vorhandene Infrastruktur regelmäßig, um mögliche Schäden frühzeitig zu erkennen und zu beheben. Inspektion, Wartung und Erneuerung der Infrastruktur erfolgen nach festgelegten strengen Regularien und vorgeschriebenen Fristen, die das Eisenbahn-Bundesamt als Aufsichtsbehörde überwacht.“

Für die BEU-Untersuchung waren Spannbetonschwellen des Typs B 70 ausgewählt worden. Diese stammten aus dem Jahr 2006. „Die Schädigungen unterlagen einem länger ablaufenden Prozess und haben unter den nutzungsbedingten mechanischen Beanspruchungen zu einem strukturellen Versagen der Spannbetonschwellen geführt“, heißt es in dem Bericht.

Spekuliert nach dem Unglück wurde von verschiedener Seite auch, ob es einen Zusammenhang mit der Verlegung eines Wildbaches im Zuge des Ausbaus der Bundesstraße 2 vor rund 20 Jahren gegeben haben könnte. Der Bach läuft nun zwischen Bundesstraße und Gleis. Das Wasser könne zur Instabilität des sehr hohen Bahndamms beigetragen haben. Die Staatsanwaltschaft München II hatte einen Gutachter mit der Erkundung der geologischen Verhältnisse im Unfallbereich beauftragt. Vorsorglich sei der Streckenabschnitt mit geringerer Geschwindigkeit befahren worden, erläutert die Bahn kürzlich. Weitere Untersuchungen hätten aber ergeben, dass der Bahndamm sicher sei. Bei der BEU hieß es allgemein, die Untersuchungen zu dem Unglück seien noch nicht abgeschlossen. Wann ein Abschlussbericht vorgelegt werden könnte, ist offen.

Offen ist auch, ob es strafrechtlich Verantwortliche gibt. Im Dezember 2023 hatte die Staatsanwaltschaft München II Anklage gegen drei Bahnmitarbeiter wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung erhoben. Aber noch gibt es keinen Termin für einen Prozess. Auch wenn die Bahn Konsequenzen aus dem Unglück gezogen und in die Überprüfung und Erneuerung des Schienennetzes investiert hat – die Kritik an früheren Versäumnissen bleibt. Experten zufolge hätten systematische Sanierungen viel früher beginnen müssen. Es gebe seit Jahrzehnten einen Investitionsstau, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Andreas Schröder. Auch wenn eine Wende nun eingeleitet sei, werde es Jahre dauern, bis Strecken und Technik auf Vordermann gebracht seien. „In der Schweiz und in Österreich wurde über Jahre mehr investiert.“

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