Kaum steht Torben Maue auf dem Zugspitzplatt, dauert es nur Sekunden bis er angesprochen wird. „Seit wann haben wir denn so wenig Schnee?“, fragt ihn ein Tourist. „Eigentlich haben wir dieses Jahr viel Schnee“, sagt Maue. Anfang Juni habe es zuletzt geschneit. Maue sollte es wissen – schließlich arbeitet er hier oben bei der Zugspitzbahn. Dann muss er weiter: Gleich beginnt seine Gletscherführung. Heute sind etwas mehr als zehn Gäste dabei. Das sei wenig, sagt er. Gestern seien bei der gleichen Tour 42 Besucher gekommen.
Dann startet Maue seine Führung an den Rand von Eis, Geröll und stürzenden Wasserbächen zum Nördlichen Schneeferner. Er ist einer der letzten deutschen Gletscher. Neben ihm gibt es nur noch den Höllentalferner, das Blaueis am Hochkalter und den Watzmanngletscher im Nationalpark Berchtesgaden.
„Hier sah mal alles aus wie bei Ice-Age“, sagt Maue zu den Kindern in der Gruppe und deutet auf einzelne eisblaue Flächen unter ihm. Er nennt seine Führung „Abschiedsbesuch“, denn auch die Tage des Schneeferners sind gezählt. Mittlerweile verliere er jährlich mehr als einen Meter Eis, erzählt er der Gruppe, während die Mittagssonne brennt und im Hintergrund das Schmelzwasser aus dem Gletscher rauscht.
„Die kostenlosen Führungen gibt es schon seit einigen Jahren, doch die Nachfrage steigt“, sagt Verena Tanzer von der Zugspitzbahn. Ein Großteil der Gäste komme im Sommer, um den Gletscher zu sehen. Daher bietet das Unternehmen die Touren in diesem Jahr dreimal täglich an. Sie sind Teil des neuen Gletscher-Informationsprogramms der Zugspitzbahn, der Skischule Vivalpin und der Forschungsstation Schneefernerhaus. Das Gletschersterben ermögliche, „dass unsere Gäste die Auswirkungen des Klimawandels anfassen können“, sagt Tanzer.
Wie eindrücklich es werden kann, wenn der Klimawandel greifbar wird, weiß Maue. Immer wieder führe er Gäste, die vor Jahrzehnten hier waren und erschrecken, wie der Gletscher zurückgegangen sei. Zuletzt habe ein Gast seine Urlaubsbilder aus den 70er-Jahren gezeigt.
Neben den öffentlichen Führungen gehören auch neu gestaltete Infotafeln zum Bildungskonzept auf Deutschlands höchstem Gipfel. Beginnend an der Marienkapelle flankieren sieben Tafeln den Weg am Rand des Gletschers. Sie informieren zweisprachig auf Deutsch und Englisch beispielsweise über die Geschichte des Zugspitztourismus, den Rückgang des Gletschers und die Geologie des Gipfels.
Auch diese Infotafeln gibt es schon länger, doch nachdem 2022 der südliche Schneeferner seinen Gletscherstatus aberkannt bekam, habe man sie aktualisieren müssen, sagt Tanzer. „Früher waren die Daten für einige Jahre gültig, jetzt ändern sie sich rasant.“ Wie lange die neuen Tafeln aktuell bleiben? Tanzer hofft auf fünf Jahre und fügt hinzu: „Und wenn der Gletscher gestorben ist, ist es auch eine Message, über Toteis zu informieren.“
Was sich in den vergangen 20 Jahren verändert hat, weiß Berg- und Gletscherführer Max Pohl. „Als ich Anfang der 2000er im Sommer zum ersten Mal hier war, waren hier 30 bis 40 Meter mehr Eis“, sagt er und zeigt auf ein Loch am Rand des Gletschers. Heute seien es an der dicksten Stelle vielleicht noch 30 Meter. Pohl ist für den dritten Teil des Gletscher-Informationskonzepts zuständig. Er bietet zwei Mal pro Woche Führungen über den Schneeferner an. Diese Touren kosten 25 Euro pro Person und führen einmal quer über den Gletscher zum sogenannten Windloch. Zwar könne auch jeder auf eigene Faust über den Gletscher laufen – aber mit seinen Touren erfahre man etwas mehr über die Hintergründe. Als der südliche Schneeferner seinen Status als Gletscher verlor, habe er eine Informationsoffensive vorgeschlagen. Ihm sei es wichtig, seriös über das Gletschersterben zu berichten, sagt er.
Die Informationskampagne ist auch ein Versuch der Zugspitzbahn, mit den ökonomischen Folgen des Gletschersterbens umzugehen. Zugspitzbahn-Sprecherin Tanzer berichtet, dass jedes Jahr unsicher sei, ob das Skigebiet auf dem Schneeferner geöffnet werden könne. Meist müsse man die Skilift-Türme auf dem Eis um bis zu zwei Meter erhöhen, da die Substanz darunter wegschmelze. Doch sie gibt sich zuversichtlich: Mit einem Museum zur Firmengeschichte und einer Sommerrodelbahn stelle sich die Zugspitzbahn für eine Zukunft ohne Gletscher auf.
Gefragt, wann dem Gletschertourismus auf der Zugspitze sein letztes Stündlein schlägt, ist Gletscherforscher Wilfried Hagg zögerlich. Er habe schon oft Prognosen abgegeben und dann aufgrund des schnelleren Abschmelzens korrigieren müssen. „Mit Glück noch zehn Jahre“, sagt er. Eins sei sicher: Bald werde nichts mehr zu sehen sein.