Süddeutsche Zeitung

Unternehmen in Bayern:Die Fadentüftler aus dem Allgäu

Kompressionshosen, Strümpfe und sogar Drähte: Die Firma Zimmermann fertigt im Landkreis Lindau Spezialgarne - und ist damit in einer umkämpften Nische unterwegs. Ein Werksbesuch.

Von Maximilian Gerl, Weiler-Simmerberg

Ja, sagt der Chef am Telefon: Das sei hier schon alles "exotisch". Beim Besuch aber bietet sich ein erster Blick, der gewöhnlicher kaum sein könnte. An der Wand reihen sich Arbeitshandschuhe, Socken und Kompressionsstrümpfe aneinander, an einem Kleiderständer hängt eine Weste. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich, was die Dinge gemeinsam haben - und was sie in der Herstellung aufwendiger macht, als es zu sein scheint. Sie alle bestehen aus Spezialgarnen. Der Chef lässt die Ausstellungsobjekte nach und nach über den Besprechungstisch wandern. "In Wirklichkeit", sagt Hans-Peter Mauch, "geht es einzig und allein um den Faden"; darum, aus den Tausenden Varianten die eine passende auszuwählen.

Ob für Sanitätsbedarf, Sportartikel oder technische Anwendungen: Die Firma Zimmermann fertigt im Allgäu Garne für besondere Anforderungen - und ist damit in einem Bereich unterwegs, der exotisch sein kann, weil so nischig wie weitgehend unbekannt. Rund 25 Wettbewerber europaweit zählen sie bei Zimmermann, sofern man von Konkurrenten sprechen kann in einer statistisch untererfassten Welt, in der jeder an seinen eigenen Spezialgarnen tüftelt und von denen der Endkunde so gut wie nie mitbekommt, wie und wo sie entstehen. Oder warum.

Wer diese unbekannten Gefilde erkunden will, muss nach Weiler-Simmerberg im Landkreis Lindau fahren. Das Zimmermann-Stammhaus, ein eher unauffälliger Gebäudeblock, liegt am Ortsrand. Dahinter stehen zwei einsame Skilifte den Oberberg hinauf, auf der anderen Straßenseite Kühe, deren Glockengeläut bei offenem Fenster schon mal Telefonate untermalt. Ein Alpenidyll, wie geschaffen, um öffentlich unter dem Radar zu fliegen. Geschäftsführer Mauch - Allgäuer Zungenschlag, geerdetes Auftreten - ist dafür gewissermaßen selbst das beste Beispiel. Obwohl er aus der Gegend stamme, erzählt er, habe er Zimmermann nicht gekannt, erst als er sich dort auf eine Stelle als Verkäufer im Export beworben habe. 1979 war das.

Vieles hat sich seitdem geändert und vieles auch nicht. Die Firma, gegründet 1953, ist inzwischen Teil der Geiger-Gruppe aus Oberstdorf. Früher belieferte sie unter anderem die vielen Textilfabriken in der Gegend, von denen es heute kaum noch welche gibt, seit es die Branche nach Fernost zog. Stattdessen konzentrieren sich die rund 150 Beschäftigten vor allem auf Kompressionshosen und ähnliche Artikel, genauer auf die dafür nötigen Materialien: Sie veredeln Garne, aus denen ihre Kunden dann die Endprodukte machen. "Wir stehen am Anfang der Textilienkette" sagt Mauch.

Vereinfacht wird dazu ein elastischer Faden als Kern mit anderen unelastischen Fäden umwickelt. Je nachdem, wie man diesen Vorgang steuert, verändert sich unter anderem die Elastizität des Garns. Die Mischung der unterschiedlichen Garne wiederum macht am Ende das Produkt aus. So besteht ein typischer Kompressionsstrumpf aus vier bis fünf verschiedenen Garnen; die einen kommen nur an der Ferse zum Einsatz, die anderen am Bund. Zimmermann fertigt dabei auf Bestellung und nach Bedarf. Von der Entwicklung eines neuen Spezialgarns bis zur Auslieferung der ersten größeren Mengen vergeht nach eigenen Angaben schon mal ein Jahr, mit Tests, dem Fertigen von Musterspulen, Trageversuchen. Viel Aufwand also für ein vergleichsweise unauffälliges Stück Stoff.

Erst wenn die Kunden die Textilien am Markt platziert haben, kann Zimmermann die eigene Produktionskette starten, um beständig für Garn-Nachschub zu sorgen. Oft handelt es sich bei den Aufträgen um kleinere Chargen, bei denen es sich für andere Hersteller nicht lohnt, die Maschinen extra anzuwerfen. Auf diese Weise läppern sich - in Weiler-Simmerberg, an zwei kleineren Standorten in Aichach und den USA sowie durch eine Lizenzfertigung in Südamerika - annähernd 1000 Tonnen Garn im Jahr zusammen. Über den daraus resultierenden Umsatz wollen weder Zimmermann noch die Geiger-Gruppe Angaben machen, aus Konkurrenzgründen, wie es heißt. So nischig der Markt auch wirkt, ist er doch umkämpft und wächst: In vielen Ländern werden die Menschen immer älter, womit auch der Bedarf an medizinischen Strümpfen, Stutzen und Hosen steigt.

Von den Maschinen röhrt in der angrenzenden Werkshalle eine ganze Armada. Mitarbeiter mit Stöpseln in den Ohren schieben Wagen mit Garnspulen durch die Automatenreihen. Das Umwinden geschieht dabei ähnlich, wie es im Zeitalter der Industrialisierung die ersten dampfbetriebenen Maschinen machten: Für den Laien surren rasend schnell Fäden von Metallarmen ab, um auf anderen in neuer Komposition zusammenzufinden. Die Garne werden anschließend im hauseigenen Qualitätslabor auf ihre Reißfestigkeit geprüft oder mithilfe einer Kamera auf Unregelmäßigkeiten untersucht. Ganz groß ist dann das dünne Bandl auf dem Computerbildschirm zu sehen.

Theoretisch lassen sich mit Spezialgarnen auch ganz andere Dinge als Kompressionsstrümpfe herstellen. Zum Beispiel können sie, versehen mit einem dünnen Draht im Inneren, Strom leiten. An solchen quasi elastischen Drähten begannen sie bei Zimmermann Anfang der 2000er-Jahre zu tüfteln. "Wir haben sehr viele Prototypen damals entwickelt", sagt Mauch, darunter beheizbare Gewebe für Autoinnentüren. Das Problem: "Am Ende haben wir vieles nicht realisieren können, weil es niemand in Serie gebracht hat. Da waren wir einfach zu klein." Auch manch jüngerer Zimmermann-Mitarbeiter wusste lange nicht, was seitdem in den Schubladen ruht. "Unglaublich", berichtet etwa der Produktionsleiter, sei es für ihn gewesen, in den alten Plänen auf der Suche nach neuen zu stöbern: "Das habt ihr vor 20 Jahren entwickelt?"

Ein paar technische Ideen haben es trotzdem ins Portfolio geschafft. Dazu zählen leitfähige Garne, die im Autobau für Sicherheitsgurte mit eingebautem Mikrofon gebraucht werden. Die Aufmerksamkeit für solche Innovationen wollen sie sich bei Zimmermann in Zukunft bewahren. Entgegen kommt der Firma dabei, dass sie auch intern ein Exot ist. Denn die verzweigte Geiger-Gruppe besteht vorwiegend aus Bau-, Recycling- und Logistikbetrieben, für deren Geschäft Garne keine Rolle spielen. Die Zentrale unterstützt zwar nach eigenen Angaben bei der IT, beim Marketing und beim Controlling. Ansonsten aber haben sie in Weiler-Simmerberg die Freiheit, sich weitgehend unbehelligt mit Fäden zu beschäftigen. "Ein schönes Arbeiten", findet Mauch das einerseits, auch wenn andererseits der Druck hoch sei, Erfolge liefern zu müssen in dieser Nische: "Es wächst da ja nicht auf den Bäumen." Das wäre in der Tat auch für örtliche Verhältnisse schon sehr exotisch.

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