Als Volker Böhm Ende November 2024 zum ersten Mal am größten Sägewerk Europas an der Betzenmühle in Plößberg vorfuhr, stapelte sich das dort zur Zerkleinerung aufgeschichtete Rundholz nach seiner Erinnerung „auf vielleicht zehn Meter“. Inzwischen weiß Böhm, dass dies eine winzige Menge war, gemessen daran, was die riesige Anlage im Oberpfälzer Landkreis Tirschenreuth im Normalbetrieb verarbeitet. Dann nämlich türmen sich die Holzvorräte dort so hoch wie ein vielstöckiges Wohnhaus. Doch von Vollast war der Betrieb der Firma Ziegler in jenen Spätherbsttagen weit entfernt. Es fehlte schlichtweg das Geld, um Vorräte einzukaufen. Das Familienunternehmen mit seinen insgesamt 3000 Beschäftigten an zahlreichen Standorten vor allem in Nordbayern kämpfte ums Überleben und hatte bei Gericht ein Insolvenzverfahren beantragt. Böhms Aufgabe war es, als vorläufiger Insolvenzverwalter zu retten, was noch zu retten war.
In den folgenden Wochen ging wenig in dem Sägewerk, zeitweise wurde der Betrieb auf das Notwendigste heruntergefahren. Statt Holz zuzuschneiden, erledigten die Beschäftigten Wartungs- und Sanierungsarbeiten, für die im Normalbetrieb kaum Zeit gewesen wäre. Nun aber steht das Sägewerk vor dem Neustart. In den kommenden Tagen wird die Produktion wieder voll anlaufen; vor allem der bayerische Staatsforst hat bereits wieder große Mengen Rundholz angeliefert. Und nicht nur in Plößberg geht es weiter; Böhm ist es gelungen, den weit überwiegenden Teil der Ziegler-Firmen und die meisten Arbeitsplätze dort zu retten. Einige Hundert Menschen jedoch verlieren ihre Jobs.

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Zweieinhalb Monate nach seinem ersten Besuch in Plößberg fällt seine Zwischenbilanz verhalten positiv aus. „Ich bin angesichts der Umstände mit dem bisherigen Verlauf des Verfahrens zufrieden“, sagt Böhm im Gespräch mit der SZ. „Wir standen unter sehr großem Zeitdruck, da wir die überwiegende Zahl der Unternehmen nicht über den 1. Februar hinaus fortführen konnten.“ Weil nämlich „ein Großteil der Unternehmen Verluste geschrieben hat, obwohl im Vorverfahren durch das Insolvenzgeld keine Löhne und Gehälter gezahlt werden müssen“.
Daher, so Böhm weiter, habe man „den Insolvenzgeldzeitraum nicht nutzen können, um ein Liquiditätspolster für die Zeit nach Insolvenzeröffnung zu erwirtschaften, wenn wieder sämtliche Kosten gezahlt werden müssen“. Dies sei in Unternehmensinsolvenzen „eine absolute Ausnahme und hat uns gewaltig unter Druck gesetzt“. Alle Beteiligten einschließlich der Kaufinteressenten hätten daher „mit Hochdruck – auch über die Feiertage – an einer schnellen Lösung gearbeitet. Gerade dieses Engagement der Interessenten zeigt, welches Potenzial und welche Zukunftsperspektiven sie in den Ziegler-Unternehmen sehen.“
Der Ziegler-Gruppe war 2024 das Geld ausgegangen, auf nie dementierte 600 Millionen Euro Schulden türmten sich die Bankverbindlichkeiten. Auf zu vielen verschiedenen Geschäftsfeldern hatte sich Familienunternehmer Stefan Ziegler verzettelt, zu viel auf Pump finanziert. Als dann aber die Baukrise die Holzindustrie erreichte, brach sein Konstrukt zusammen. 27 der insgesamt 45 Ziegler-Firmen meldeten Insolvenz an. Böhm und seinem Team gelang es, die Geschäfte zu stabilisieren, das Firmenkonglomerat zu entflechten und die meisten Einzelteile zu verkaufen.

Als Erstes ging Mitte Januar Naturheld über den Tisch, ein 2022 gegründeter Entwickler und Hersteller von klimafreundlichen Dämmplatten aus nachwachsenden Rohstoffen mit Sitz in Grafenwöhr/Hütten. Ziegler hatte einen dreistelligen Millionenbetrag in die Produktionsanlagen dort investiert. Naturheld wurde von der Josef Rettenmeier Naturenergie Holding GmbH übernommen, die zur Ellwanger JRS-Gruppe der gleichnamigen Familie gehört. Der Standort und alle 130 Arbeitsplätze bleiben erhalten.
Komplizierter war die Situation beim Fachzentrum Knorr, im Raum Weiden bekannt als „Eisen Knorr“. Ziegler hatte bereits vor dem Insolvenzantrag die Schließung beschlossen. Was für die Insolvenzverwaltung bedeutete, die Beschäftigten am 1. Februar zu entlassen, da Löhne und Gehälter nicht hätten weiter bezahlt werden können. Böhm gelang es, die Finanzierung einer Transfergesellschaft für die betroffenen Beschäftigten auf die Beine zu stellen. Bis zu sechs Monate lang erhalten sie so 75 Prozent ihres letzten Nettoentgeltes sowie Unterstützung bei der Jobsuche. Parallel läuft für wenige Monate der Abverkauf der Knorr-Restbestände, wofür noch etwa 30 Mitarbeitende benötigt werden.
Den größten Aderlass allerdings gab es bei der Ziegler Logistik GmbH. Am Bahnhof in Wiesau im Landkreis Tirschenreuth betrieb das Unternehmen ein eigenes Zentrum, von dem aus in besten Zeiten jährlich bis zu 50 000 Container umgeschlagen wurden. Die Grundstücke und den Bahnhof konnte der Insolvenzverwalter verkaufen. Als Problem erwies sich, dass die 300 Lastwagen der Logistikfirma – wie so vieles im Ziegler-Imperium – geleast waren. Und aus dem laufenden Geschäft schrieb die Logistk GmbH Verluste. Nach geltendem Recht allerdings darf eine Firma nicht fortgeführt werden, wenn sie Verluste schreibt, weil dadurch die Gläubiger noch mehr geschädigt werden. Böhm verhandelte mit einem Übernehmer, der jedoch im letzten Moment zurückzog. Die Folge: 300 Menschen, hauptsächlich Lkw-Fahrer, verloren zum 1. Februar ihre Jobs.
Es sollen weitere Gesellschaften verkauft werden
Gleichzeitig gelang dem Insolvenzverwalter jedoch ein Befreiungsschlag. Am 31. Januar verkaufte er – vorbehaltlich der Zustimmung durch die Kartellbehörden – das Ziegler-Kerngeschäft, nämlich die aus sechs Gesellschaften bestehende Holzsparte. Inklusive des Sägewerks in Plößberg geht alles an die Rettenmeier Holding AG mit Sitz in Wilburgstetten im Landkreis Ansbach. Die Namensgleichheit zum Naturheld-Käufer ist zufällig. Die fränkische Firma Rettenmeier ist nach Angaben des bayerischen Wirtschaftsministeriums mit 1600 Mitarbeitern an sechs Standorten eines der größten holzbearbeitenden Unternehmen Europas.
Die Rettung der Ziegler-Holzsparte samt des Plößberger Sägewerks sei ein wichtiges Signal für Tausende Waldbesitzer und das gesamte Cluster Forst und Holz in Bayern, so Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). „Das Sägewerk ist ein wichtiger Abnehmer für Holz der privaten Waldbesitzer und der Bayerischen Staatsforsten.“ Die Übernahme rettet nach Angaben Böhms etwa 650 Arbeitsplätze, etwa 200 gehen allerdings verloren. Ohne Kürzungen bei den Personalkosten „wäre ein wirtschaftlicher Betrieb und die damit verbundene Investorenlösung nicht möglich gewesen“.
Böhm spricht angesichts von Zeitdruck und den besonderen Umständen von „guten Lösungen für die jeweiligen Unternehmen sowie deren Gläubiger“. Es habe sich in keinem Fall um einen Notverkauf gehandelt, für jede Ziegler-Firma habe es „Wettbewerb auf der Käuferseite“ gegeben. In den kommenden Monaten will Böhm „weitere Gesellschaften verkaufen, insbesondere die nicht insolventen“. Dazu gehören auch Holzwerke in Schweden und Rumänien. Böhm geht nach eigenen Worten „davon aus, dass wir in den nächsten Wochen mit einer Reihe weiterer Käufer abschließen können“. Erst wenn alle Verkaufsprozesse abgeschlossen seien, „kann man seriös prognostizieren, welche Quote die Gläubiger erwartet“.
So oder so markiert das Ziegler-Aus das Ende eines unternehmerischen Lebenswerks. 1948 hatte Ludwig Ziegler ein Sägewerk in die waldreiche Region der östlichen Oberpfalz hinein gegründet; sein Sohn Wilhelm und Enkel Stefan Ziegler machten die Firma, zu der auch Gastronomie, Immobilien und sogar ein Kindergarten gehörten, groß. Alles vorbei. Dem Neustart steht die Familie nicht im Weg, sagt Böhm. „Sie verhält sich absolut konstruktiv, unterstützt uns und ist sehr bemüht, dass wir zu guten Lösungen kommen, insbesondere für die Mitarbeiter.“