Süddeutsche Zeitung

Festspielleitung in Wunsiedel:"Meine Leidenschaft ist lust- und spaßgetrieben"

Die Corona-Krise hat viele Kulturstätten in die Bredouille gebracht - auch die Luisenburg-Festspiele. Für die künstlerische Leiterin der traditionsreichen Bühne, Birgit Simmler, ein "heftiger Ritt".

Von Olaf Przybilla, Wunsiedel

Die Luisenburg-Festspiele im oberfränkischen Wunsiedel gelten als die traditionsreichste Profifreilichtbühne in Deutschland. Nach dem Ausfall 2020 muss die Luisenburg - die sich hauptsächlich aus Zuschauereinnahmen finanziert - in dieser Saison pandemiebedingt mit deutlich weniger Publikum auskommen. Ein Gespräch mit der künstlerischen Leiterin Birgit Simmler über schlaflose Nächte, Worst-Case-Szenarien und großes Erzähltheater.

SZ: Frau Simmler, wie war Ihr Gemütszustand in den vergangenen Monaten?

Birgit Simmler: Zugegebenermaßen hatte ich viele schlaflose Nächte. Wir sind eben einerseits die traditionsreichsten und besucherstärksten Festspiele in ganz Deutschland im Repertoirebetrieb. Ein extrem großer Festivalplayer also, der jedes Jahr an die 150 000 Besucher nach Wunsiedel zieht. Andererseits wussten wir natürlich, dass diese Zuschauerzahl in den Zeiten der Pandemie so gar nicht möglich sein wird.

Was ein Problem sein dürfte. Sie finanzieren sich deutlich mehr als andere Theaterhäuser aus den verkauften Karten.

Um am Ende einen ausgeglichenen Haushalt zu haben, brauchen wir eine Auslastung von etwa 85 Prozent. Etwa zu dem Anteil finanzieren sich die Festspiele auch aus eigener Kraft, eben durch den Kartenverkauf. Wenn ich aber pandemiebedingt gar keine 85 Prozent Auslastung zulassen darf, weiß ich schon vor Festspielbeginn: Wir werden massiv ins Defizit rutschen.

Was nicht verlockend klingen dürfte für die Kommune. Die ausschließliche Trägerin dieser Riesenfestspiele, die Stadt Wunsiedel, hat keine 10 000 Einwohner.

Nicht nur das. Die Stadt hat auch strukturbedingt keinen ausgeglichenen Haushalt - und die Festspiele machen von diesem Stadthaushalt mehr als 20 Prozent aus. Nur mal zum Vergleich: Deutschlandweit bringen die Kommunen etwa zwei Prozent ihres Haushalts für Kultur auf. Da weiß man, was diese Stadt leistet. Und was das dann auch für Kopfschmerzen verursacht.

Der Normalfall ist doch, dass Stadttheater zu etwa 80 Prozent subventioniert werden. Also gerade andersrum als in Wunsiedel. Wirkt erklärungsbedürftig.

Unsere Festspiele kommen aus einer Volkstheatertradition. Da haben einst Bürger für Bürger gespielt, da war einfach kein Geld in Massen da. Erst später wurde das von Profis übernommen. Unser öffentlich gefördertes Theatersystem, etwa die Stadt- und Staatstheater, haben ihre Wurzeln im Hoftheater. Das ist der historische Unterschied.

Den es heute noch gibt?

Mittlerweile haben wir hier natürlich denselben Kulturauftrag wie ein großes Stadttheater. Und übrigens auch dasselbe Repertoire.

Sie haben einen Sechs-Millionen-Etat.

Und leider auch noch Zusatzherausforderungen. Unsere Naturbühne liegt bekanntlich außerhalb der Stadt Wunsiedel. Auch den Erhalt dieser sehr besonderen Festspielbühne mit ihrer ebenfalls sehr besonderen Infrastruktur muss die Kommune stemmen.

Also: Sondersituation, was die Finanzierung betrifft. Eine sehr klamme Kommune. Signifikant hohe Anhängigkeit von Zuschauerzahlen - und das in der Pandemie. Was macht das mit den Wunsiedlern?

Was jedenfalls auch in der Spielzeit wieder zu beobachten ist: Wir schaffen es in Wunsiedel, die Gesamtgesellschaft ins Theater zu kriegen - was ja alles andere als selbstverständlich ist. Wir erreichen alle, von der Putzkraft bis zur Akademikerin. Und was auch anders ist hier: Wenn's mal eng wird finanziell, dann ist ja häufig der Schnappreflex der Kürzung beim jeweiligen Kulturträger zu beobachten. Das können wir uns nicht mehr leisten! Hier? Auch mit Corona wurde die Institution Luisenburg meiner Beobachtung nach auch nicht nur einmal infrage gestellt.

Sondern?

Man betrachtet das als Sondersituation. Alle sind sich einig: Für die kulturelle Infrastruktur der Stadt, der Region und in Oberfranken sind diese Festspiele unverzichtbar.

Was hätte in der Saison mehr Defizite gebracht? Spielen oder Nicht-Spielen? Sie dürfen ja wegen Corona nur 1150 der etwa 1900 Zuschauerplätze anbieten.

Wir haben hohe Fixkosten, wir haben das alles vorher durchgerechnet. Wir kommen besser aus, wenn wir spielen, als wenn man die Institution nur vor sich hingammeln lässt. Trotzdem wird das Defizit da sein am Ende.

2020 ist der Freistaat eingesprungen.

Wir haben auch jetzt positive Signale. Der Freistaat schmeißt uns natürlich kein Geld hinterher. Aber dass das hier eine Sondersituation ist, wird absolut wahrgenommen.

Was war das Worst-Case-Szenario vor Beginn der Festspiele?

Im besten Fall eine halbe Million Euro Verlust, im schlimmsten fünf Millionen, alles nicht zuletzt abhängig von der Pandemie. Wie viele Besucher exakt reindürfen, darum wurde noch 24 Stunden vor der ersten Premiere hier gerungen. Ein heftiger Ritt.

Im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger sind Sie mit Mann und Kind nach Wunsiedel gezogen, also nicht Teilzeit-Fichtelgebirglerin. Und Sie haben einen Vertrag bis 2027. Abgeschlossen vor der Pandemie.

Ich bin hier mit einem künstlerischen Programm angetreten, es ist klar, dass ich das umsetzen möchte - Corona hin oder her. Könnte ich das nicht, würde die Attraktivität dieses Engagements natürlich Schaden erleiden. Ich stehe für Autorinnentheater, für die Verbindung verschiedener performativer Formate, auch für großes Erzähltheater. Im Festivalbetrieb ist es ja selten, dass jemand seine Kraft das ganze Jahr zur Verfügung stellt, das tue ich. Gäbe es jetzt die Forderung: Bitte nur noch die ganz sicheren Zuschauernummern - dann bräuchte es mich hier nicht. Das könnten andere auch. Sie sehen, ich bin der Typ: ganz oder gar nicht.

Sieht im Moment aber nach "ganz" aus?

So ist es. Meine Leidenschaft ist lust- und spaßgetrieben. Würde das wegfallen, wäre ich die falsche Person am falschen Platz.

Abschließend: Sie haben am Broadway gearbeitet. Was war schwerer zu verstehen: die Sprache dort oder Wunsiedlerisch?

Ich bin ja aus Münster, habe aber Teile meiner Jugend in Regensburg verbracht. Ich komme also mit dem Idiom hier grundsätzlich gut zurecht. Aber wir haben in meiner ersten Spielzeit "My fair Lady" auf Fränkisch gemacht. Mit einer Darstellerin, die ein durchaus brachiales Ortsidiom geredet hat. Zugegeben: Ich saß da im ersten Durchlauf und habe nichts verstanden. Sie hätte genauso gut Chinesisch sprechen können.

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Quelle:
SZ vom 13.08.2021/kafe
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