Wer ein kleines Wunder sehen will, muss nach Prien fahren. Auf der Baustelle von Michael Reiserer wird nämlich gearbeitet. Mehrere Wohnungen lässt der Makler und Unternehmer in dem Markt am Chiemsee errichten; kompakte Einheiten, erklärt er am Telefon, dafür günstiger, sodass sie sich „normale Leute“ leisten könnten, medizinisches Personal zum Beispiel. Die Mauern des Neubaus stehen inzwischen, im Juni soll das Dach drauf, nach diversen Hürden. Insgesamt habe sich das Projekt „sinnfrei“ um gut ein Jahr verzögert, schätzt Reiserer – und erzählt von langwierigen Genehmigungsverfahren, von gestrichenen und wieder verfügbaren Förderungen, von Gutachten und Umplanungen. Nur zwei Worte braucht er dagegen, um den Zustand seiner Branche generell zu beschreiben: „ein Trauerspiel“. Bezahlbarer Wohnraum würde doch „händeringend“ benötigt.
Und das seit Langem. Weil Wohnungen vielerorts in Bayern knapp sind, hat die Staatsregierung mal Tausende versprochen – und dafür im vergangenen Jahr eine Milliarde Euro bereitgestellt, als „Booster“. Trotzdem droht sich die Not weiter zu verschärfen. Der Wohnungsbau steckt in einer Krise, von der sich wie bei einem Eisberg schwer sagen lässt, wie tief sie reicht.
Sicher ist, dass sich zuletzt viele Wohnungspläne ausgeboostert haben. Oder wie es Reiserer formuliert: „Wir bauen noch, aber vieles nicht mehr.“ Zu viel „Unplanbarkeit“.
Dabei sind Probleme beim Bauen kein neues Phänomen. Nur so viele zugleich, das lässt bei Fachleuten seit Monaten die Alarmglocken schrillen. Mal können sich Interessierte die Preise für Grund und Haus nicht leisten oder verzweifeln an den Konditionen, mal haben Baufirmen Pleite gemacht oder verschieben Projekte. Dazu hinken Bund und Freistaat ihren Wohnbauzielen hinterher. Und die Lücke dürfte noch größer werden, zeigt der Blick auf die Baugenehmigungen. Viele von ihnen heute bedeuten viele Wohnungen später. Doch ihre Zahl ist eingebrochen. 2023 wurden laut Landesamt für Statistik bayernweit 58 732 Wohnbaugenehmigungen erteilt – ein Minus von gut 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im ersten Quartal 2024 sanken die Genehmigungen um weitere 18,5 Prozent. Vor allem in den eh schon geplagten Großstädten sind die Rückgänge teils gewaltig. Für Regensburg etwa listet die Statistik die Genehmigung von 21 Wohngebäuden und 42 Wohnungen aus. Im Vorjahreszeitraum waren es 75 Häuser und 73 Wohnungen.
Hans Maier sagt: „Der Wohnungsbau funktioniert nicht mehr.“ Maier ist Direktor des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW), in dem sich vor allem genossenschaftliche und kommunale Träger organisiert haben. Deren Bilanz für 2023, Anfang Mai präsentiert, las sich angesichts der Umstände ordentlich. Demnach steckten die Mitgliedsunternehmen Rekordsummen in den Neubau. Trotzdem sank die Zahl der fertiggestellten Einheiten. Für Maier ein Zeichen, dass höhere Investitionen „immer weniger neue Wohnungen“ schafften. Verantwortlich seien vor allem die steigenden Baukosten: Ohne günstiges Bauen könne es auch keine günstigen Mieten geben.
Zwar lassen sich für die Baumisere viele Gründe aufzählen – zum Beispiel die Personalnot der Bauunternehmen, die hohen Bodenpreise in Ballungsräumen und die gestiegenen Zinsen. Material ist teils deutlich teurer als vor ein paar Jahren, Zement etwa oder Keramikdachziegel. Fassbarer, auch politisch, sind allerdings die Bauvorschriften. Diese gehörten aus Sicht der Baubranche ordentlich entrümpelt und verschlankt. Als einen exemplarischen „Kostentreiber“ hat man beim VdW die Stellplatzvorgaben für Autos identifiziert. Diese führen vor allem in Städten zum Bau von Tiefgaragen, doch „ein Tiefgaragenplatz kann bis zu 50 000 Euro kosten“, sagt Maier. Sein Verband wirbt deshalb für mehr Möglichkeiten, den Stellplatzschlüssel zugunsten lokaler Mobilitätskonzepte reduzieren zu können.
Mehr Geld und weniger Vorschriften wurden schon oft angekündigt – ohne große Wirkung
Dass der Vorschriftenkatalog ein Problem ist, hat auch die Staatsregierung erkannt: In ihrem Koalitionsvertrag versprechen CSU und Freie Wähler das „modernste Baurecht“. Außerdem wollen sie die Wohnbaumilliarde verstetigen und ein Zinsverbilligungsprogramm ausweiten, damit der Kauf oder Bau eines Hauses künftig noch möglich sei. Daneben sieht Minister Christian Bernreiter (CSU) die Bundesregierung in der Pflicht. Die Nachfrage nach den bayerischen Förderangeboten sei gut, sagte er auf SZ-Anfrage. Wenn zuletzt gebaut worden sei, „dann meist sozial gefördert mit staatlichen Mitteln“. Für einen Aufschwung der Baubranche seien aber wieder mehr frei finanzierte Vorhaben nötig. „Dazu benötigen wir wirksame Maßnahmen vom Bund“ – etwa eine „verlässliche und angemessene Förderkulisse“ und „dauerhafte steuerliche Anreize“.
Helfen könnte das, da sind sich viele in der Baubranche einig. Der Bund hat auch bereits signalisiert, neue Programme auflegen zu wollen. Aber ob es auch reicht? Mehr Geld und weniger Vorschriften wurden schließlich oft angekündigt, ob in Berlin oder München; nur die ganz große Wirkung ist offensichtlich ausgeblieben. Und die Kapitalbeschaffung dürfte in jedem Fall herausfordernd bleiben. So erwartet die Landesbausparkasse Süd, dass „die erschwerten Finanzierungsbedingungen“ 2024 fortwirken werden, wie es in einer Mitteilung von Mitte Mai heißt. „Wir rechnen jedoch damit, dass sich die Rahmenbedingungen für einen Immobilienerwerb insgesamt etwas verbessern und sich damit die Nachfrage insbesondere von Eigennutzern weiter stabilisiert.“
Auch Unternehmer Reiserer plädiert für weniger Bürokratie und klarere Förderstrukturen. Außerdem hat er ein weiteres Problem identifiziert: die Digitalisierung. Wo sie fehle, werde die Bürokratie zusätzlich komplex, sagt er. Wenigstens nähert sich sein Projekt in Prien inzwischen der Ziellinie. Im Januar sollen endlich die ersten Mieterinnen und Mieter einziehen.