Energiewende:40 Windräder für das Chemiedreieck

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In den Wäldern des Freistaats ist Platz für insgesamt 450 Windräder, sagen die Staatsforsten, die sie bewirtschaften. (Foto: Catherina Hess)

Das französisch-deutsche Unternehmen Qair soll das bisher größte Windkraft-Projekt in Bayern planen, bauen und betreiben. Die Grünen üben heftige Kritik an der Vergabe.

Von Christian Sebald

40 Windräder, ein jedes vom Fundament bis zur Rotorspitze 280 Meter hoch, 550 Millionen Kilowattstunden Ökostrom im Jahr und ein Investitionsvolumen von 400 Millionen Euro: Der Windpark, der im Norden des südostbayerischen Chemiedreiecks im Öttinger Forst (Landkreis Altötting) errichtet werden soll, ist das bis dato größte Windkraftprojekt in Bayern. Dieser Tage ist es einen wichtigen Schritt vorangekommen. Die Bayerischen Staatsforsten (BaySF), die den Öttinger Forst für den Freistaat bewirtschaften, haben sich für den Planer, Bauherren und Betreiber des Windparks entschieden. Es ist die Qair Deutschland GmbH mit Hauptsitz in München. Das haben jetzt Simon Ruckinski, der bei Qair das Entwicklungsgeschäft verantwortet, und Rainer Droste, der bei den BaySF für Windkraft zuständig ist, der Süddeutschen Zeitung bestätigt.

Der Windpark im Öttinger Forst hat eine immens große Bedeutung. Zuallererst für die Region. Die Unternehmen im südostbayerischen Chemiedreieck bescheren dem Landkreis Altötting seit Jahrzehnten attraktive Arbeitsplätze, Vollbeschäftigung und Wohlstand. Auf der anderen Seite steht gerade die Chemieindustrie vor Riesenherausforderungen. Denn auch sie muss in naher Zukunft klimaneutral werden. Die Chemieindustrie ist besonders energieintensiv. Die Unternehmen im Chemiedreieck verbrauchen fünf Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr. Das sind gut sechs Prozent des Strombedarfs von ganz Bayern. Da ist jede Kilowattstunde Öko-Strom aus der Region willkommen. "Wir nehmen den Strom, wie er kommt", hat der Werkleiter von Wacker-Chemie in Burghausen und Vorsitzende des örtlichen Branchenverbands ChemDelta Bavaria, Peter von Zumbusch, in der Vergangenheit immer wieder gesagt.

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Aber auch für die Staatsregierung und den Freistaat ist das Projekt sehr wichtig. Zeigt es doch, dass Bayern endlich bei der Windkraft vorankommt. Annähernd zehn Jahre hat die CSU ihren Ausbau gegen alle Proteste der Grünen, der SPD, der Freien Wähler und der Umweltszene blockiert, weil sie die Landschaften hierzulande nicht mit Windrad-Türmen "verspargeln" wollte, wie es immer wieder hieß. Erst als der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den bayerischen Anti-Windkraft-Kurs nicht mehr hinnahm und den Freistaat per Bundesgesetz zwang, ein Flächenkontingent für Windräder zur Verfügung zu stellen, fügten sich Ministerpräsident Markus Söder und seine Partei. Gleichwohl hinkt der Freistaat im Bundesvergleich nach wie vor dramatisch hinterher. 2022 gingen in Bayern gerade mal 14 Windräder ans Netz. Im ein Drittel kleineren Niedersachsen waren es 103. Der Windpark im Öttinger Forst ist jetzt das erste Großprojekt, das hierzulande realisiert wird. Auch von daher markiert er einen Aufbruch.

Deshalb ist es sehr erstaunlich, dass nun ausgerechnet von den Grünen massive Kritik kommt. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Martin Stümpfig spricht von "Abzocke im Staatswald", er wirft den BaySF vor, dass für sie "anstatt Kommunalfreundlichkeit und Bürgerbeteiligung der maximale Gewinn im Vordergrund stehen". Dabei "überschlägt sich die Staatsregierung in Versprechungen", dass für sie "absolute Kommunalfreundlichkeit und Bürgermodelle" oberstes Kriterium bei der Entwicklung von Windparks seien. Nun aber bekomme "der Anbieter, der die größte Summe auf den Tisch legt, den Zuschlag." Außerdem wirft Stümpfig den BaySF vor, zu wenig Rücksicht auf die Wälder zu nehmen.

Der Grünen-Politiker Martin Stümpfig übt heftige Kritik an der Vergabe des Projekts an Qair Deutschland. (Foto: Die Grünen/oh)

Bei seiner harschen Kritik bezieht sich der Grünen-Politiker auf den Punkte-Katalog, mit dem die BaySF die eingegangenen Angebote für den Öttinger Windpark bewertet haben. Von den 100 Punkten, die dort bei Erfüllung diverser Kriterien erreicht werden können, entfallen seiner Rechnung nach 62 auf das finanziell beste Angebot. Die Punkte, bei denen es um gute Lösungen für den Wald geht, summierten sich auf höchstens 16. Die restlichen Punkte werden technische und planerische Details, aber zum Beispiel auch die Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen vergeben.

Was die von der Staatsregierung versprochene Bürgerbeteiligung anbelangt, moniert Stümpfig, dass die Bewerber lediglich bereit sein mussten, die im Erneuerbaren- Energien-Gesetz (EEG) empfohlenen 0,2 Cent je Kilowattstunde erzeugtem Windstrom an die Kommune abzugeben, auf deren Flur das Windrad steht. "Das ist heute Standard", sagt Stümpfig. "Warum wird in der Ausschreibung nicht die Vorlage eines Konzepts zur Bürgerbeteiligung verlangt und mit hoher Punktzahl belohnt?" Sein Fazit: "Diese Ausschreibung ist grottenschlecht."

Staatsforsten und Qair weisen die Kritik zurück

Bei den Staatsforsten und bei Qair weist man Stümpfigs Kritik strikt zurück. "Die Bürgerbeteiligung und die Belange der Kommunen sind uns sehr wichtig", sagt BaySF-Manager Droste. "Deshalb erfolgt die Auswahl des Investors in einem zweistufigen Verfahren." In der ersten Stufe müssen sich die Bewerber verpflichten, alle Auflagen der Anliegergemeinden für den Windpark zu erfüllen. Erst wenn sie das getan haben, kam in der zweiten Stufe der Punktekatalog zum Tragen. "Mehr Kommunalfreundlichkeit geht nicht", sagt Droste. "Zumal wir ja nur Flächen für Windräder anbieten, wenn die Kommunen, auf deren Flur sie liegen, dem zugestimmt haben.

Für Qair bedeutet das, dass es nicht damit getan ist, den Anliegergemeinden 0,2 Cent je Kilowattstunde Windstrom zu überweisen, die das Unternehmen in dem neuen Windpark erzeugt. Qair hat sich, so bestätigt es Projektentwickler Ruckinski, außerdem verpflichtet, ein Beteiligungsmodell für die lokale Bevölkerung zu entwickeln - so wie das die Stadträte von Altötting und Neuötting und der Gemeinderat von Burgkirchen an der Alz als die drei Anliegergemeinden zur Auflage für ihre Zustimmung zu dem Projekt gemacht haben. Die drei Bürgermeister Stephan Antwerpen (Altötting, CSU), Peter Haugenender (Neuötting, SPD) und Johann Krichenbauer (Burgkirchen an der Alz, FW) haben ihre Forderung dieser Tage erneut bekräftigt. Der EEG-Obulus von 0,2 Cent je Kilowattstunde Windstrom wird obendrein fällig.

"Es gib zwei Schlüsselkriterien für den Erfolg eines Windparks", sagt Ruckinski. "Das eine ist die enge Kooperation mit der lokalen Politik, das andere die finanzielle Beteiligung der lokalen Bevölkerung, zum Beispiel über eine Bürgerenergiegenossenschaft." Deshalb biete Qair Deutschland auch bei Projekten, bei den das nicht zur förmlichen Auflage gemacht werde, Beteiligungsmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung an. Qair ist ursprünglich ein französisches Unternehmen und auf die Produktion von erneuerbaren Energien jeglicher Art spezialisiert. Inzwischen ist es in 20 Staaten weltweit aktiv. Im vergangenen Jahr hat Qair Deutschland die insolvente Green City AG samt einem Großteil der Mitarbeiter und deren Erneuerbare-Energien-Kraftwerke in München übernommen. Damit zählt Qair Deutschland zu den Großen der hiesigen Branche.

Bis die Windräder stehen, dauert es mindestens viereinhalb Jahre

Der Zuschlag für den Windpark im Öttinger Forst ist ein großer Erfolg für das Unternehmen. Bis das Projekt realisiert ist, wird es allerdings noch viereinhalb bis fünf Jahre dauern. Ruckinski veranschlagt allein eineinhalb Jahre für Windmessungen, Kartierungen und andere Vorarbeiten. Für das Genehmigungsverfahren rechnet er wenigstens ein Jahr. Und bis die 40 Windräder aufgestellt sind, dauert es dann noch einmal zwei Jahre.

Bei den BaySF will man nun schnell mit weiteren Ausschreibungen vorankommen. Derzeit bereite man Projekte im Allgäu und im Bayerischen Wald vor. "Das sind allerdings deutlich kleinere Windparks", sagt der BaySF-Mann Droste. "Sie umfassen jeweils zwischen drei und fünf Windräder." Insgesamt sehen die BaySF noch einiges Potenzial für die Windkraft in den Staatswäldern. "Nach einer Potenzialanalyse von 2020 sind auf unserem Gebiet um die 450 Anlagen realistisch", sagt Droste. "101 stehen schon. Es bleiben also noch 350."

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