Nach einer kontroversen, fast viereinhalbstündigen Diskussion hat sich die CSU-Landtagsfraktion mehrheitlich dafür ausgesprochen, die 10-H-Regel für Windräder in Bayern etwas zu lockern. In einer Fraktionssitzung verständigten sich die Abgeordneten unter anderem darauf, dass in bestimmten Gebieten künftig zwischen Windrädern und den nächsten Wohnhäusern ein Mindestabstand von 1000 Metern gelten soll. Das teilten Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Fraktionschef Thomas Kreuzer am Mittwochabend in einer Pressekonferenz mit. Den 1000-Meter-Vorschlag hatte Söder bereits im Sommer 2021 in einer Regierungserklärung gemacht. Nun sprach er von einem "großen Schritt nach vorne" bei der Windenergie in Bayern. Insgesamt seien bis zu 800 Windräder möglich, sagte Söder, ohne einen Zeitraum zu nennen.
Bisher gilt laut 10-H-Regel, dass jedes Windrad zu den nächsten Häusern einen Abstand haben muss, der seiner zehnfachen Höhe entspricht - was den Ausbau der Windenergie in Bayern blockiert. Da moderne Anlagen heute etwa 200 Meter hoch sind, würde die nun beabsichtigte Lockerung den derzeitigen Mindestabstand in etwa halbieren. Dies soll nach Willen der CSU aber nur in Sondergebieten greifen, die Söder schon vor längerer Zeit ins Spiel brachte: in Staats- und Privatwäldern, auf Truppenübungsplätzen und in vorbelasteten Gebieten. Zum Beispiel entlang von "Bundesautobahnen, vier- oder mehrstreifigen Bundesstraßen und Haupteisenbahnstrecken", wie es im Papier heißt, das die CSU-Fraktion beschlossen hat. Unternehmen soll zudem erleichtert werden, eigene Windräder zu bauen und alte Windräder sollen modernisiert und leistungsfähiger werden.
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Habeck würde die 10-H-Regel am liebsten kippen
Damit dürfte auch der Inhalt des bayerischen "Windplans" feststehen, den Söder dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) versprochen hat. Habeck würde die 10-H-Abstandsregel am liebsten kippen, um den Plan für seine klimafreundliche Energiepolitik zu verwirklichen. Mit den Kompromissvorschlägen, auf die sich die CSU-Fraktion nun geeinigt hat, möchte Söder dies verhindern. Am Mittwoch sprach er davon, dass laut Beschluss der Fraktion fast zwei Prozent der Landesfläche für Windräder bereitgestellt werden könnten. Er bekräftigte aber, dass der Freistaat außerhalb der Sondergebiete an der 10-H-Regel festhalten werde und forderte erneut, den Ausstieg aus der Kernkraft zu verschieben. Von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger verlangte er zudem, den Ausbau der Stromleitungen zu beschleunigen.
Aiwangers Freie Wähler, Koalitionspartner der CSU, haben bereits signalisiert, dass sie die Lockerungen bei der Windenenergie befürworten. "Ich gehe davon aus, dass der Bund den Vorschlag Bayerns akzeptieren wird", sagte Aiwanger, der am Mittwoch ebenfalls an der CSU-Fraktionssitzung teilgenommen hatte. Im eigenen Lager musste Söder dagegen für die Lockerungen kämpfen. Obwohl er sich nun offenbar gegen manchen Windkraftgegner in seiner Fraktion durchsetzen konnte, bleibt das Windenergiekonzept der CSU hinter den Erwartungen von Natur- und Klimaschützern zurück.
Aus der Windbranche und von den Grünen kam scharfe Kritik. Der Landeschef des Windkraftverbands BWE, Bernd Wust, sprach von einer "Pseudoplanung". Die Staatsregierung suche sich abstrakt Flächen aus. Dabei habe sie sich "völlig verheddert in einem Konstrukt von Ausnahmen und Einschränkungen, das immer absurder wird und nicht mehr durchschaut werden kann", sagte Wust. "Das dient weder der Akzeptanz der Windenergie noch dem Klimaschutz." Wust ist Jurist und als solcher Spezialist für Wind- und Solarparks. Seiner Überzeugung nach wird der neue Beschluss eine Fülle von neuen rechtlichen Streitereien auslösen.
"Das Herumdoktern an 10H geht weiter", sagte der Grünen-Abgeordnete und Vizechef des Wirtschaftsausschusses im Landtag, Martin Stümpfig. "Die jetzt verkündeten Lockerungen machen aus der Windkraft-Verhinderungsregel keinen Windkraft-Ausbau-Turbo." Den bräuchte Bayern aber, notwendig sei eine echte Aufbruchsstimmung. Grundlage für einen echten Ausbau der Windkraft ist aus Stümpfigs Sicht die verbindliche Ausweisung von zwei Prozent der geeigneten Landesfläche für die Windkraft in den regionalen Planungsverbänden, wie das der Bund fordert. Ohne sie stocke der Ausbau weiter. "Da werden dann einige Anlagen entlang der Autobahn gebaut, einige in den bestehenden Vorranggebieten, einige in den Wäldern", sagte Stümpfig. "Das ist aber zu wenig und wir verlieren wieder wertvolle Jahre." Die Konsequenz aus Sicht des Grünen-Politikers: "Bayern wird seine Klimaziele weiter krachend verfehlen. Außerdem bleiben wir abhängig von fossilem Öl und Gas aus Schurkenstaaten."