Bayern will Gesetzesverschärfung:Kleine Opfer, großes Trauma

"Jeder Räuber wird als Verbrecher verurteilt, wer ein Kind missbraucht, aber nicht", klagt Bayerns Justizministerin Merk an. Sie fordert härtere Strafen.

Joachim Käppner

Der Täter war Polizist, was ihn nicht an einer sehr eigenen Moral hinderte. Mit seiner Frau führte er einen "offenen und freizügigen Umgang"; leider aber nicht nur mit ihr, das Paar machte auch gemeinsam mit einem Freund Nacktfotos von dessen achtjähriger Tochter, der Polizist ließ sich von der Kleinen auf obszöne Weise berühren. Der Beamte erhielt 22 Monate Haft auf Bewährung.

Bayern will Gesetzesverschärfung: Kinder leiden oft noch lange nach der Tat. Sie verlieren ihr "kindliches Urvertrauen".

Kinder leiden oft noch lange nach der Tat. Sie verlieren ihr "kindliches Urvertrauen".

(Foto: Foto: ddp)

Ein typischer Fall. Die meisten kindlichen Opfer werden dort missbraucht, wo sie eigentlich Schutz und Sicherheit erwarten sollten - im Kreis der Familie oder der Freunde und Bekannten. Ein Fall, der also typisch, aber keineswegs zwangsläufig ein Verbrechen ist.

Die meisten Delikte sexuellen Missbrauchs an Kindern sind juristisch gesehen bloße Vergehen, für sie gilt nicht die Mindeststrafe von einem Jahr, sondern von sechs Monaten. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU), eigentlich keine Hardlinerin, wenn es um Gesetzesverschärfung geht, will nun per Bundesratsinitiative einen Missstand abschaffen, den sie für unerträglich hält: "Jeder Räuber wird als Verbrecher verurteilt, wer ein Kind missbraucht, aber nicht."

"Unverständlich milde Urteile"

Merk meint jene Delikte, die der Gesetzgeber mit dem seltsamen Wort "Grundfälle sexuellen Missbrauchs" beschreibt. Dabei geht es um fast alle Taten unterhalb der Schwelle offener Gewalt. Es steht im Ermessen des Gerichts, ob es solche Taten wegen ihrer möglichen psychischen Folgeschäden als Verbrechen oder als Vergehen einstuft. Die Richter können hart strafen - sie müssen es aber nicht.

Merk geht es ums Prinzip - und um Abschreckung. Viele Täter beginnen mit kleineren Vergehen und enden bei Verbrechen. Sie sollen also gleich die ganze Härte des Gesetzes spüren. "Bei einem Vergehen hat das Gericht die Möglichkeit, das Verfahren wegen geringer Schuld einzustellen oder durch Strafbefehl zu erledigen", sagte Merk der Süddeutschen Zeitung: "Das geht bei einem Verbrechen nicht. Für Betroffene ist es völlig unverständlich, weshalb eine für sie so schlimme Tat nicht entsprechend geahndet wird."

Die rot-grüne Bundesregierung hatte frühere Vorstöße der CSU abgelehnt; auch die große Koalition will nicht handeln. Ihr Argument: Wenn jeder sexuelle Übergriff gegen Kinder ein Verbrechen wäre, müsste auch für leichtere Straftaten wie Grapschen der Tatbestand eines "minder schweren Falles" eingeführt werden.

Und es sei doch zweifelhaft, ob dies das richtige Signal an die Täter sei, heißt es im Bundesjustizministerium von Brigitte Zypries (SPD). Auch hätten die Gerichte genug Spielraum für harte Strafen. Die Deutsche Kinderhilfe beklagt dagegen "unverständlich milde Urteile".

Den Richtern scheint manches Verbrechen nicht schwer genug

In der Heckscher Klinik des Münchner Jugendpsychiaters Franz Joseph Freisleder sehen die Ärzte die Spätfolgen von Missbrauchstaten, die manchen Richtern nicht schwer genug erscheinen, um sie als Verbrechen einzustufen. "Wir haben hier Fälle massiver posttraumatischer Belastungsstörung", sagt Freisleder, "und junge Menschen mit schweren Depressionen." Der Grund: "Verlust des kindlichen Urvertrauens" durch die Tat.

Was für Taten das sind, schildert Merks Gesetzentwurf, der sich liest wie ein Katalog der Abscheulichkeiten: Ein Pädophiler, der "an einem fünfjährigen Mädchen beischlafähnliche Praktiken, massive Masturbation oder Manipulationen im äußeren Genitalbereich vornimmt", wird wegen eines Vergehens bestraft. Leider, sagt Freisleder, nutze diese Gesetzeslage nur jenen, "welche Missbrauch verharmlosen".

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