Süddeutsche Zeitung

Leben und Gesellschaft in Bayern:Legendärer Wirt hört auf

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20 Jahre lang fungierte Hans Triebel als Wirt der Gotzinger Trommel. Bald soll Schluss sein. Auch seiner Traditionswirtschaft droht das Aus.

Von Hans Kratzer

Gibt es etwas Gemütlicheres, als einen Ausflug ins Mangfalltal mit einer Einkehr im Wirtshaus Gotzinger Trommel zu beschließen? Früher wurden die Gäste schon am Eingang von den Klangwolken heiterster Opernarien umhüllt. Mozart, Verdi, Puccini, es war ein Schmettern und Jubilieren, dass es nur so eine Art hatte. Gewiss wird sich so leicht kein anderes Wirtshaus finden, in dem der Schweinsbraten im Reindl unter den Klängen von Mozarts "Don Giovanni" stundenlang vor sich hinschmurgeln darf.

"Ich bin ja mit klassischer Musik aufgewachsen", sagt Hans Triebel, der seit 20 Jahren als Wirt der Gotzinger Trommel fungiert. Sein Vater, so erzählt er in der warmen Gaststube, habe in einem Streichquartett gespielt, sein Großvater sei sogar Opernsänger gewesen. Und er selber? Ja, sagt er, "ich hab auch gesungen, 30 Jahre lang beim Kirchenchor der Pfarrei Weyarn!" Immerhin.

Triebels Stammgäste waren von der Musik weniger begeistert. "Die scheiß Opern", so derb schimpften sie. "Kannst nix machen", sagt Triebel, der sich seinem Los, es nicht allen recht machen zu können, gefügt hat. Den Verdruss darüber hüllt er in landesübliche Sprüche, die er wie eine Litanei variiert. "A so iss! Konst nix macha! Des is ungünstig!"

Ein Fuß plagt ihn, das Gehen fällt ihm schwer, er muss operiert werden. Triebel steht im 70. Lebensjahr, die Gesundheit lässt nach. Mitte Februar wird er sein Wirtshaus voraussichtlich zusperren, dann muss er ins Krankenhaus. Die Gotzinger Trommel, die der Stadt München gehört, steht vor einer unsicheren Zukunft. Es muss viel renoviert werden, vielleicht zu viel.

Dabei hat das Traditionswirtshaus in dem zwischen Weyarn und Miesbach gelegenen Weiler Gotzing viele schlechte Zeiten erlebt. Von hier aus sollen Bauernburschen anno 1705 zur Schlacht gegen die österreichischen Besatzer ausgerückt sein, wo sie nahe Sendling elendiglich hingemetzelt wurden. Seinen Namen hat das Wirtshaus von einer aus den Türkenkriegen stammenden Trommel, die im Heimatmuseum Miesbach zu bestaunen ist.

Es ist ein trüber Nachmittag, in der Stube kracht das Feuer im Kachelofen, es ist bacherlwarm. Was man von den übrigen Räumen im Haus nicht sagen kann. Im oberen Stockwerk, wo Triebel wohnt, gibt es weder eine Heizung noch fließendes Wasser. Im Winter ist es dort eiskalt. "Mei", sagt Triebel, "da muast dich halt guat zudecken."

Der Wirt sitzt allein am Tisch neben der Eingangstür, auch die übrigen drei Männer, die in der Stube mit den holzgetäfelten Wänden hocken, nehmen jeweils einen Tisch in Anspruch, hocken aber trotzdem eng beieinander. An der Rückwand sind viele Fotografien zu sehen, ansonsten prangen überall Accessoires wie Rehgwichtl, Schützenscheiben, Krüge. Auf dem WC-Schild steht noch das Wort Abort geschrieben. Triebel trägt seinen obligatorischen Jagerhut mit einer Stesserfeder auf dem Haupt, immer noch wirkt er wie ein Paradebayer aus dem Bilderbuch. Die alten Tische und Stühle sind noch beste Wertarbeit, in die Lehnen ist jeweils das Münchner Kindl hinein geschnitzt. "So was kriagst normal nimmer, das ist was Zaaches", sagt er.

Über Erkan & Stefan sagte er: "Des vergeht scho wieder!"

Ein zaacher Bursche war auch Triebel. Dass er sich nie aus der Ruhe bringen ließ, belegt jene Episode, die sich bei einer Aufzeichnung der BR-Sendung "Quer" zugetragen hatte. Der Moderator Christoph Süß unterhielt sich mit ihm an einem Stehtisch, während die damals schwer angesagten Comedians Erkan & Stefan mit ihren Bonanza-Radln um sie herumsausten und "Hey Triebel" riefen. Er sagte nur: "Des vergeht scho wieder! Wir san früher auch so gwesen."

Als Triebel 2003 die Gotzinger Trommel übernommen habe, sei die Rebellion wieder ins Wirtshaus eingezogen, schrieb neulich eine Reporterin des Münchner Merkur. Das klingt martialisch. Wenn überhaupt, dann war Triebel ein sehr sanfter Revolutionär, der höchstens skandiert hätte: "Nie wieder Krieg, nur Masskrüg!"

Bevor er als Wirt einstieg, war Triebel als selbständiger Mechaniker tätig und richtete englische Autos her ("die besten überhaupt!"). Aber er, erdverbunden mit dem Miesbacher Land, sah auch mit Sorge, wie schnell sich die Welt um ihn herum veränderte.

1989 gehörte Triebel zu den Gründern des damaligen Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte. Seit 1994 sorgte er als Vorsitzender für überregionale Schlagzeilen. "Unsere Kinder san ja net so gscheit, weil bei uns die CSU regiert, sondern weil sie von Grund auf zwei Sprachen lernen, den Dialekt als Muttersprache und das Schriftdeutsche als Standardsprache", sagte Triebel. Diese These vertritt mittlerweile auch die moderne Wissenschaft. Im Jahr 2000 überreichte er der damaligen Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU) mehr als 100 000 Unterschriften mit der Forderung an den Staat, er möge sich für den Erhalt der Mundarten einsetzen.

In der Gotzinger Trommel trafen stets Welten aufeinander. Davon animiert, erklärte Triebel 2006 Gotzing augenzwinkernd zur "Tschüssfreien Zone" und löste damit wieder ein bundesweites Echo aus. Ein solches Schild steht noch heute in einem Fenster der Wirtschaft. Wobei die Gaudi-Aktion oft missverstanden wurde. Von Landsleuten wurde Triebel angegriffen ("Denk doch an den Fremdenverkehr!"), aus dem Norden war große Zustimmung zu hören.

Wenn es sein musste, ermahnte Triebel den Generalintendanten der Staatstheater, August Everding, das Prinzregententheater werde auf der ersten Silbe betont, was Everding sorgsam beherzigte. Triebel trat in Radio- und Fernsehsendungen auf, was ihm nicht nur Freunde bescherte, sondern auch Neid. "Wenn was über dich in der Zeitung steht und koaner sagt was ..., dann woast scho, dass des ungünstig is."

Nach Triebels Abwahl folgte die Abspaltung einer Gruppe des Sprachvereins, die den Bund Bairische Sprache ins Leben rief. Der wiederum lässt auf Triebels Leistung nichts kommen. "Auf seinen Einsatz ist es wesentlich zurückzuführen, dass Bairisch heute ein viel größeres Renommee hat als vor 30 Jahren", teilte der Verein mit. Triebel nimmt noch Anteil an der Sprachentwicklung, die Aktionen der Dialektvereine aber hält er nur noch für "Alibisachen".

Die Männer in der Stube erörtern mittlerweile die Zubereitung eines Schweinsbratens "mit ana guatn Natursoss", und warum früher überhaupt manches besser war. Damals, als Triebel noch jede Woche im Theater oder in der Oper saß, als er Frank Sinatra und Liza Minelli live erlebte.

Dem Reporter gibt er mit, er solle unbedingt reinschreiben, dass er eine reiche oder auch arme Witwe suche, die ihn aufnehme, wenn er die Trommel verlasse. Große Ansprüche habe er nicht, sagt er, "a so iss hoid!"

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