Süddeutsche Zeitung

Wetterbilanz für Bayern:"Das Erlebnis Winter kann man nicht ersetzen"

  • Der vergangene war der zweitwärmste Winter in Bayern seit Beginn der Wetteraufzeichnung 1881.
  • Vor allem die Skigebiete haben darunter gelitten.
  • Für Vegetation und die Zugvögel sind die Temperaturen allerdings nicht so schlimm wie oft befürchtet.

Von Leon Potuzhek

Kaum Schnee, viele Sonnenstunden - der jüngste Winter in Bayern ist überdurchschnittlich warm gewesen, beinahe ist er sogar ein neuer Rekordwinter geworden. Die Temperatur lag im Schnitt bei 2,6 Grad und damit 3,1 Grad über dem Durchschnittswert des letzten, offiziellen 30-jährigen Vergleichzeitraums bis 2010.

Es handelt sich damit um Platz zwei der wärmsten bayerischen Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnung 1881, hinter dem Rekordwinter von 2006. Für Stefan Zender, Meteorologe beim "Wetterkontor", steht fest: "Insgesamt war dieser Winter viel zu mild." Für ihn war neben der Temperatur das ausschlaggebende Zeichen der überdurchschnittliche Sonnenschein. Das Wetter kann Folgen haben für Wintersport, Landwirtschaft, Kommunen oder die Tierwelt - Zeit für eine erste Bilanz, kurz vor dem kalendarischen Frühlingsanfang am 20. März.

Nicht profitieren von Sonnenstunden und Wärme konnte der Ski-Tourismus. So ist zum Beispiel Englmar Budweiser vom "Pröller Skidreieck" im Bayerischen Wald einer von denen, die unter dem Vize-Rekordwinter zu leiden hatten. Statt Schneefall gab es dort einen Totalausfall: Zweimal versuchte man es mit maschinellem Schnee, zweimal schmolz selbst dieser. Keine Chance für Talskibetrieb, die Lifte standen den ganzen Winter über still. Anders sah der Winter nur 30 Kilometer weiter östlich aus - weiß statt grün, Schnee statt Stein und Gras. In Bodenmais war von der Weihnachtszeit an Skifahren und Langlauf zumindest in höheren Lagen möglich, Mitte Januar verbesserte sich die Lage nochmals. Zudem profitierte das hoch gelegene Bodenmais von der Schneearmut umliegender Skigebiete und verbuchte gar den besucherstärksten Februar aller Zeiten.

Trotzdem weiß Geschäftsführer Marco Felgenhauer, dass man eventuell bald umplanen müsse. Schon dieses Jahr waren hauptsächlich Wanderurlauber vor Ort, Wintersportler zogen in andere, kältere Regionen weiter. Ein Trend, der sich in weiteren schneearmen Jahren fortsetzen könnte. Wer gerne Ski fährt, wird das auch weiterhin machen. Dann aber in kälteren Regionen. "Das Erlebnis Winter kann man nicht ersetzen. Wenn der Schnee länger ausbleibt, müssen wir eben auf andere Konzepte setzen, wie zum Beispiel auf eine längere Wandersaison", sagt Felgenhauer.

"Insgesamt war das einer der schlechteren Winter der vergangenen fünf Jahre", zieht auch Peter Lorenz Bilanz, Geschäftsführer der Brauneck- und Wallbergbahnen. Zwar liegt am Brauneck immer noch Schnee, seit Mitte Dezember herrschen gute Pistenbedingungen. Folgen der Schneearmut im Rest vom Freistaat spürt Lorenz hier aber trotzdem: "Wenn in weiten Teilen Bayerns kein Schnee liegt, kommen die Menschen nicht in die richtige Stimmung zum Skifahren."

Gelassener blickt die Landwirtschaft auf den Winter, wie Peter Doleschel erklärt, Leiter des Instituts Pflanzenbau und -züchtung der Landesanstalt für Landwirtschaft. Die Startbedingungen für die Vegetation seien gut, der Oberboden gut durchfeuchtet. Problematisch könnten die milden Temperaturen jedoch für Gehölze wie den Apfelbaum werden. Durch verfrühtes Blühen steige das Risiko, dass die Blüten im Spätfrost wieder absterben.

Und wie beeinflusste der Winter die Tiere in Bayern? Zoologe Josef Reichholf, Honorarprofessor der TU München, beruhigt. Zugvögeln in Afrika sei es "komplett egal, wie das Wetter in Bayern ist". Auch das gern aufgeführte Negativ-Beispiel des Igels, der aus seinem Winterschlaf aufwacht, entkräftet Reichholf. "Ein kurzzeitiges Aufwachen ist bei Igeln ganz normal. Entscheidend ist immer der Zustand, in dem der Igel in die Überwinterung gegangen ist, also die Futtersituation im Sommer davor." Auch Insekten würden vom milden Winter nicht sonderlich beeinflusst. Reichholf sagt: "Die Bodenoberfläche bleibt verhältnismäßig kalt, da gibt es kaum nennenswerte Verschiebungen in der Entwicklung." Ob es im Sommer eine Mückenplage geben wird, entscheide dagegen erst das Frühjahrswetter.

Probleme haben nach diesem Winter die Liebhaber des fränkischen Eisweins. Dessen Produktion fiel heuer aus. Den Trauben war es nicht kalt genug.

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SZ vom 17.03.2020/vewo
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