Auf den ersten Blick sieht der Zug aus wie jeder andere, der am Augsburger Hauptbahnhof hält: langgestreckt und mit Fenstern und Türen, wo diese erwartungsgemäß hingehören. Der zweite Blick verrät, dass trotzdem etwas an dieser Regionalbahn anders ist. Da wäre etwa der symbolhafte Namen, auf den der Zug getauft wurde und der an seiner Bordwand prangt: „Freistaat Bayern“. Und da wäre der Aufdruck „H₂“. Denn der neueste Zugang auf Schwabens Gleisen fährt nicht mit Strom aus der Oberleitung oder Diesel aus dem Tank, sondern mit dem Element hinter jenem Kürzel: Wasserstoff.
Seit dieser Woche ist der Wasserstoffzug im Einsatz, im alltäglichen Betrieb und zugleich als Pilotprojekt. Es geht darum, eine Technologie zu erproben, die theoretisch für manche Nebenstrecke interessant sein könnte. Praktisch hat sie den Haken, dass sie als so eine Art Notlösung gilt – sogar im bayerischen Verkehrsministerium, das erst das Projekt ermöglicht hat. „Am besten ist es, mit Elektrozügen unter Fahrdraht fahren zu können“, sagte Minister Christian Bernreiter (CSU) noch vor der ersten Passagierfahrt dem Bayerischen Rundfunk.
Trotzdem möchte man nun herausfinden, welche Rolle Wasserstoff künftig für Bayerns Eisenbahnen spielen könnte. Dazu pendelt der Wasserstoffzug zunächst zwischen Augsburg und Füssen. Zum Einsatz kommt ein Siemens Mireo Plus H mit einer Reichweite von bis zu gut 1000 Kilometer. Getankt wird in Augsburg mit Wasserstoff, der aus regenerativen Energien stammen soll. Im Verkehrsministerium erhofft man sich unter anderem Erkenntnisse darüber, wie gut die Versorgung mit Wasserstoff gelingt, wie sich der Betrieb unter verschiedenen Bedingungen verändert und wohin sich die Kosten entwickeln.
Absehbar ist schon jetzt der Handlungsdruck. Nur ungefähr die Hälfte des bayerischen Schienennetzes ist bislang elektrifiziert. Geht es nach der Staatsregierung, soll sich das ändern, auch dem Klimaschutz zuliebe: Bis 2040 soll der Dieselantrieb bestenfalls der Geschichte angehören, so ist es in der bayerischen Elektromobilitätsstrategie Schiene festgehalten. Doch das Ziehen von Oberleitungen ist mitunter langwierig und teuer und nicht überall gleichermaßen machbar. Alternative Antriebsformen könnten auf manchen Strecken in die Bresche springen – und Züge mit Brennstoffzelle scheinen da perfekt ins bayerische Konzept zu passen: Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) gilt als Wasserstoff-Fan und Antreiber entsprechender Projekte. Als etwa der Wasserstoffzug im vergangenen Jahr eine erste Probefahrt in Schwaben absolvierte, ließ sich Aiwanger vor ihm für eine Pressemitteilung seines Hauses ablichten. Überschrift des Textes: „Wasserstoff ist die richtige Lösung für viele Bereiche, von Auto und Lkw bis Heizung und Zug.“
Doch daran mehren sich für den Eisenbahnbereich Zweifel. Zum einen kommt der Aufbau einer Wasserstoffindustrie bislang nicht recht von der Stelle, was den Wasserstoff selbst zum knappen Gut macht. Zum anderen kennt man ähnliche Tests mit Wasserstoffzügen aus anderen Regionen Deutschlands, mit teils ernüchterndem Ergebnis. Aus dem Taunus meldeten Medien immer wieder Probleme mit ihnen, weshalb die Verkehrswende dort ein Stück zurückgedreht wird: Vorerst sollen wieder Dieselzüge fahren. Und Niedersachsen startete schon vor Jahren einen großen Versuch. Als man dann 2023 vor der Wahl stand, entweder neue Züge mit Wasserstoff-Antrieb oder mit Akku anzuschaffen, fiel die Wahl auf letztere. „Akku-Züge sind im Betrieb günstiger“, begründete die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen ihre Entscheidung.

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Auf all das verweist auch die Fahrgastvereinigung Pro Bahn. Grundsätzlich funktioniere das Ganze, sagt der Vorsitzende Lukas Iffländer am Telefon – nur eben nicht so gut wie gedacht. Vor allem die Beschaffung des Wasserstoffs ist demnach immer wieder ein Problem und der Bau von Tankstellen teuer. Den nun anlaufenden Versuch in Bayern sieht Iffländer vor allem als „PR-Projekt“, geschuldet einem „politischen Hype“. Wolle der Freistaat bis 2040 dieselfrei sein, brauche er keine Züge mit Brennstoffzelle: Viele Elektrifizierungslücken ließen sich bis dahin schließen – und wo es noch welche gebe, seien Akkutriebzüge die bessere Wahl.
Auch im Verkehrsministerium sieht man offenbar die Probleme. Die Elektrifizierung von Strecken sei weiter „die Vorzugslösung“, heißt es auf SZ-Anfrage. Und: „Die vom Freistaat in Auftrag gegebenen Gutachten haben gezeigt, dass der Betrieb von Wasserstoff-Zügen kostenintensiv ist, gerade auch im Hinblick auf die herzustellende Wasserstoff-Infrastruktur“. Bereits beschlossen sei, dass zwischen Mühldorf und Burghausen von Ende 2026 an Wasserstoff-Züge zum Einsatz kämen. Wo sie darüber hinaus sinnvoll seien, würden weitere Gutachten für bestimmte Strecken zeigen.
Bis dahin werden die Wasserstoffzüge in Schwaben erst einmal weiterfahren. Der Testbetrieb ist auf 30 Monate ausgelegt; der Start verlief laut Ministerium „störungsfrei“.