Allgäuer Alpen:Investorengruppe prüft Bau eines Wasserkraftwerks in Allgäuer Schutzgebiet

Allgäuer Alpen: Die Stillachklamm ist bislang weitgehend unberührt. Das könnte sich mit den Plänen für ein Wasserkraftwerk ändern.

Die Stillachklamm ist bislang weitgehend unberührt. Das könnte sich mit den Plänen für ein Wasserkraftwerk ändern.

(Foto: Waldvogel/BN)

Die Stillachklamm ist ein Naturjuwel. Doch es droht ein massiver Eingriff: Die geplante Anlage soll zehn Prozent des Strombedarfs von Oberstdorf decken, heißt es von den Gemeindewerken. Der Bund Naturschutz droht schon mal mit Klage.

Von Christian Sebald, Oberstdorf

Die Stillachklamm zählt zu den Naturjuwelen in den Allgäuer Hochalpen. Oben an der Alpe Buchrain nimmt der Rappenalpenbach den Bacherlochbach in sich auf und gurgelt gleich darauf in sie hinein. Dann stürzt er über mit einem dichten Bergmischwald bewachsene Felsschwellen hinab. Und ungefähr eineinhalb Kilometer weiter abwärts fließt er als Stillach aus ihr heraus. Die Klamm selbst ist bisher unberührt, kein Weg führt in sie hinein. Einzig an ihren oberen Rändern kann man einen Pfad und eine schmale Almstraße an ihr entlangwandern oder -radeln und immer mal wieder durch das Nadel- und Blattwerk einen Blick in die Tiefe werfen.

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(Foto: SZ-Karte/Mapcreator.io)

Unter Naturliebhabern ist das Gebiet im Südwesten von Oberstdorf (Landkreis Oberallgäu) bekannt für seinen Reichtum an zum Teil extrem seltenen Arten. Ein Beispiel ist die Wasseramsel, der einzige heimische Singvogel, der schwimmen und tauchen kann. Sie kommt hier in ansehnlicher Zahl vor. So wie auch der tiefschwarz glänzende Alpensalamander und die deutschlandweit als stark gefährdet eingestufte Rotflügelige Schnarrschrecke. Die Stillachklamm ist denn auch streng geschützt - nach deutschem wie europäischem Naturschutzrecht. Außerdem zählt sie zu den ganz wenigen Gewässern in Bayern, denen ein sehr guter ökologischer Zustand attestiert wird.

Nun droht der Stillachklamm ein massiver Eingriff, der das Zeug für einen Präzedenzfall haben könnte. Eine Investorengruppe will prüfen, ob mitten in dem hochkarätigen Schutzgebiet ein Wasserkraftwerk errichtet werden kann. Unter den potenziellen Investoren sind die Gemeindewerke Oberstdorf mit ihrem Geschäftsführer Hans-Peter Hagenauer. Ihr Argument: Mit der Anlage könnte der 10 000-Einwohner-Ort zehn Prozent seines Strombedarfs decken - "erneuerbar, sauber, zuverlässig, flexibel und langlebig". So kann man es in einer Präsentation der Gemeindewerke nachlesen. Der Oberstdorfer Gemeinderat hat schon befürwortet, dass sie sich an einer Machbarkeitsstudie beteiligen.

Der Bund Naturschutz (BN) übt heftige Kritik. "Die Stillachklamm ist einzigartig und von deutschlandweitem Rang", sagt BN-Chef Richard Mergner. "Sie muss genauso geschützt bleiben wie Schloss Neuschwanstein und andere bedeutende Kulturdenkmäler." An der lokalen Basis sehen sie das nicht anders. "Die Stillachklamm ist ein Kernelement des Naturschutzgebiets Allgäuer Hochalpen und ein besonderer Reiz für unsere Urlauber und anderen Gäste", sagt der Vorsitzende der BN-Ortsgruppe, Michael Finger, der auch dem Oberstdorfer Gemeinderat angehört. "Ein Wasserkraftwerk dort wäre ein schlimmer Eingriff." Für den Fall, dass das Projekt tatsächlich realisiert werden soll, kündigt der BN schon mal den Gang vor Gericht an.

Das Wasserkraftwerk an der Stillachklamm ist ein Uraltprojekt, das seit vielen Jahren immer mal wieder die Gemüter in der Region erhitzt. Bislang haben die Investoren aber immer wieder einen Rückzieher gemacht. Ein wichtiger Grund war, so kann man es dieser Tage in Oberstdorf hören, der maximale Naturschutz, unter dem das Gebiet steht. Außerdem hätten sich die Investoren letztlich nie wirklich einigen können. Näheres ist nicht zu erfahren. Der Oberstdorfer Bürgermeister Klaus King (CSU), mit dem man gerne über das Projekt sprechen würde, reagiert nicht auf Anfragen.

Dass die Investoren nun einen neuen Anlauf nehmen, hat einen Grund. Die "Rechtslage für erneuerbare Energien ist zu gut wie noch nie", heißt es in der Präsentation der Gemeindewerke. Sie beziehen sich dabei auf allerlei neue Verordnungen und Gesetze sowohl in der EU, als auch auf Bundes- und auf Landesebene. Sie haben alle zum Ziel, Tempo in den Klimaschutz zu bringen. Bau und Betrieb von Erneuerbare-Energien-Anlagen lägen im "überragenden öffentlichen Interesse" und dienten der öffentlichen Sicherheit, heißt es beispielsweise im aktuellen Erneuerbare-Energien-Gesetz. Deshalb sei ihr Ausbau ein "vorrangiger Belang".

Unlängst hat sogar das bayerische Umweltministerium die Bezirksregierungen, Landratsämter, Wasserwirtschaftsämter und das Landesamt für Umwelt angeschrieben und eindringlich darauf hingewiesen, dass in Zukunft "jegliche Entscheidungsspielräume (...) auszunutzen sind, um Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien zulassen zu können" - gerade gegenüber dem Natur-, Arten- und Wasserschutz. Für die Wasserkraftbranche war das Schreiben Anlass, für den Bau neuer Wasserkraftwerke zu werben.

Experten glauben nicht an das Potenzial der Wasserkraft

Beim BN befürchten sie nun, dass auch anderswo in Bayern plötzlich wieder über den Bau neuer Wasserkraftwerke debattiert werden könnte. Dabei ist aus Sicht der Organisation das Potenzial nahezu ausgeschöpft. "Auch das kann man am Beispiel der Pläne für die Stillachklamm aufzeigen", sagt BN-Chef Mergner. Er verweist auf den Masterplan des Landkreises Oberallgäu, mit dem die Region bis 2035 klimaneutral werden will. Danach werden im Oberallgäu 86 Prozent des denkbaren Wasserkraft-Potenzials ausgeschöpft. Die verbleibenden 14 Prozent ließen sich "in erster Linie durch eine Optimierung bestehender Anlagen" erzielen, heißt es in der Studie. Ganz anders ist das bei der Photovoltaik, wo im Oberallgäu bisher nur knapp neun Prozent des regionalen Potenzials genutzt werden. Bei der Windkraft sind es sogar nur 5,6 Prozent.

Auf ganz Bayern bezogen fällt die Statistik laut Mergner keineswegs besser für die Wasserkraft aus. Der BN-Chef bezieht sich dabei auf den Energieatlas von Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger, der im Internet einzusehen ist. Der Freie-Wähler-Politiker ist ein Wasserkraft-Fan. "Bayern bekennt sich klar zur Wasserkraft", hat er kürzlich wieder bekräftigt. "Sie ist die Keimzelle der bayerischen Energieversorgung und muss auch eine klare Zukunftsperspektive haben." Deshalb hat Aiwanger sogar ein Förderprogramm für kleine Wasserkraftwerke aufgelegt.

Derweil trauen seine Experten der Wasserkraft offenkundig nur wenig Ausbaupotenzial zu. Zwar listen sie im Energieatlas mehr als hundert mögliche neue Kraftwerkstandorte auf. Allerdings beziffern sie die Leistung all dieser Anlagen insgesamt auf ungefähr 25 Megawatt. Das ist gerade mal so viel, wie vier bis fünf moderne Windräder haben. "Das ist energiepolitischer Kiki", sagt Mergner, "wir sollten uns auf den Ausbau der Windkraft und der Photovoltaik konzentrieren, statt dauernd von der Wasserkraft zu reden."

Bei der Vereinigung Wasserkraftwerke in Bayern (VWB) will man das nicht stehen lassen. Die Organisation versteht sich als Interessenvertretung gerade von kleinen Wasserkraftwerken wie dem in Oberstdorf geplanten. Aus der Sicht von Verbandschef Fritz Schweiger kann die Energiewende nur mit der Wasserkraft gelingen. Denn sie hat den großen Vorteil, dass sie grundlastfähig ist - also konstant und zuverlässig Strom produziert. Windkraft und Photovoltaik dagegen sind volatil, sie liefern nur Strom, wenn der Wind bläst und die Sonne scheint. Was die Pläne in Oberstdorf anbelangt, gibt sich freilich auch Verbandschef Schweiger zurückhaltend. "Man kann da nicht pauschal Stellung beziehen", sagt er. "Man muss bei jedem Vorhaben alle Aspekte sehr genau und sorgfältig abwägen."

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