Gutachten zum Verbiss:Wild frisst Wald

Rehbock aest ein Laubblatt vom Haselstrauch im Mischwald. Rehbock *** roebuck aest a leaf from the hazel bush in mixed f

Lecker: Der Rehbock lässt es sich schmecken, doch für den Wald ist der Verbiss durch das Wild ein Problem.

(Foto: Harald Lange/imago)

Jeder fünfte Laubbaum in Bayerns Wäldern wird von Rehen, Hirschen oder Gämsen verbissen. Die Jäger müssten mehr Tiere schießen, fordert die Forstministerin. Doch die sind skeptisch.

Von Christian Sebald, München

Kein Zweifel, die Wälder in Bayern haben sich dieses Jahr etwas erholt. Denn es hat vergleichsweise viel geregnet und nur wenige wirklich heiße Sommertage gegeben. Das heißt aber nicht, dass es den Wäldern nun grundsätzlich besser geht. Zum einen dürfte die Klimakrise, die ihnen schwer zu schaffen macht, nur "eine Atempause eingelegt haben", wie Forstministerin Michaela Kaniber (CSU) sagt. Zum anderen leben in vielen Wäldern so viele Rehe, Hirsche und in den Bergen auch Gämsen, dass es vor allem die jungen Laubbäume sehr schwer haben, hochzukommen. Das zeigt jetzt einmal mehr das "Forstliche Gutachten", das Kaniber am Mittwoch im Landtag vorgestellt hat.

Jeder fünfte kleine Laubbaum in den bayerischen Wäldern wird demnach so vom Wild verbissen, dass er nicht richtig wachsen kann. Passiert das mehrere Jahre im Folge, ist es gut möglich, dass er abstirbt. Die Folge: Trotz aller Bemühungen der Förster um artenreiche Mischwälder geht auf lange Frist die Zahl der Laubbäume in den Forsten zurück. Stattdessen setzen sich vor allem Fichten durch, die das Wild nicht wirklich mag. In der Hälfte der 750 Hegegemeinschaften in Bayern - das sind die Einheiten, zu denen die 12 700 Jagdreviere im Freistaat zusammengefasst sind - ist der Verbiss so stark, dass die Jäger dringend mehr Wild erlegen müssten, um die Waldschäden zu senken und so den Aufbau stabiler Mischwälder zu ermöglichen.

Ministerin Kaniber will sich nicht mit dieser Situation abfinden - zumal das neue Gutachten mit seinen schlechten Werten praktisch nahtlos an das von 2018 anschließt. "Uns allen muss klar sein, dass unsere Wälder die Klimakrise nur bewältigen können, wenn zukunftsfähige Baumarten wie die Buche oder die Eiche eine Chance haben, zu stabilen Mischwäldern heranzuwachsen", sagt sie. "Aber genau das ist in zu vielen Jagdrevieren noch nicht der Fall." Kaniber appelliert eindringlich an die Jäger, zusammen mit den Waldbesitzern "für waldverträgliche Wildbestände" zu sorgen. "Wir dürfen dabei keine Zeit mehr verlieren", sagt sie. "Der Klimawandel sitzt uns zu deutlich im Nacken."

Die Forstlichen Gutachten sind unter Jägern höchst umstritten. Zwar basieren sie auf einem ausgeklügelten wissenschaftlichen Verfahren. Die Förster haben dafür auf ungefähr 22 000 Waldstücken quer durch ganz Bayern mehr als zwei Millionen junge Bäume auf Wildschäden untersucht. Außerdem treffen sie nicht mehr nur Aussagen für die 750 Hegegemeinschaften. Sondern auch für 9000 der 12 700 Jagdreviere. Und sie sind transparent. Zu der Probenaufnahme sind die jeweiligen Waldbesitzer und Jäger eingeladen. Gleichwohl bestreiten viele Jäger die Aussagekraft der Analysen. Der langjährige Präsident des Bayerischen Jagdverbands (BJV) und CSU-Politiker Jürgen Vocke etwa hat sie während seiner gesamten 25-jährigen Amtszeit heftig attackiert.

"Wildschäden stagnieren auf hohem Niveau"

Auch Vockes Nachfolger, dem CSU-Abgeordnete Ernst Weidenbusch, wird nachgesagt, dass er wenig von den Gutachten hält. Im Februar kritisierte er in einem Fernsehinterview, dass sie nicht ausreichend zwischen den einzelnen Baumarten, der natürlichen Verjüngung, der Saat und der Pflanzung von Bäumen unterschieden. Jetzt sagt er: "Wir warten auf die Ergebnisse zu den mit der Ministerin Michaela Kaniber vereinbarten differenzierten Betrachtungen zur tatsächlichen Naturverjüngung und zu den Beschirmungssituationen. Diese Ergebnisse werden wir sorgfältig prüfen und daraus Schlüsse für zukünftige, bessere Gutachten ziehen."

Die Grünen und der Bund Naturschutz (BN) verlangen eine schärfere Jagd. "Wir haben in unseren Wäldern Wildschutzzäune mit 13 000 Kilometern Gesamtlänge stehen. Das entspricht der gesamten Außengrenze der EU", sagt der Grünen-Politiker Hans Urban. "Dennoch stagnieren die Wildschäden auf hohem Niveau. Das kann es nicht sein." BN-Chef Richard Mergner fordert, dass die Jagdbehörden "endlich den - auch gesetzlich festgeschriebenen - Vorrang der Wälder und ihren Gemeinwohlfunktionen" zum Beispiel für den Klimaschutz vor dem Privatinteresse der Jäger an hohen Wildbeständen durchsetzen.

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