Süddeutsche Zeitung

Donaulied:Sexismus im Bierzelt

Das Donaulied wird schon seit Generationen bei Feiern gegrölt, kaum jemanden hat es gestört, dass darin die Vergewaltigung einer schlafenden Frau besungen wird. Jetzt hat eine Studentin eine Petition dagegen gestartet.

Von Hans Kratzer

Schon seit Generationen wird bei allerlei Festen das Donaulied angestimmt, ein Sauflied, bei dem der bierseligen Masse das Mitgrölen nicht schwerfällt. Dieses Lied hat aber vermutlich keine große Zukunft mehr, denn wer wird es künftig wagen, die Vergewaltigung eines schlafenden Mädchens zu besingen? Es ist seltsam, dass der Text so lange ignoriert und akzeptiert wurde: "Ich machte mich über die Schlafende her, Ohohoholalala, . . ." Die eingängige Melodie hat den Text bislang gehörig überdeckt.

Die Passauer Studentin Corinna Schütz klagt, viele Leute machten sich darüber nur wenig Gedanken. Deshalb hat sie im Internet eine "Aktion gegen Bierzelt-Seximus" ins Leben gerufen, die binnen weniger Tage mehr als 27 000 Menschen unterzeichnet haben. Die Studentin sagt, das Donaulied vermittle ein Weltbild, das sexuelle Gewaltfantasien gegen Frauen normalisiere und verherrliche. Sie sei nicht gegen Traditionen und gehe gern auf die Dult, "aber dann stehen wir auf der Bierbank und müssen uns so etwas anhören".

Im Internet trat sie damit eine zum Teil aggressiv geführte Diskussion los, die sich um die Frage dreht, ob so ein Lied Teil der heimischen Kultur sein könne. Während die einen reflexartig einen Angriff auf alte Traditionen wittern, beurteilen andere wie etwa der Freiburger Kulturforscher Michael Fischer den Text des Donauliedes "aus heutiger Sicht als unerträglich". Das Lied, dessen Ursprung im 19. Jahrhundert zu verorten ist, habe in den Fassungen mit den sexuellen Inhalten nichts mit Humor oder Traditionspflege zu tun. Die jetzt in der Kritik stehende Version sei möglicherweise im Ersten Weltkrieg entstanden.

In den vergangenen Jahrzehnten sind Texte von Volksliedern selten hinterfragt worden, erst recht nicht mit Blick auf möglichen Sexismus. Ebenso wenig geschieht das bei Schlagertexten, in denen oft unverhohlen sexuelle Inhalte zum Ausdruck kommen; man höre sich dazu alte Liedtexte von Roland Kaiser, Peter Maffey, Andy Borg, aber auch von Helene Fischer genauer an, ganz zu schweigen von sexistischen Texten der Rockmusik, etwa bei den Rolling Stones. Diese werden noch übertroffen von der extrem frauenverachtenden Kultur der Rapmusik, die sich ungeachtet dessen größter Beliebtheit erfreut.

Sogar "Der Jäger aus Kurpfalz" eines der berühmtesten deutschen Volkslieder, 1794 erstmals nachweisbar, hat einen "Beigeschmack", wie es die Rhein-Neckar-Zeitung einmal formuliert hat. Das Lied, das von den Vergnügungen der Jagd handelt, hatte ursprünglich einen derben sexuellen Inhalt. In modernen Liederbüchern sind die anzüglichen Strophen 3 bis 5 nicht mehr enthalten. Dadurch ergibt aber das Symbol des Kuckucks in Strophe 6, welches auf das Zeugen unehelicher Kinder verweist, keinen Sinn mehr. Der Kurpfälzer Jäger von höherem Stand "traf ein Mägdlein an, Und das war achtzehn Jahr", heißt es im Lied.

Die Jagd diente damals auch erotischen Vergnügungen der Fürsten mit Mädchen aus dem Volk. Seines Textes wegen wurde das Lied in die Kursächsische Liedverbotsliste 1802 aufgenommen. In der reduzierten Fassung aber reitet der Jäger bis heute in vielen Lieder- und Schulbüchern, und weil sich auf die Melodie prima marschieren lässt, findet sie sich auch in manchem "Liederbuch für Soldaten".

Abgemilderte Versionen gibt es auch vom Donaulied, eine davon singt der Ballermann-Held Mickie Krause. Astrein ist auch sein Text nicht, befremdlich wirken die Youtube-Videos, auf denen junge Frauen und kleine Kinder neben Krause grölen und hüpfen. Der Text ist in Me Too-Zeiten noch schlüpfrig genug: ". . . ihr schneeweißer Busen war halb nur bedeckt . . ."

Der Literaturwissenschaftler Reinhard Wittmann sagt, das Absingen schmutziger und derber Lieder sei schon im 16. und 17. Jahrhundert üblich gewesen. Das Thema Sexualität griffen damals sowohl galante Dichter in der Hochlyrik als auch die sehr derbe Volkslyrik auf. "Es wolt ein Meyer meyen" heißt ein erotisches Lied aus dem 16. Jahrhundert, das die Begegnung eines Mähers und einer jungen Frau in zweideutigen Textmetaphern schildert. Das Lied erzählt von einem Mann, der es versteht, die Topografie des weiblichen Körpers zu ergründen. In der Folkszene der 1970er-Jahre wurde das Lied wieder populär, neu vertont vom Duo Zupfgeigenhansel.

Am Beginn des 20. Jahrhunderts begann sich die Forschung für erotische Volkslieder zu interessieren. Es erschienen Sammlungen wie der noch heute gefragte Band "Das schamlose Volkslied" von dem Wiener Leo Schiedrowitz (1921). In Bayern gab der Schriftsteller Georg Queri das Werk "Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern" heraus sowie das derb-erotische Wörterbuch "Kraftbayrisch" (1912). Als gegen Ende der 1920er-Jahre das Interesse verebbte, erschienen die Volksliedsammlungen ohne erotische Lieder. Dadurch entstand ein schiefes Bild, denn die von da an propagierte Reinheit des Volkslieds gab es nicht, wie die Texte alter Zeiten belegen.

Wirtshauslieder erschienen den Volksmusikpflegern zu unbedeutend, als dass sie Beachtung verdient hätten, sagt der Volksmusikforscher Eginhard König. Doch vermitteln gerade diese Lieder einen tiefen Einblick in die Moral früherer Zeiten. Der Berliner Friedrich Nicolai nannte die Baiern 1785 spöttisch "rohe Kinder der Natur, unverwöhnt, voll Trieb". Das kommt auch in dem bekannten Wirtshauslied "D'Wirtsdirn vo Haselbach" zum Ausdruck: "Ham ma scho Menscher ghabt / nach der Wahl, / ham mas ghabt grob und aa schee; grad mit der Wirtsdirn vo Haselbach /muass uns halt gar so schlecht geh."

Die Derbheit früherer Kommunikation belegt eindrücklich Queris Buch "Kraftbayrisch". Von Scham ist dort keine Spur. Es enthält eine gewaltige Fülle von Redewendungen und Wörtern, aus deren unmoralischem Fundus auch das Donaulied schöpft. "Mei Vater is a Schuaster, a Schuaster bin i, mei Vater flickt d'Stiefi, und d'Menscher flick i."

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SZ vom 06.06.2020/lfr
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