Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat vor der Ausbreitung der „Reichsbürger“-Gruppe „Königreich Deutschland“ (KRD) gewarnt. „Seit Ende 2022 sind in Bayern vermehrt Aktivitäten der Gruppierung zu verzeichnen, vor allem in Mittelfranken, im nördlichen Oberbayern sowie in der Oberpfalz“, sagte Herrmann am Montag bei der Vorstellung der Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2024. Trotz staatlicher Maßnahmen nehme die Zahl der „Reichsbürger“ im Freistaat zu. Schon laut Bericht vom vergangenen Jahr hat die Szene mehr Zulauf, 5400 Personen werden demnach in Bayern dem Spektrum zugerechnet, ein Höchststand. Die Behörden versuchen, Anhänger der insgesamt heterogenen Bewegung zu identifizieren und zu entwaffnen.
Laut Landesamt für Verfassungsschutz werbe KRD mit Steuerfreiheit und geringeren Sozialabgaben sowie einem geschlossenen Geldsystem. Bundesweit haben sich rund 700 Unternehmen dem KRD angeschlossen – für Bayern verzeichnet das Melderegister der „Reichsbürger“ Unternehmen „im mittleren zweistelligen Bereich“, so der Verfassungsschutz. Ihn mache es fassungslos, dass sich auch Unternehmer aus Bayern „auf so einen Unsinn“ einließen, sagte Herrmann. Um Mitglieder zu werben, habe KRD vor allem sein Seminar- und Kennenlernangebot ausgebaut. Aufgrund wachsender Mitgliederzahlen steigere KDR zudem seine Einnahmen und erwerbe bundesweit Grundstücke. In Bayern sei jedoch bisher keine Immobilien erworben worden, so Herrmann.
Als weitere akute Bedrohung nannte Herrmann Spionageaktivitäten. Die „steigende Gefahr durch klassische Spionage- und Sabotageakte“ dürfe auch in Bayern nicht unterschätzt werden. Herrmann nannte beispielhaft die Festnahme mutmaßlicher prorussischer Spione im April in Bayreuth. Als weitere Gefahr aus Russland bezeichnete Herrmann die Verbreitung staatlicher gesteuerter Desinformation. In diesem Zusammenhang habe das Landesamt für Verfassungsschutz zuletzt Informationen über die russische Desinformationskampagne „Doppelgänger“ bekommen, mit der prorussische Erzählungen auf gefälschten Nachrichtenseiten verbreitet werden.
Aber auch Extremisten anderer Ideologien hätten 2024 bisher nichts unversucht gelassen, Staat und Demokratie ins Wanken zu bringen. Explizit nannte Herrmann „rechtsextremistische Remigrationsfantasien“ und „unerträglichen Antisemitismus von auslandsbezogenen Extremisten und deutschen Linksextremisten“. Antisemitismus war bereits ein Schwerpunkt bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichts 2023.
Mit Blick auf den Islamismus sagte Herrmann, dass Bayern Ziel von Islamisten sei und erinnerte an Anschlags-Drohungen anlässlich von Sportveranstaltungen in der Münchner Allianz-Arena. Nach jüngst vereitelten Anschlägen auf Taylor-Swift-Konzerte in Wien betonte Herrmann, dass es zurzeit aber keine konkreten Hinweise auf Anschlagspläne in Bayern gebe. Der Verfassungsschutz ordnet dem salafistischen Spektrum in Bayern aktuell 730 Personen zu. 70 von ihnen sind zwischen 15 und 25 Jahre alt.
Radikalisierung über Social Media sei weiterhin ein großes Thema, so der Bericht. Als Beispiel skizziert er die Geschichte eines bayerischen Jugendlichen, der über „vorgeblich humoristische Memes“ in jihadistische Chat-Gruppen kam, in denen IS-Propaganda geteilt wurde. Schlussendlich habe er Anschlagsabsichten kommuniziert. Herrmann forderte den Bund auf, „den Kampf gegen islamistischen Terror mit der gleichen Konsequenz zu führen wie den Kampf gegen Rechtsextremismus“.
Mit Blick auf Rechtsextremismus in Bayern sagte Herrmann: „Die Vernetzung der AfD in das extremistische Vorfeld hat qualitativ und quantitativ zugenommen.“ Beispielhaft sei das Zusammenwirken mit der Identitären Bewegung. Des Weiteren beschreibt der Bericht eine erhöhte Aktivität der „Nationalrevolutionären Jugend“ (NRJ). Bei Veranstaltungen in Bayern sei die Gruppe öffentlichkeitswirksam aufgetreten. „Recht unverhohlen gibt die NRJ dabei zu erkennen, dass Gewaltanwendung gegenüber dem Gegner kein Tabu ist.“
Auch die Antifa legitimiere körperliche Angriffe auf politische Gegner, heißt es im Bericht. Vor der Europawahl sei linksradikaler Aktivismus gegen AfD-Mitglieder zu beobachten gewesen. Die Gewaltbereitschaft der linksextremen Szene sei hoch, sagte Herrmann. „Doch absolut gar nichts rechtfertigt den Angriff auf das Leben von Menschen, egal welche Ideologie sie auch vertreten mögen.“ Mit Präsenz bei Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus wollten Linksextremisten den Eindruck erwecken, dass „ihre extremistischen Zielsetzungen von einem wesentlich größeren Teil der Gesellschaft geteilt werden“, sagte Herrmann. Der Innenminister rief die Gesellschaft dazu auf, wachsam zu sein.