In den Corona-Jahren, als der Radius begrenzt und die Sehnsucht nach Freiheit groß war, hat die Camping- und Caravaning-Branche einen Boom erlebt. Von diesem Trend hat das Start-Up-Unternehmen „Vagabond Vans“, das Andreas Stricker im Jahr 2021 gegründet hat, allerdings nicht profitiert. „Die Leute wollten schnell raus und haben erst mal den ganzen Gebrauchtwagenmarkt leer gekauft“, sagt der 34-Jährige. Die „Vabos“, die er und sein Team in einer Halle im Tölzer Gewerbegebiet Farchet ausbauen, haben Wartezeiten von einem Jahr. Denn von der Stange sind die Vans nicht, es sind Lebensträume auf vier Rädern. Nach individuellen Wünschen gefertigt, mit moderner Technologie und hochwertigen Materialien. Und vor allem: schönem Design.

Ausgebaut werden ausschließlich Mercedes Sprinter; seit einem Jahr hat das junge Unternehmen eine Kooperation mit dem Automobilhersteller. Die Kunden selbst oder seine Firma besorgen die leeren Fahrzeuge, die sechs Meter lang und 2,90 hoch sind. Nicht Tiefgaragen-tauglich, aber dafür seien die Fahrzeuge reisefertig, und man müsse nicht erst das Dach aufklappen, um Schlafplätze zu schaffen, sagt Stricker.

Die Vagabond Vans sind so etwas wie die Harley Davidsons unter den Campingmobilen: Möbel aus österreichischem Eichenholzfurnier, eine kratzfeste HPL-Beschichtung in verschiedenen Farben aus Italien. Für die Seitenverkleidungen wird Lodenwolle aus Österreich verwendet, die Feuchtigkeit aufnimmt. Ein Smart Home System sorgt für das richtige Licht. Der Boden wird mit recyceltem Acryl aus Schweden ausgelegt. Denn Fleckerlteppiche auf dem nackten Van-Boden, „das passt für mich gar nicht“, sagt Stricker. Stolz ist er auf die multifunktionelle Nasszelle mit Edelstahlablauf, die mit der Standheizung verbunden ist und als „Trockenraum“ genutzt werden kann. Das sei interessant für Surfer, die ihre Neopren-Anzüge aufhängen wollen, oder für Familien, die bei Schmuddelwetter die nassen Kinderklamotten trocken können.
„Aber wo wir drauf achten können, ist Nachhaltigkeit bei den Materialien“
Nachhaltigkeit sei ein großes Thema, sagt Stricker. Die Sprinter seien zwar Dieselfahrzeuge. „Aber wo wir drauf achten können, ist Nachhaltigkeit bei den Materialien.“ Fest verbaute Chemie-Toiletten sind tabu. Stattdessen könne eine Trockentoilette eingebaut werden, deren Inhalt kompostierbar sei. Und wenn jemand eine Satellitenschüssel für einen Fernseher haben wolle, „dann würden wir das wahrscheinlich nicht machen“. Für Campingfans mit schmalem Budget ist ein Vagabond Van vermutlich nicht das Richtige. 180 000 Euro aufwärts kostet ein ausgebauter Sprinter. „Das ist definitiv Luxus, und das ist uns auch bewusst“, sagt Stricker.
Die Vans, die er und sein Team ausbauen, sind so individuell wie die Kunden. Abenteurer, die monatelang unterwegs sein wollen, Familien, die mehr Schlafplätze und ein „Badezimmer“ brauchen. Leute, die auch beim Campen Wert auf Stil legen. Seine Kunden sind zwischen 30 und 65 Jahre alt, darunter auch Einsteiger – „50 Prozent waren noch nie campen“, sagt Stricker.

Jeder Auftrag beginnt mit einem weißen Blatt Papier. Stricker gibt seinen Kunden eine Hausaufgabe mit: „Wer seid ihr, was wollt ihr, wo wollt ihr hin.“ Diese Infos sind die Basis für die 3-D-Visualisierung, die der 34-Jährige erstellt. Auch ungewöhnliche Wünsche sind ihm schon untergekommen: eine Nische für Hemden zum Beispiel, oder eine fest eingebaute Espresso-Maschine. In den beiden Werkhallen wird der Ausbau in gut zwei Monaten umgesetzt. „Dann kommt der emotionale Teil“, sagt Stricker. Denn das Team sei bei jedem Fahrzeug eng involviert, und die Übergabe an die Kunden, mit denen man monatelang in Kontakt stand, „geht in neun von zehn Fällen nicht ohne Tränen ab.“
Stricker ist gelernter Sattlermeister aus Tirol und selbst begeisterter Reisender. Als seine Freundin, eine gebürtige Tölzerin, mit dem ersten Kind schwanger war, wollten sie in der Elternzeit mit dem Camper auf Reisen gehen. „Aber wir hatten bestimmte Vorstellungen, die es auf dem Markt nicht gab“. Also hat Stricker einen Van selbst ausgebaut. Drei Monate war die junge Familie in Skandinavien unterwegs – Dänemark, Norwegen, Schweden –, ihr Traumziel bis heute. „Skandinavier haben einen Sinn für gute Materialien“, sagt Stricker. Und für gutes Design.
Wenn Andreas Stricker Inspirationen braucht, fährt er auf die Mailänder Möbel-Messe
Weil seine Leidenschaft schon immer der Innenarchitektur gegolten habe, gab er seinen Job in Stuttgart auf und machte sich in Bad Tölz selbständig. Wenn er Inspirationen braucht, fährt er nicht auf Camping-Messen, sondern auf die Mailänder Möbel-Messe. Auch die „Base“ im Tölzer Farchet wirkt nicht wie eine Gewerbehalle: eleganter, anthrazitfarbener Treppenaufgang mit Fichtenholzlamellen, Küchenzeile in klarem Design, eine Besprechungsecke mit senfgelbem Retro-Sofa. Und ein Basketballkorb. Jeden Morgen werden dort zuerst ein paar Körbe geworfen und „um das Frühstück gespielt“, sagt Stricker und lacht.

Fünf Mitarbeiter in Vollzeit, Schreiner und Karosseriebauer, arbeiten bei dem jungen Unternehmen. Außerdem ein Minijobber, eine Bürokraft in Teilzeit und „der Max, unser Master of Finance“. Denn Kreativität und Zahlen – „das funktioniert bei mir nicht“, sagt Stricker, der auf die Finger seiner rechten Hand die Buchstaben V-A-B-O tätowiert hat. Sein Start-up läuft, die Kunden kommen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Inzwischen gebe es eine richtige „Vabo-Community“, die sich einmal im Jahr zu einem Event trifft. Im vergangenen Jahr habe sein Unternehmen den Van-Builder-Award gewonnen, erwähnt er nebenbei. Am Ziel ist Stricker noch nicht, er hat viele Ideen: Zum Jahresende soll ein Concept-Van fertig sein, vollgepackt mit innovativen Ideen. Und langfristig will er sein Unternehmen zu einer Marke ausbauen und auch Kleidung, Ausstattung oder Reisen anbieten. „Eine ganze „Vabo-Welt“, sagt er.
Infos unter www.vagabondvans.de