Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Urlaub daheim:Wo der wilde Räuber hauste

Er soll eine Art "Robin Hood" des Bayerischen Waldes gewesen sein. Ein Wanderweg führt zur Höhle, in der sich einst in der Gegend von Bad Kötzting der legendäre Michael Heigl versteckte.

Von Anna Günther

Eine echte Räuberhöhle, tief im Wald? Diese Ankündigung lockt sogar die wanderfaulsten Kinder aus der Haustür und weg vom Computer. Mit Glück erspart die Räubergeschichte den Erwachsenen auf dieser Wanderung am Kaitersberg sogar die klassischen Maunzereien wie "Hunger", "Durst" und "Wie lange dauert's noch?" Das reizvollste für erwachsene Wanderer? Im Gegensatz zu den gängigen Touren im Alpenvorland trifft man im Bayerischen Wald hinter der Kurstadt Bad Kötzting kaum andere Menschen. Sie können in Ruhe den Duft des Waldes und die zahllosen Nuancen von Grün genießen.

Um den Räuber, Michael Heigl, ranken sich viele Legenden. Er soll vor etwa 200 Jahren in der Gegend geboren worden sein. Ein hartes Leben war ihm als Kind armer Leute vorbestimmt. Er musste sich jung als Knecht verdingen, lernte von seinem Bauern das Wildern - eine Fähigkeit, die ihm später sehr nützlich sein sollte. Nach der Verhaftung des Bauern soll Heigl Schlossergeselle geworden sein, floh aber vor dem Lehrherrn in den Wald. Als Hausierer zog er herum, wurde wegen fehlender Handelserlaubnis verhaftet und floh wieder in den Wald, auf den Kaitersberg. Fast alle Legenden beschreiben Heigl als eine Art "Robin Hood" des Bayerischen Waldes.

Er soll beim Volk beliebt gewesen sein, weil er bevorzugt reiche Bauern und Geistliche ausraubte. Die einfachen Leute sollen ihn sogar vor der Polizei geschützt haben, sodass es Heigl jahrelang immer wieder gelang, zu entwischen. Als Dank habe er ihnen Wild auf die Türschwelle gelegt oder Beute geteilt, heißt es. Sein Versteck, die Höhle unterhalb des Kreuzfelsens, ist das erste Ziel dieser Wanderung.

Los geht es in Reitenberg, einem Weiler oberhalb von Bad Kötzting, zu dem man über eine schmale Forststraße gelangt. Die Tour führt rechts in den Wald hinein und steigt zunächst sanft an. Von den ersten Metern Weg sollte sich niemand irren lassen: Feste Wanderschuhe sind essenziell, insgesamt sind etwa 300 Höhenmeter zu überwinden. Zwar gilt diese Wanderung als kindgerecht - und als erstes kommen einem an diesem Aprilsamstag wie bestellt zwei singende Mädchen mit ihren Eltern entgegen. Aber stellenweise ist der Weg hinauf so steil und von Wurzeln oder Felsen durchbrochen, dass kleinere Kinder an die Hand genommen werden sollten und Gelegenheitswanderer Verschnaufpausen brauchen könnten.

Das Innehalten lohnt sich. Es gibt viel zu entdecken: Der Wald verändert sich ständig, Brombeerranken überwuchern den Mischwald rechts und links des Weges, dann öffnet sich eine Lichtung, auf der hellgraues, abgestorbenes Holz liegt und einem bewusst macht, wie schnell Schädlinge und Unwetter diesen dichten Wald niedermachen können. Hinter der Lichtung zeigt sich wieder dichter Bilderbuchwald, dazwischen liegen die für den Bayerischen Wald typischen, wuchtigen dunkelgrauen Steinbrocken - mal fast blank, mal von Moosen und Flechten überwachsen. Es duftet nach Nadeln, die Vögel zwitschern, die Sonne scheint durch die Blätter.

Je höher man kommt, desto felsiger wird es, im Fels sind erste Höhlen zu sehen. "Hier hätte ich mich auch versteckt, da kannst du dich ja ohne Hütte vor Wind und Wetter schützen", sagt ein Wanderer zu seiner Begleitung. Verglichen mit Ausflügen in Oberbayern, ist hier im oberpfälzischen Landkreis Cham nichts los. Einzelne Einheimische mit Hunden marschieren geübt an einem vorbei bergauf; zwei, drei Touristen kommen entgegen.

Nach etwa 45 Minuten erreicht man das erste Ziel dieser Tour: Michael Heigls Höhle. Dass die Obrigkeit ihn lange nicht finden konnte, wird sofort klar: Ohne die Hinweisschilder und kleine "RH"-Markierungen an den Bäumen würde man den Weg nicht finden. Nur die markante Metallplakette neben dem Eingang verrät die Höhle. Die Felswand sieht aus wie alle anderen zuvor, am Weg unterhalb des Höhleneingangs ist das Versteck kaum auszumachen. Im Innern ist sie steinig, Brocken liegen herum, an den Wänden rinnt Wasser herab.

Reitenberg

Der Wanderparkplatz Reitenberg ist am einfachsten mit dem Auto zu erreichen. Der schnellste Weg aus dem Großraum München führt über die A 92 bis Deggendorf und die Bundesstraßen 11 sowie 85 über Viechtach Richtung Bad Kötzting. Schöner ist die längere Route durch den Gäuboden über die B 20 und Staatsstraßen, die an Blaibach vorbeiführen. Aus Regensburg verläuft eine Route über die B 16, B 85 und Cham, eine andere über A 3 und B 20. Wer lieber mit öffentlichen Verkehrsmitteln reist, kann zum Beispiel aus Cham mit der Oberpfalzbahn zum Bahnhof Zellerthal in Bad Kötzting fahren und die vier Kilometer zu Weiler Reitenberg hochlaufen. Reisende aus Regensburg müssen in Schwandorf umsteigen. anna Günther

Der Blick auf den Weg unterhalb aber ist gut. Das passt. Jahrelang soll die Obrigkeit versucht haben, mit allen Mitteln den Räuber Heigl zu erwischen. Jahrelang schützten ihn die Menschen, Heigl entwischte immer wieder. Bis einer den Räuber 1853 verriet. Heigl und seiner Gefährtin, der roten Res, wurde in Straubing der Prozess gemacht. Heigl wurde zum Tode verurteilt, dann begnadigt. Er sollte lebenslang im Zuchthaus in der Münchner Au einsitzen. Sein Ende kam schneller: Ein Mithäftling erschlug den Räuber mit der Kugel seiner Eisenkette.

Der Wald macht es einem leicht, diese Gedanken wegzuschieben. Weiter geht es hinauf zum Kreuzfelsen. Der Weg wird steiler, steiniger und anspruchsvoller. Nach insgesamt gut zwei Kilometern ist der Gipfel auf 999 Höhenmetern erreicht. Unterhalb des Kreuzes üben Kletterer am Felsen, am Kreuz turnen Kinder herum - und ein junges Pärchen in Jeans und weißen Turnschuhen, das in die Kameralinse seiner Drohne winkt - unter den missbilligenden Blicken eines jungen Einheimischen, der sein mitgebrachtes Spezi trinkt, bevor er wieder im Wald verschwindet. Der Blick vom Kreuzfelsen übers Tal ist spektakulär und reicht bis zur fernen Wetterstation des Großen Arbers.

Coronabedingt wandelt man die Wanderung nun ab: Das dritte Ziel, die Kötztinger Hütte, ist leider aufgrund hoher Infektionszahlen in Bayern wie alle Wirtshäuser geschlossen. Vom Kreuzfelsen führt dorthin ein etwa 1,4 Kilometer langer Wanderweg ohne größere Steigung. Der Ausflug könnte also in anderen Zeiten entspannt um drei Kilometer und eine Pause mit eiskaltem Getränk verlängert werden. An diesem Tag aber geht es direkt zurück ins Tal. Statt rechts hinab Richtung Heigls Höhle, hält man sich unterhalb des Gipfelkreuzes links und folgt dem Weg Richtung Reitenberg. Der Wald ist auf dieser Seite des Kreuzfelsens deutlich sanfter, weniger felsig und offener. Der Weg hinab gleicht einem Spaziergang mit entspannter Steigung. Nach insgesamt etwa vier Kilometern Wanderung erreicht man wieder den Weiler Reitenberg.

Statt sofort heimzufahren, sei allen, die Architektur und Kultur schätzen, noch ein Abstecher empfohlen: Das Konzerthaus in Blaibach, erbaut vom Architekten Peter Haimerl, ist zwölf Kilometer entfernt. Mitten im Ort ist der radikal modern gehaltene Konzertsaal wie gekippt in den Boden eingelassen. Allein das mit Granit besetzte Gebäude ist den Umweg wert. Und mit viel Glück hören Besucher aus dem Inneren leise Klavierklänge zum Hintereingang dringen.

Wie eine Vorahnung auf bessere Zeiten, in denen abgeschiedene Wanderungen noch immer sehr reizvoll, Konzerte aber wieder möglich sind.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2021/van/amm
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