SZ-Serie: Urlaub daheim:Auf dem Weg der Vertriebenen

SZ-Serie: Urlaub daheim: Der Judenweg im Naturpark Altmühltal soll das Schicksal der Neumarkter Juden ansatzweise nachempfinden.

Der Judenweg im Naturpark Altmühltal soll das Schicksal der Neumarkter Juden ansatzweise nachempfinden.

(Foto: Lennart Otto/oh)

Von Sulzbürg nach Neumarkt führt ein 14,7 Kilometer langer idyllischer Wanderweg mit einer schrecklichen Vergangenheit. Einst mussten ihn die Juden nehmen, nachdem man sie aus den Oberpfälzer Städten und Dörfern ausgestoßen hatte.

Von Gregor Grosse

Der Kontrast könnte kaum größer sein. Einerseits dieser Blick von Sulzbürg über die weite Landschaft der Oberpfalz mit ihren Wiesen und Wäldern. Andererseits die schreckliche Geschichte, die sich dort vor Jahrhunderten abspielte: Diesen heute so idyllischen Wanderweg mussten einst die Juden beschreiten - weit außerhalb von Ortschaften, aus denen sie verjagt wurden. Das Ziel der jüdischen Händler war Neumarkt, eine Stadt mit inzwischen 40 000 Einwohnern, gelegen in einem Talkessel am westlichen Rand des Oberpfälzer Jura.

Jüdisches Leben in Neumarkt wird erstmals 1298 in Dokumenten erwähnt. Sie beschreiben ein dunkles Kapitel für die jüdische Bevölkerung - leider sollte es nicht das letzte gewesen sein. Zu jener Zeit tyrannisierten fanatisierte Christen unter der Führung des Reichsritters Rintfleisch jüdische Gemeinden.

Der Historiker und Leiter des Stadtarchivs in Neumarkt, Frank Präger, spricht von einem "tragischen Teil" der bayerischen Geschichte. "Unter Rintfleisch wurden Juden ermordet und die Leute vor Ort aufgehetzt", sagt Präger. Auch in Neumarkt oder damals "novum forum" (lateinisch für Neuer Markt) wütete ein judenfeindlicher Mob. 65 Menschen wurden bei lebendigem Leib in der Synagoge verbrannt.

Das Massaker markierte den Beginn der Judenvertreibung aus Neumarkt. Die nächsten zwei Jahrhunderte wurden sie immer wieder aus der Stadt gejagt. 1555 endete dort das jüdische Leben, zumindest vorerst. "In diesem Jahr wurden alle Juden aus der Oberpfalz vertrieben - bis auf die Enklave in Sulzbürg", erzählt der Stadtarchivar. In der knapp 15 Kilometer südlich gelegenen Ortschaft wurden die Juden von Sulzbürger Grafen gegen Zahlung einer "Judensteuer" aufgenommen. Nach Neumarkt durften sie nur, um Handel zu treiben, ausschließlich an Markttagen und bis zur Dämmerung.

Der Judenweg im Naturpark Altmühltal soll das Schicksal der Neumarkter Juden ansatzweise nachempfinden. Der Wanderweg folgt in etwa der Route, die wohl auch die Händler genommen haben. Über Wald- und Forstwege führt der historische Fußmarsch an beschaulichen Ortschaften wie Rocksdorf oder Sengenthal vorbei - aber niemals durch sie hindurch. Denn damals umgingen Juden die Siedlungen, um den dort fälligen Steuern zu entgehen.

Judenweg

Der Sulzbürger Marktplatz, Ausgangspunkt der Wanderung, ist am besten mit dem Auto zu erreichen. Von dort aus führt der Pointweg Richtung Norden auf den markierten Wanderweg. Ein Abstecher zum nahe gelegenen jüdischen Friedhof ist empfehlenswert. Bald erreicht man die Nordhänge von Sulzbürg, die einen Blick auf die Wälder im ebenen Sulztal bieten. Vorbei an Rocksdorf, mündet der Weg in stille Kiefern- und Fichtenwälder, die sich bis nach Neumarkt erstrecken. Die abwechslungsreichen Waldwege bringen einen bis zum Ludwigs-Kanal. Dieser begleitet die Wanderung bis kurz vor Neumarkt. Dort können historische Artefakte des jüdischen Lebens besichtigt werden: Der jüdische Friedhof, ein früheres Ritualbad oder die ehemalige Synagoge. Mit dem Bus geht es wieder zurück nach Sulzbürg. sz

Niemand kennt den Judenweg so gut wie Michael Platzer. Bereits seit 17 Jahren markiert und pflegt er Wanderwege in und um Neumarkt. Auf die Idee sei er gekommen, nachdem er sich auf dem deutschen Jakobsweg verlaufen habe. "Da wusste ich, bei uns in Neumarkt brauchen wir unbedingt gute Markierungen", sagt Platzer. Rund 300 Kilometer Wanderwege hat der 83-Jährige nach eigenen Angaben schon markiert - darunter eben auch den Judenweg. Eine gute Wegbeschilderung ist ihm wichtig, daher fragt er beharrlich nach Feedback. Viel zu kritisieren gibt es nicht. Die braunweiße Markierung begleitet den Wanderer sicher von Sulzbürg zum Neumarkter Marktplatz - schon damals Ziel der jüdischen Händler. Wie oft Platzer den Weg schon abgelaufen ist, weiß er nicht genau. "Ich habe aufgehört zu zählen", sagt er. 2011 hat Platzer den Judenweg reaktiviert. Davor sei die Route stark vernachlässigt gewesen. "So weit es möglich war, haben wir den Weg nach den historischen Fakten ausgerichtet - es hat sich natürlich viel verändert."

So auch der Ludwig-Donau-Main-Kanal, der die letzten Kilometer bis nach Neumarkt stetiger Begleiter ist. Genauso wie Hecht, Karpfen oder Schleie, die sich in dem Biotop nur so tummeln. Sogar eine Schwanenfamilie hat sich hier niedergelassen. Die von Einheimischen auch als "Alter Kanal" betitelte Wasserstraße wurde unter König Ludwig I. zwischen 1836 und 1845 errichtet; 172 Kilometer war sie lang. Das ambitionierte Projekt, von dem schon Karl der Große geträumt hatte, erwies sich jedoch als Investitionsruine. Die Eisenbahn stellte sich als effizientere Transporttechnik heraus.

Heute ist der Kanal eine beliebte Erholungsstätte, und die ihn begleitenden Wege sind ein Paradies für Wanderer und Radler. Der Kanal war bereits fertig, als Juden sich wieder ansiedeln durften. Ihnen wurde sogar die Gleichstellung garantiert. "In den 1860er Jahren hat der bayerische Staat die rechtlichen Rahmenbedingungen geändert - Juden durften nun ihren Wohnsitz frei wählen", erklärt Präger. Mit Beginn der Industrialisierung zog es immer mehr Juden nach Neumarkt. Die jüdische Gemeinde konnte sich erstmals sowohl im industriellen Bereich als auch gesellschaftlich integrieren. Jüdische Unternehmen hatten einen prägenden Anteil an der Entwicklung Neumarkts. "Das war eine blühende Gemeinschaft", sagt der Historiker Präger.

Die Blütephase jüdischen Lebens sollte nach 1933 ein schnelles Ende nehmen. Bewaffnete SA-Posten vor jüdischen Läden waren von da an trauriger Alltag. 640 Jahre nach dem ersten Pogrom in Neumarkt wiederholte sich die leidvolle Geschichte. In der Reichspogromnacht kam es 1938 zu heftigen Ausschreitungen: Die SA verwüstete jüdische Geschäfte und Wohnungen, misshandelte die Besitzer, demolierte und plünderte die Neumarkter Synagoge. "Das war das Ende der lebendigen israelitischen Kultusgemeinde", sagt Präger. Die letzten Juden wurden 1942 in Konzentrationslager abtransportiert. Nur einer hat den Holocaust überlebt - er wanderte nach dem Krieg in die USA aus.

Neumarkt und Sulzbürg verbindet neben dem Judenweg die menschenverachtende Geschichte. An sie erinnert der Weg, und Platzer sagt: "Dieser Pfad ist in vielen Gesichtspunkten etwas Besonderes."

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