Süddeutsche Zeitung

Unter Bayern:Gelbwurst hier, Gelbwurst dort

Kinder beim Metzger lieben es in der Regel: ein Radl Wurst spendiert zu bekommen. Doch gibt es einen Unterschied zwischen München und der Oberpfalz, etwa in der Großzügigkeit des Ladenpersonals? Erfahrungen eines Zweijährigen.

Kolumne von Deniz Aykanat

Der zweijährige Regensburger Bub ist das erste Mal nach Monaten der Ausgangsbeschränkungen, Sommergrippen und Herbsterkältungen wieder bei den Großeltern in München zu Besuch - und will Gelbwurst. Oma und Opa sind euphorisch: Endlich wieder Brotzeit mit dem narrischen Zwerg. Die Sauerei unterm Tisch und das Theater bei Tisch (Ich will Gelbwurst! Nein! Marmeladenbrot! Hab keinen Hunger mehr!) wissen wohl nur liebende Großeltern auf Enkel-Entzug zu schätzen.

Gelbwurst also. Der Zweijährige darf mit in die Münchner Metzgerei. Dort fixiert er die Verkäuferin mit seinem Blick, wie das nur Kleinkinder in ihrer unschuldigen Dreistigkeit können. Keine Reaktion. Dann wendet er einen seiner anderen Tricks an, nämlich, sich selbst fragen und die Antwort gleich dazu liefern: Magst du eine Wurscht? Die Verkäuferin schreckt hoch und bemerkt den blonden Schopf, der nur knapp über den Wurststapeln hervorragt. Missmutig und wortlos hält sie die Wurstgabel über den Tresen. Der freudige Blick des Zweijährigen verdunkelt sich, als er ein Radl Gelbwurst an den Fingern kleben hat, so dünn, dass man die Herbstsonne durchscheinen sieht.

Der Besuch in der Weltstadt mit Herz: Eine klitzekleine Enttäuschung, aber immerhin gab's eine U-Bahn und Aufzüge und Oma und Opa. Dabei gelten doch eigentlich die Bewohner der oberpfälzischen Heimat des Zweijährigen als mürrisch und wortkarg. Und wenn sie denn mal sprechen, sollen Oberpfälzer so schwer zu verstehen sein.

Eine Landmetzgerei, 15 Autominuten von Regensburg entfernt. Der zweijährige Nachwuchs-Oberpfälzer wird vom Metzgermeister begrüßt, als wäre er ein alter Stammkunde. Noch bevor der Bub den Mund aufmachen kann, baumelt ein Kanten Gelbwurst vor seiner Nase, so dick, da sieht man nichts durch, damit könnte man einen Hang abstützen. Der Metzger rattert die Angebote herunter, holt stolz seine neueste Streichwurst-Kreation hervor. Trotz Maske bestens zu verstehen. Als er sieht, dass der Bub die Wurst schon verdrückt hat, brüllt er seine Mitarbeiterin herbei. Die will grade eine Packung Duplo aufreißen und dem Zweijährigen einen Riegel reichen, da hat der Chef eine bessere Idee: Das ganze Packerl! Oberpfalz, Landstrich mit Herz.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2020/wean
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