Partnerstädte in der Ukraine:"Nun ist das Unfassbare eingetreten"

Ukraine-Konflikt - Baden-Württemberg

Nach den Angriffen Russlands am frühen Donnerstagmorgen sichern bayerische Städte der Ukraine ihre Unterstützung zu.

(Foto: dpa)

Spenden, Hilfsgüter, Aufnahme von Kriegsgeflüchteten: Nürnberg und Regensburg betonen nach den Attacken auf Charkiw und Odessa Solidarität - und bekommen erste Nachrichten aus ihren Partnerstädten.

Von Clara Lipkowski, Nürnberg

Er höre davon, dass manche jetzt ihre Koffer packten, sagt Daniel Nevaril, dass das Internet in Charkiw noch gehe, das Fernsehen aber nicht mehr. Dass sich Schlangen an Tankstellen bildeten und Bankautomaten "leer" seien. Es sind erschütternde Nachrichten, die Nevaril am Donnerstag in Nürnberg erreichen. Er ist für die Städtepartnerschaft mit Charkiw zuständig, der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Nach den Angriffen Russlands am frühen Donnerstagmorgen ist er wie viele andere in Sorge um Freunde und Kolleginnen. Per Whatsapp erfährt er über zwei Lehrerinnen von "Explosionen in der Ferne".

Seit 1990 pflegt Nürnberg mit Charkiw im Osten der Ukaine, nahe der russischen Grenze, eine Freundschaft, im dortigen Rathaus und im Kulturzentrum "Nürnberger Haus". Und Nürnberg finanziert eine Armenküche, unterstützt die Versorgung erkrankter Kinder, man besucht einander. Und für den Sommer ist eigentlich der nächste Austausch geplant, Charkiwer Studierende sollen sich mit deutschen Studierenden der Kunstakademie treffen.

Er werde jetzt nicht ständig in Charkiw nachfragen, wie es gehe, sagt Nevaril noch, die Menschen hätten anderes zu tun, als ihren Partnern in Deutschland ein aktuelles Lagebild zu geben. Und das, obwohl sie noch am Vortag so etwas wie Normalität versuchten. Seine Kollegen aus dem Charkiwer Rathaus seien noch zum Lunch ins Restaurant, Freunde hätten vor kurzem einen Rave gefeiert. Auch er sei beruflich erst Ende 2021 in Kiew und Charkiw gewesen. Dass der Alltag dort zumindest vorläufig brutal ein Ende gefunden hat, ist auch für ihn schwer erträglich.

Partnerstädte in der Ukraine: Nürnbergs OB Marcus König (CSU) verurteilt das "menschenverachtende Verhalten" Putins und bietet Charkiw die Hilfe seiner Stadt an. (Archivbild)

Nürnbergs OB Marcus König (CSU) verurteilt das "menschenverachtende Verhalten" Putins und bietet Charkiw die Hilfe seiner Stadt an. (Archivbild)

(Foto: Nicolas Armer/dpa)

Auch Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) reagiert am Donnerstagmorgen prompt per Twitter, dass er das "zutiefst menschenverachtende Verhalten" Putins "verabscheue" und man nun überlege, wie Nürnberg Charkiw helfen könne, er bringt einen Spendenaufruf ins Gespräch. Spendensammeln, sagt auch Nevaril, liege nahe, die Bereitschaft der Nürnbergerinnen und Nürnberger sei groß. Seit Tagen fragten Menschen per Telefon oder Mail, wie sie helfen könnten. Für konkrete Hilfe sei es aber zu früh, die Lage zu chaotisch. Solange möglich, seien Überweisungen denkbar, Kleidung für eine moderne Stadt wie Charkiw aber wohl nicht vonnöten. Am Donnerstagnachmittag schaltet die Stadt ein Spendenkonto frei.

Derweil schreibt die Regensburger Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) einen emotionalen Brief an ihren Amtskollegen im südukrainischen Odessa, Gennadiy Trukhanov. Direkter Kontakt habe zumindest bis Mittag nicht bestanden, sagt eine Rathaussprecherin, und Maltz-Schwarzfischer formuliert fast hilflose Zeilen an ihn.

In den Morgenstunden war klar geworden, dass auch Odessa getroffen worden war. "Nun ist das Unfassbare eingetreten", sie sichere ihm ihre ganze Solidarität zu, Trukhanov könne sich jederzeit melden, telefonisch oder per Video, sie bietet Hilfsgüterlieferungen an oder die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen. Mit der Hafenstadt Odessa besteht die Partnerschaft auch seit 1990, im September hatte Maltz-Schwarzfischer mit Trukhanov, wie das so üblich ist, ein Symbol der Freundschaft enthüllt, einen Odessa-Anker in Regensburg.

Partnerstädte in der Ukraine: Memmingens OB videotelefoniert am Tag vor den massiven Angriffen mit seinem Amtskollegen in der ukrainischen Partnerstadt Tschernihiw, Vladyslav Atroshenko.

Memmingens OB videotelefoniert am Tag vor den massiven Angriffen mit seinem Amtskollegen in der ukrainischen Partnerstadt Tschernihiw, Vladyslav Atroshenko.

(Foto: Stadt Memmingen/oh)

In Memmingen hat Oberbürgermeister Manfred Schilder (CSU) am Mittwoch gegen 16 Uhr mit seinem Amtskollegen Vladyslav Atroshenko in der Partnerstadt Tschernihiw im Norden des Landes videotelefoniert. Atroshenko sei in Eile und angespannt gewesen, sagt eine Sprecherin der Stadt. Der OB teilt mit, Atroshenko habe gewarnt, "die Lage ist so kritisch wie noch nie". Am Donnerstag habe man noch am Nachmittag versucht, herauszufinden, ob die Stadt getroffen worden war.

In Nürnberg berichtet da eine führende Mitarbeiterin der Charkiwer Städtepartnerschaft von einem toten Kind und Verwundeten durch Granaten etwas außerhalb von Charkiw. Ihr Kollege Nevaril gibt sich trotz aller Hiobsbotschaften stur-optimistisch. Die Reise der Studierenden an die Kunstakademie plane er weiter, sagt er. Er kümmere sich um die Hotelbuchungen.

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