Tierhaltung in Bayern:"Der Preis für unsere Form der Rinderhaltung"

Neben der ersten Milch ist die Hygiene in den Kälber-Boxen entscheidend für den Gesundheitszustand der Jungtiere.

Neben der ersten Milch ist die Hygiene in den Kälber-Boxen entscheidend für den Gesundheitszustand der Jungtiere.

(Foto: imago)
  • Jährlich sterben in Bayern zehn bis zwölf Prozent der Kälber während der ersten drei Lebensmonate.
  • Die Tiere sind besonders nach der Geburt extrem anfällig für Infektionskrankheiten.
  • Tierärzte und Tierschützer sehen einen Zusammenhang damit, dass die Milchviehbetriebe immer größer werden.
  • Das Agrarministerium hält die Quote für übertrieben, weil unter anderem Totgeburten nicht entsprechend in der Statistik erfasst würden.

Von Christian Sebald

In Bayern sterben jedes Jahr zehn bis zwölf Prozent der Kälber, bevor sie den vierten Lebensmonat erreicht haben. Das geht aus Zahlen des Umweltministeriums hervor, das für das Veterinärwesen zuständig ist. Danach wurden in den bayerischen Tierkörperbeseitigungsanstalten von 2007 bis 2017 pro Jahr zwischen 143 043 (2008) und 166 882 (2010) Kadaver von Kälbern verwertet, die jünger als drei Monate waren. Insgesamt waren es in den elf Jahren 1 716 474 Kadaver. Im gleichen Zeitraum wurden 14 708 706 Kälber in Bayern geboren. Die Gründe für den frühen Tod der Tiere waren Experten zufolge vor allem Darm- und Atemwegserkrankungen sowie Nabelentzündungen. Auch Totgeburten waren darunter, ihre Rate wurde aber nicht separat erfasst.

Das Agrarministerium betont, dass man den Bauern vielfältige Programme und Schulungen anbiete, um die Kälbersterblichkeit zu senken. Grundsätzlich aber zweifelt man dort die Zahlen an. "Hier werden Daten mit unterschiedlichen Bezugsgrößen vermengt", sagt ein Sprecher, "also Äpfel mit Birnen verglichen." Bei den Kälbergeburten fehle die Zahl der Totgeburten, denn diese müssten nicht gemeldet werden. Die Zahlen der gestorbenen Kälber umfassten dafür alle Kadaver, die bei den Tierkörperbeseitigungsanstalten angeliefert wurden - also auch Abgänge, Totgeburten, Aufzuchtverluste, notgetötete Kälber und Kadaver aus anderen Bundesländern. Um diese Faktoren bereinigt liege die Mortalitätsquote bei 7,7 Prozent. Das Ministerium bezieht sich dabei auf die Landwirtschaftsorganisation LKV.

Ein Sprecher des Bayerischen Bauernverbands sagt: "Tierhalter haben ein großes Interesse an gesunden Kälbern. Sie setzen deshalb ihr Mögliches daran, die besten Startbedingungen zu gewährleisten und die Sterblichkeit so gering wie möglich zu halten." Er verweist darauf, dass man die Verluste seit 2002 habe senken können - auch bei Stierkälbern. Sie sind schon bei der Geburt größer als weibliche Tiere, daher sei ihre Mortalitätsrate höher.

Tierärzte und Tierschützer halten massiv dagegen. Nach ihrer Überzeugung ist die Kälbermortalität viel zu hoch. "Sie ist der Preis für unsere Form der Rinderhaltung", sagt Frigga Wirths, Tierärztin an der Akademie für Tierschutz des Deutschen Tierschutzbundes in München-Neubiberg sarkastisch. "Wir dürfen diese Zahlen nicht länger hinnehmen." Der Ingolstädter Umweltreferent, Rupert Ebner (Grüne), der lange als Großtierarzt praktiziert hat und sich gut auskennt in der bayerischen Rinderhaltung, hält zumindest eine Halbierung für überfällig. "Man wird die Kälbermortalität nie auf Null reduzieren können", sagt er. "Aber mit so einer hohen Rate darf man sich nicht abfinden." Der Chef der Landtags-Grünen, Ludwig Hartmann, fordert ein schärferes Bewusstsein für den Lebenswert von Kälbern. "Diese Debatte müssen wir - wie beim Kükenschreddern - öffentlich führen."

Kälber sind besonders nach der Geburt extrem anfällig für Infektionskrankheiten. Das liegt daran, dass sie - anders als menschliche Neugeborene - keinen passiven Immunschutz haben. Sie erhalten diesen erst mit dem Kolostrum oder der Biestmilch ihrer Mütter. Das ist die erste Milch, die die Kühe nach der Kalbung geben. Sie ist reich an Abwehrstoffen. Durch sie bauen die neugeborenen Kälber zumindest einen gewissen Immunschutz auf. "Aber dafür müssen sie die Biestmilch so schnell wie möglich bekommen", sagt Ebner. "Das ist zentral für ihre Fitness." Auch die Hygiene in den Kälber-Boxen und im Stall sei entscheidend für das Wohl der Tiere. Grundsätzlich gilt: "Wenn die ersten beiden Lebenswochen geschafft sind, sind die Kälber in der Regel so stabil, dass die Mortalität deutlich sinkt", wie Wirths sagt.

In anderen Bundesländern dürfte die Kälbermortalität noch höher sein

Es gibt freilich einen Aspekt, über den keiner gerne spricht. Das ist der wirtschaftliche Druck, unter dem viele Milchbauern stehen. "Der Milchpreis ist nach wie vor so niedrig, dass viele nur einigermaßen hinkommen", sagt ein Experte, der an einer renommierten staatlichen Forschungseinrichtung arbeitet und anonym bleiben will. "Auch die Kälberpreise sind sehr niedrig." Wenn ein Tierarzt-Besuch für ein krankes Kalb 90 Euro koste, der Wert des Tieres aber nur 70 Euro betrage, dann stelle sich für den Landwirt schnell die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Vor allem wenn es sich um ein Stierkalb handle, das für einen Milchbauern von Haus aus weniger Wert habe. "Das ist zwar brutal und vom Tierschutz her untragbar", sagt der Experte. "Aber es gibt natürlich Bauern, die in solchen Fällen auf den Tierarzt verzichten."

Für Wirths und Ebner steht die Kälber-Mortalität in einem direkten Zusammenhang mit dem Trend zu immer größeren Milchviehbetrieben auch in Bayern. Zwar zählen die hiesigen Höfe mit durchschnittlich 39 Milchkühen immer noch zu den kleinsten in Deutschland. Aber auch hierzulande steigt die Zahl der Betriebe mit mehr als 50 oder gar 100 Milchkühen und entsprechend vielen Kälbern jedes Jahr spürbar an. "Die Kälber-Aufzucht ist sehr arbeitsintensiv und zeitraubend", sagt Ebner. "Je mehr Kälber ein Bauer hat, desto schwieriger ist sie und desto mehr Zeit kostet sie." Die Konsequenz sei, sagt auch Wirths, dass die Mortalität in Großbetrieben höher sei als in kleinen.

Auch wenn das jetzt zynisch klingen mag: Im Vergleich zu anderen Bundesländern steht Bayern gut da. Vor allem im Vergleich zu den nord- und den ostdeutschen, wo die Tierhaltungen sehr viel größer sind als hierzulande. "Dort gibt es zwar keine so exakten Zahlen wie die des bayerischen Umweltministeriums", sagt Wirths. "Aber wir gehen davon aus, dass die Kälbermortalität dort bis zu 16 oder gar 18 Prozent beträgt."

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