Schule an der Durchgangsstraße:Ein kleiner Sieg im großen Tempo-30-Streit

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Schulweg neben Lastern: Die Grundschule in Neumarkt-Sankt Veit liegt an einer viel befahrenen Durchgangsstraße. (Foto: privat)

Seit sechs Jahren kämpfen die Bürger im oberbayerischen Neumarkt-Sankt Veit für ein Tempolimit vor der Grundschule. Eine Petition im Landtag könnte nun den Durchbruch bringen. Viele andere Orte aber haben ähnliche Probleme.

Von Nina von Hardenberg, Neumarkt-Sankt Veit

Autos, Laster, Traktoren: Etwa 4000 Fahrzeuge düsen jeden Tag an der Grundschule im oberbayerischen Neumarkt-Sankt Veit vorbei. Gefährlich finden das Eva und Christian Guse. Seit Jahren setzen sie sich für eine Tempo-30-Zone vor der Schule ein. Bislang aber scheiterten sie damit am Landratsamt. Eine Petition, die am Dienstag im bayerischen Landtag behandelt wurde, könnte nun die Wende bringen.

„Ein berechtigtes Anliegen“ nannte der Vorsitzende des Ausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr, Jürgen Baumgärtner (CSU), bei der Ausschusssitzung den Wunsch der Bürger, den Verkehr vor der Grundschule einzubremsen. Der SZ sagte er: Man werde Landrat Max Heimerl (CSU) bitten, die Sache noch einmal wohlwollend zu prüfen. Baumgärtner versprach: „Wir werden hier eine Lösung finden.“

Eine derart positive Einschätzung hätten die Bürger von Neumarkt-Sankt Veit kaum noch zu hoffen gewagt. Seit sechs Jahren kämpfen sie nun schon dafür, dass die Autofahrer auf der Durchgangsstraße kurz vor der Schule auf die Bremse treten müssen. Im Jahr 2018 habe sie das erste Mal das Landratsamt Mühldorf wegen Tempo 30 angeschrieben, erinnert sich Eva Guse von der Bürgerinitiative. Bürgermeister Erwin Baumgartner (UWG) haben sie inzwischen auf ihrer Seite. Auch der Landrat ist nicht grundsätzlich dagegen. Nur: Er hielt ein Tempolimit bislang rechtlich für unzulässig.

Das Landratsamt Mühldorf am Inn hat das Anliegen der Bürger deshalb immer wieder abgelehnt. Die Argumentation zeigt das ganze Dilemma der Tempo-30-Debatte, die viele Kommunen bewegt. Auf Staatsstraßen wie der Hörberinger Straße in Neumarkt-Sankt Veit schreibt die Straßenverkehrsordnung grundsätzlich Tempo 50 vor. Ausnahmen zum Schutz von Schulen und Kindergärten sind zwar möglich. Die Kommunen können das aber nicht selbst beschließen. Zuständig sind die Landratsämter. Diese sind aber weiter weg von den Menschen vor Ort und berücksichtigen auch den übergeordneten Verkehr. Die Anwohner wünschen sich ruhige und sichere Straßen. Pendler und Spediteure wollen zügig vorankommen. Das Landratsamt muss abwägen.

Im konkreten Fall sah die Behörde in Neumarkt-Sankt Veit keine „besondere Gefahrenlage“, die Tempo-30-Schilder rechtfertigen würde. Im Gegenteil: Es ergebe sich dort „ein großzügiger und übersichtlicher Straßenquerschnitt“ für die Grundschulkinder, heißt es in einem Antwortschreiben an die Bürger. Der Grund: An der Straße steht eine Fußgängerampel. Und nicht der Hauptausgang, sondern nur ein Nebeneingang der Schule weist auf die vielbefahrene Straße. Zwar argumentierten die Bürger, dass die Mehrheit der Schüler eben diesen Nebenausgang als Abkürzung nutzt. Das Landratsamt aber überzeugt das nicht.

Der Landtagsausschuss hingegen stellte sich nun auf die Seite der Bürger. Man habe sich bei einer Ortsbesichtigung im April ein eigenes Bild von der Situation machen können, erklärte Ausschussmitglied Sabine Gross (SPD). „Die Straße ist wirklich unübersichtlich und der Gehweg ziemlich schmal“, sagte Gross. „Es war auch ziemlich viel Verkehr, das konnten wir bestätigen.“ Sie sehe also sehr wohl eine konkrete Gefahr für die Schulkinder. Auch werde der Nebeneingang ganz offensichtlich viel genutzt. „Das ist ein breiter Eingang mit breitem Zugang. Daneben liegt ein Spielplatz. Wir haben eigentlich den Haupteingang suchen müssen, nicht den Nebeneingang“, sagte sie. „Tempo 30 ist hier gerechtfertigt.“

Christian und Eva Guse setzen sich seit Jahren für Tempo 30 in Neumarkt-Sankt Veit ein (Foto: Nina von Hardenberg)

Genauso sah es auch der Ausschussvorsitzende und Mitberichterstatter Jürgen Baumgärtner: „Das Anliegen der Bürger ist berechtigt“, sagte er. Und mehr noch: „Alle Verantwortlichen vor Ort wünschten sich Tempo 30, der Bürgermeister wie der Landrat.“ Momentan aber sei es nicht möglich, rechtssicher Tempo 30 anzuordnen, da nur der Nebeneingang zur Straße weise. Baumgärtner zeigte sich aber zuversichtlich, dass die Beteiligten vor Ort jetzt trotzdem eine Lösung finden würden. Der Bürgermeister und Landrat hätten da sein Vertrauen. Eine solche Lösung könnte eventuell darin liegen, dass der Nebeneingang offiziell zum Haupteingang umgewidmet wird. Der Ausschuss beschloss, die Sache in die Hände der Verantwortlichen vor Ort zurückzugeben und den Fall in drei Monaten erneut zu prüfen.

Der Ausschussvorsitzende Baumgärtner ist selbst ein Befürworter von Tempolimits. Er findet zudem, dass die Kommunen selbst darüber entscheiden sollten. Tatsächlich zeigten die nächsten Petitionen, die der Ausschuss am Dienstag noch behandelte, dass Tempo-30-Fragen, die Bürger in vielen Orten bewegen.

Mehr Entscheidungsspielraum für die, die den Verkehr täglich ertragen müssen, das fordert auch ein Bündnis aus mehr als 1000 Städten und Gemeinden. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte hierzu bereits eine Reform der Straßenverkehrsordnung vorgelegt. Das Gesetz scheiterte aber im Bundesrat. Auch Bayern stimmte gegen den Entwurf. 

Christian und Eva Guse glauben, dass sich das Tempolimit in ihrem Ort auch ohne Gesetzesänderung durchsetzen ließe. Gefragt sei politischer Wille. Dieser könne nun, da sich der Ausschuss in ihrem Sinne geäußert hat, gestiegen sein.

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