Verkehr in Bayern:Viele Fragen um das 365-Euro-Ticket

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In Nürnberg - hier die U-Bahnstation Ziegelstein - soll es zum Schuljahr 2020/2021 ein 365-Euro-Ticket für Schüler und Azubis geben. Anderswo reagiert man auf solche Pläne mit weniger Begeisterung.

(Foto: imageBROKER/Helmut Meyer)

Ein Jahr lang den öffentlichen Nahverkehr für nur einen Euro pro Tag zu nutzen - das könnte in Bayern mancherorts bald Realität werden. Doch nicht alle Gemeinden sind begeistert.

Von Florian Fuchs, Andreas Glas, Maximilian Gerl und Olaf Przybilla

Ein symbolischer Euro pro Tag: Die Staatsregierung will Kommunen und Verkehrsverbünden die Möglichkeit eröffnen, zum Schuljahr 2020/2021 ein 365-Euro-Jahresticket für Schüler und Auszubildende einzuführen. Zwei Drittel der Kosten soll demnach der Freistaat übernehmen. Bislang gibt es hierzulande solche Fahrscheine nicht, jeder Verkehrsverbund pflegt sein eigenes Tarifsystem. Daran dürfte sich auch vorerst nichts ändern, zu groß und zu kompliziert sind die Unterschiede von Region zu Region - preislich wie beim Angebot. Braucht es also ein 365-Euro-Ticket überhaupt? Was halten die Gemeinden von dem Vorstoß? Und was würde er kosten? Ein Überblick:

Regensburg

In Regensburg fallen die Reaktionen verhalten aus. Auch wenn der Freistaat das 365-Euro-Ticket zu zwei Dritteln finanziere, bleibe "ein nicht unbedeutender Teil" an Kosten übrig, teilt Kai Müller-Eberstein mit, der Geschäftsführer des Regensburger Verkehrsverbunds (RVV). Weil der RVV für das kommende Jahr mit einem Defizit von 20 Millionen Euro rechnet, müsse man erst prüfen, ob das Ticket, "welches jährlich weitere Millionen Euro kosten wird, umgesetzt werden kann und soll", so Müller-Eberstein. Auch Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) äußerte sich zurückhaltend. Für Regensburgs Zweite Bürgermeisterin ist das 365-Euro-Ticket nur einer von mehreren Bausteinen, um den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern. Sie sagt: "Tarifmaßnahmen alleine reichen nicht aus." Am Wichtigsten sei, das Angebot an Bus- und Bahnverbindungen in Stadt und Landkreis Regensburg auszubauen. Auch hierfür benötige man "unbedingt die langfristige Unterstützung des Freistaats durch Finanzierungszusagen".

Ingolstadt

Fast euphorisch klingen dagegen der Ingolstädter Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU) und Robert Frank, Geschäftsführer des INVG, des Ingolstädter Verkehrsverbunds. Er sei "wirklich glücklich", sagt Lösel. Dabei gibt es in seiner Stadt bereits eine Jahreskarte für Schülerinnen und Schüler, Studierende und Azubis mit Wohnort in Ingolstadt - noch dazu für einen Preis, der unter 365 Euro liegt, nämlich bei 246 Euro. Im Umland, wo viele Einpendler wohnen, gibt es noch kein vergleichbares Angebot. Durch die Zuschüsse des Freistaats könnte sich dies ändern. Für OB Lösel wäre ein 365-Euro-Ticket im gesamten INVG-Gebiet "eine deutliche Aufwertung des ÖPNV" - und eine Chance, die häufig verstopften Straßen in der Innenstadt zu entlasten. Sofern die angekündigte Zwei-Drittel-Förderung nicht befristet sei, "ist das für uns eine gute Sache", sagt INVG-Chef Frank über die Ticket-Pläne des Freistaats. Das INVG-Streckennetz reicht bis weit in die Landkreise Eichstätt, Neuburg an der Donau und Pfaffenhofen an der Ilm hinein. Dass der Freistaat das 365-Euro-Ticket nicht nur in der Stadt, sondern auch im Umland fördern möchte, sei "eine ganz tolle Entscheidung", sagt auch der Pfaffenhofener Vize-Landrat Anton Westner (CSU). Aber: "Bevor wir Beschlüsse fassen, müssen wir wissen, was das Ganze kostet."

Augsburg

Etwa 9,5 Millionen Euro würde ein 365-Euro-Schülerticket laut ersten Schätzungen im Augsburger Verkehrs- und Tarifverbund (AVV) kosten. Nach Abzug der Förderung kämen auf die Gesellschafter - Augsburg und drei umliegende Landkreise - also etwas mehr als drei Millionen Euro zu. Dabei bleibt es aber wohl nicht: Fahren mehr junge Leute mit dem öffentlichen Nahverkehr, muss der AVV sein Angebot ausweiten. Diese und andere nicht direkt absehbaren Kosten, teilen Stadt und Landkreise mit, müssten berücksichtigt werden. Die Informationslage sei dünn, "wir wissen selbst noch nicht, wie es gehen kann", sagt Augsburgs Finanzreferentin Eva Weber. Alle offenen Fragen wollen die Gesellschafter untereinander und mit dem Freistaat klären, ein möglicher Beschluss sei für Ende des laufenden Jahres angestrebt - so wäre eine Einführung zum Schuljahr 2020/2021 grundsätzlich möglich. Bleibt die Frage, wie mit bisherigen Förderungen umzugehen ist. Neben der gesetzlichen Unterstützung für Schüler zahlt etwa die Stadt Augsburg freiwillige Leistungen, laut Weber gibt es im Vergleich zu einem 365-Euro-Ticket teils gar keine großen Unterschiede, was die jährlichen Kosten anbelangt. Schüler im Landkreis Augsburg bekommen derzeit zur nächstgelegenen Schule bis zur 4. Klasse ab zwei Kilometern und von der 5. bis zur 10. Klasse ab drei Kilometern kostenlose Fahrkarten. Die Kosten bezuschusst der Freistaat mit rund 60 Prozent gegenüber dem Landkreis und den Gemeinden.

Nürnberg

In Nürnberg hat Ministerpräsident Markus Söder bereits zu Wochenbeginn verkündet, dass dort im Schuljahr 2020/2021 der Anfang gemacht wird mit dem Schülerticket. Oberbürgermeister Ulrich Maly zeigt sich äußerst angetan davon. Nicht nur, dass damit die Mobilitätswende in den Köpfen vorangebracht werde. Für Maly ist dies auch der Einstieg des Freistaats in die Mitfinanzierung der Nahverkehrbetriebskosten. "Und wer da drin ist", sagt Maly, "kommt schlecht wieder raus."

Würzburg

Auch sein fränkischer OB-Kollege Christian Schuchardt in Würzburg begrüßt die Entwicklung grundsätzlich. Regelrecht überschwänglich äußerst sich dessen Kollege, der Würzburger Landrat Eberhard Nuß. Er kämpfe "seit Jahren dafür, dass es neben dem Semesterticket für Studenten auch vergünstigte, attraktive Tickets für Schüler und Auszubildende gibt", sagt Nuß. Auch wenn man dafür mehr Geld in die Hand nehmen müsse - langfristig profitiere die Umwelt davon "und damit wir alle". Für Schüler und Azubis bietet Würzburgs Verkehrsverbund bereits eine Jugendfreizeitkarte an, die unter anderem am Wochenende und in den Ferien gilt.

Ländlicher Raum

Die Bemühungen um ein 365-Euro-Ticket lassen auch kleinere Gemeinden aufhorchen. Für sie spielte das Thema bislang keine Rolle. Erstens gibt es in einigen Regionen bereits eine kostenlose Schülerbeförderung, zweitens ist das ÖPNV-Angebot im ländlichen Raum oft überschaubar. In manchem Dorf wären sie schon froh, wenn überhaupt ein Bus hielte. Ein günstiges 365-Euro-Ticket würde an diesem Status quo nichts ändern. Zudem sind in erster Linie die Landkreise für den ÖPNV zuständig, nicht die Gemeinden selbst. Gemeindetagspräsident Uwe Brandl (CSU) warnt deshalb davor, sich bei der Diskussion um 365-Euro-Tickets zu sehr auf die Großstädte zu konzentrieren: Wenn Auszubildende im ländlichen Raum kein gleiches oder ähnliches Angebot erhielten, läge aus seiner Sicht "ein krasser Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Gleichwertigkeit der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Stadt und Land vor". Er sehe die Staatsregierung nun in der Pflicht, entsprechende Vorschläge für die Menschen außerhalb der Ballungsräume auszuarbeiten. Ein fertiges Konzept hierfür hat indes auch der Gemeindetag nicht auf Lager. Auf Nachfrage heißt es aber, wichtig sei zunächst, auf dem Land Netz und Takt zu verdichten und die Anbindung an die Städte zu verbessern. Dafür seien vor allem zusätzliche Busse nötig - wie die Erfahrung zeige, dauere eine Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken zu lange. In der Praxis scheiterte eine Verdichtung bislang neben den Kosten auch an den Kapazitäten. So fehlen den örtlichen Busunternehmern bisweilen Fahrzeuge und Fahrer, um zusätzliche Verbindungen anbieten zu können.

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