Süddeutsche Zeitung

Politik in Bayern:Die SPD wieder sichtbar machen

  • Horst Arnold ist neuer Fraktionschef der SPD im Landtag. Er will die ganze Fraktion mitnehmen, jedes Argument würdigen, jede Debatte zulassen.
  • Gleichzeitig verspricht er, dass die SPD "klare Kante" zeigen wird. In der Asylpolitik vertritt er einen eher konservativen Kurs.
  • Die SPD-Fraktion ist gespalten. Bei der Wahl des Fraktionschef stimmte die Hälfte für Arnold, die andere für Florian von Brunn. Arnold wird sie nun zusammenführen müssen.

Von Lisa Schnell

Horst Arnold, 56, hat eine Vorliebe für kühne Anzüge. Sie sind gelb und kariert, willkürlich gewählt sind sie nicht. "Jedes Gewand hat eine Symbolik", sagt Arnold. Was will er also sagen? Er trägt rote Hose, rotes Sakko, roten SPD-Anstecker.

Die SPD wieder sichtbar machen, ist Arnolds Aufgabe als neuer Fraktionschef. Es ist keine einfache. Im Landtag muss man die SPD-Fraktion beinahe suchen, nach der Wahl hat sie sich fast halbiert. Auf dem Schaubild für die Sitzordnung finden sich neben einem großen grünen Block 22 rote Punkte. Arnold muss sie in den nächsten fünf Jahren zum Leuchten bringen.

Es war exakt 7.30 Uhr an einem Dienstag, als Arnold wusste, er will Fraktionschef sein. Er öffnete sein E-Mail-Postfach und sah die Bewerbung von Florian von Brunn um das Amt. Er fand, der Umweltexperte sei zu nah an den Grünen und er blickte ungläubig auf das Datum: Brunn schrie schon "hier", da bangten andere noch um ihren Sitz im Landtag. Ein ungutes Zeichen, wenn es nur um Einzelne geht, nicht um die Partei, fand Arnold. Er trat nach vorne, um Brunn zu verhindern. Aber nicht nur. Ein Grund, warum er jetzt im Zimmer des Fraktionschefs sitzt, liegt weiter zurück. 2012: Arnold macht seine Alkoholsucht öffentlich - und erfährt am eigenen Leib, was dieses Wort bedeutet, das in keiner SPD-Rede fehlen darf: Solidarität.

Zusammenhalt, damit warb Arnold für sich und nichts schien die Fraktion nach seiner Wahl mehr zu brauchen. Die eine Hälfte wählte Arnold, die andere Brunn, zweimal, bis sich Arnold durchsetzte. Von einem Graben war die Rede, mitten durch die Fraktion. Arnold muss ihn jetzt wieder schließen. Als erstes kündigte er eine Zeit der Selbstreflexion an. Dazu gehört Mut. Oft wurde der SPD vorgeworfen, sich nur um sich zu drehen und die Welt und die Wähler aus dem Blick zu verlieren. Auf der anderen Seite: Sollte, wer am Abgrund steht, nicht erst einmal stehen bleiben?

Arnold führt, indem er moderiert und das "sehr geschickt". So beschreibt das sein Vorgänger Markus Rinderspacher. Alle mitnehmen, jedes Argument würdigen, jede Debatte zulassen. Manchen ist das zu ineffektiv, viele sagen, die Fraktion braucht die Zeit. So sieht das auch Christian Flisek, der zuvor im Bundestag saß, und deshalb etwas distanzierter auf die Sache schaut. Er sagt aber auch: "Ewig kann die Selbstfindungsphase nicht dauern."

Irgendwann wird die Zeit kommen, in der Arnold nicht nur nach innen, sondern auch nach außen wirken muss. Er war landwirtschaftlicher Sprecher, leitete den Untersuchungsausschuss "Modellbau", die große Bühne suchte er im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Brunn nicht.

Arnold ist Jurist, seine Satzkonstruktionen sind manchmal kompliziert, dafür aber recht bildhaft. Er kann ebenso treffend wie poetisch sein: "Die Freien Wähler hinterlassen ein Kummergebirge der gebrochenen Versprechungen." Oder ein großes Rätsel: "Politische Leitplanken sollen nicht nur Leitplanken sein, der Konvoi muss auch durchfahren." Bei seiner ersten Rede im Landtag als Fraktionschef ging er die FW so pointiert an, dass sich deren Chef kaum auf dem Sitz halten konnte. Auch eine erste Schlagzeile produzierte er schon, mutig, sagen die einen, missglückt andere. Arnold plädierte für die Ämtertrennung in Partei und Fraktion im Bund und schlug Jusochef Kevin Kühnert als Parteichef vor.

Klare Botschaften klar formulieren können, ist das eine, nur was, wenn es gar keine klare Botschaft gibt? Es ist das alte Problem der SPD: Eine Hälfte ist dafür, die andere dagegen. Wenn alle immer zu Wort kommen sollen, könnte der Entscheidungsprozess auch mal länger dauern. Selbstreflexion, das ginge auch ganz schnell, meint Arnold, und: "In wichtigen Punkten, wo die Bevölkerung von uns klare Positionen erwartet, darf es kein Sowohl-als-Auch geben." Die SPD werde "klare Kante" zeigen.

Als nächstes soll ein Konzept zum sozialen Bodenrecht erarbeitet werden. Arnold will sich mehr von den Grünen abgrenzen. Der konventionellen Landwirtschaft steht er nicht allzu kritisch gegenüber. In der Asylpolitik vertritt er einen eher konservativen Kurs, anders als Landeschefin Natascha Kohnen. Sie unterstützte Arnold bei der Wahl, Stellvertreterdienste aber gehörten nicht zu seinem Wesenszug, sagt dieser. Kohnen vermied das Thema Flüchtlinge im Wahlkampf, Arnold findet, das war das Problem. Bei ihm daheim leben viele mit kleiner Rente und großer Sorge, ob das Geld für alle reicht. Ohne sachlichen Grund dürfe es keine Privilegierung von Flüchtlingen geben, sagt er. Wer abgeschoben wird, sei Sache der Gerichte.

Auch Arnold entschied über Abschiebefälle. Sein Spitzname war "Richter Gnadenlos". Ein Scherz, und trotzdem: Arnold habe sicher härter durchgegriffen, als es einige in der SPD für gut heißen würden, sagt Thomas Jung, Oberbürgermeister von Fürth. Er selbst stimmt mit ihm in fast allem überein: "Arnold folgt der Vernunft und die ist nicht so oft links angesiedelt." Sie trafen sich im Keller einer katholischen Kirche bei einer Silvesterfeier. 1979 war das. Elf Jahre war Arnold Jungs Vize als Vorsitzender in Fürth und "immer loyal". Eine Stadt wie Fürth, "ein sehr großes Dorf", erde einen, sagt Jung: "Arnold ist der Garant dafür, dass die SPD sich nicht in abwegige Themen flüchtet, sondern mit dem beschäftigt, was die Menschen bewegt."

Mit 16 trat Arnold in die SPD ein und zwar am ersten Mai, dem Tag der Arbeit. Die Symbolik war ihm wichtig. Seine erste Watschn bekam er als Ministrant von einem Prälaten, weil er jubelte, als Willy Brandt die Wahl gewonnen hatte. Der Vater war Parteimitglied, seine Mutter bei der Gewerkschaft. Marx auswendig lernen war nicht Arnolds Sache, die Jusos waren es auch nicht.

Die SPD aber werde er nie verlassen. "Das ist ganz tief drinnen", sagt er. Warum? "Solidarität", da ist es wieder, das Wort. 2012 spürte er, was das bedeutet. "Er war abgestürzt, wir haben ihm alle geraten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen", erinnert sich Jung. Arnold aber wollte nicht. Kaum jemand glaubte, dass er alleine mit dem Trinken aufhören könnte. Sie irrten. Arnold könnte von seiner Stärke sprechen, er spricht von seiner Fraktion: "Diese Fraktion hat mich gestützt. Deshalb muss ich ihr etwas zurückgeben."

Es wird hart nur noch mit 22 Abgeordneten, Arnold weiß das. Plötzlich ruft er aus: "Wir brauchen mehr Freude!" Seine Botschaft trägt er natürlich auf dem Leib. Er deutet auf sein Hemd: "Die Zukunft der SPD." Es ist rosarot.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2018/baso
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