Süddeutsche Zeitung

Bayern-SPD:Natascha Kohnen empfiehlt sich

Die Landeschefin der Bayern-SPD zieht sich aus dem Bundesvorstand zurück. Dabei räumt sie auch ihr Scheitern ein.

Von Lisa Schnell

Siebzehn Jahre mussten die bayerischen Genossen warten. Siebzehn lange Jahre hatten sie niemanden, der so mächtig war, dass er für sie mal so richtig auf den Tisch hauen konnte, wenn in Berlin mal wieder der Bundesparteivorstand zusammen kam. Siebzehn Jahre des Wartens also und dann kam sie: Natascha Kohnen. Die erste Landesvorsitzende seit Renate Schmidt, die es zur SPD-Vize geschafft hatte. Stellvertretende Bundesvorsitzende, das hörte sich gut an. Höchste Zeit! Endlich! "Bayerns starke Stimme in Berlin."

So jubelte 2017 nicht nur Generalsekretär Uli Grötsch. Jetzt, zwei Jahre später, ist der Jubel verstummt und "die starke Stimme in Berlin" wird es auch bald sein. Zumindest, soweit sie Natascha Kohnen zugesprochen wurde. Kohnen hört auf. Beim nächsten Bundesparteitag im Dezember will sie nicht mehr antreten. Sie gibt ihren Posten als Vize auf, ja selbst einfaches Vorstandsmitglied, wie sie es seit 2015 ist, will sie nicht mehr sein. Warum?

Ein Anruf bei Kohnen. Über ihren Rückzug denke sie schon länger nach, sagt sie. Schließlich habe sie so einiges erlebt in den vergangenen zwei Jahren. Und am Ende müsse man ja auch noch in den Spiegel schauen können. Bei einigem, was ihre SPD im Bundestag mitgetragen hat, fällt ihr das schwer. Etwa beim Klimapaket, in dem drinstehe, dass die 10-H-Abstandsregelung für Windräder in Bayern unangetastet bleiben müsse. Für Kohnen bedeutet das, dass die Pariser Klimaziele für ganz Deutschland unerreichbar würden. "Das geht nicht. Das finde ich nicht akzeptabel." Sie habe das auch im Parteivorstand moniert, "sehr heftig" sogar. Vergebens.

Ähnlich ging es ihr mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz von Innenminister Horst Seehofer, das bei seinen Gegnern wie Kohnen nur "Hau-Ab-Gesetz" heißt und Verschärfungen der Abschiebehaft vorsieht. Sie habe gewisse Grundwerte, sagt Kohnen, und die ließen sich mit so einem Gesetz eben nicht vereinen. Sie tat einiges, um es noch zu ändern. Kohnen schrieb einen Brief an die damalige SPD-Chefin Andrea Nahles, in dem sie im Namen der Bayern-SPD Nachbesserungen verlangte. Am Ende aber stimmten selbst von den 18 bayerischen SPD-Abgeordneten 17 für das Gesetz. Sie war unterlegen. Schon wieder. Man könnte sagen, Kohnen hat sich nicht durchgesetzt, Kohnen sagt, das sei eben Demokratie.

Die führt zu solchen Gesetzen, aber sie sagt: "Das ist für mich eine Entscheidung gewesen, die kann ich persönlich nicht mehr mittragen." Sie geht, weil ihr eigenes Gewissen es nicht anders zulässt. So hört sich das an. Aber nicht nur.

Da ist auch noch das Versprechen, das sie 2018 gegeben hat. Damals entwickelte sie sich von einer überzeugten Gegnerin der großen Koalition zu deren Befürworterin. Als frühere Skeptikerin konnte sie den Wandel nur mit einem Versprechen vertreten: "Dass wir das gute Regieren mit dem Profilieren der Partei zusammenkriegen." "Das Versprechen haben wir erkennbar nicht eingehalten", sagt Kohnen - und korrigiert: "Ich habe das Versprechen auch für mich nicht einhalten können." Sie selbst zieht daraus den Schluss zu gehen. Sie sagt nicht, dass es ihr andere gleich tun sollten. Sie sagt nur, es sei Zeit für einen Aufbruch, der unbelastet ist von den Groko-Diskussionen vor zwei Jahren.

Nur: Was wird jetzt aus der Bayern-SPD? Muss sie nun wieder siebzehn Jahre lang warten auf einen Stuhl in der ersten Reihe? Gerade jetzt, wo mit Umweltstaatssekretär Florian Pronold und Landesgruppenchef Martin Burkert auch noch zwei der bekanntesten Regierungspolitiker der Bayern-SPD aufhören. Sicher, man gebe ein gewisses Maß an Einfluss auf, sagt Kohnen. Sie verweist aber darauf, dass in Generalsekretär Uli Grötsch und der stellvertretenden Landesvorsitzenden Johanna Uekermann zwei bayerische Kandidaten für den Bundesvorstand kandidieren: "Das sind starke Personen." Ihre eigene Bilanz würde Kohnen so beschreiben: "Ich hoffe, es ist mir gelungen, die Perspektive Bayerns aufzuzeigen."

Kohnen meint damit etwa, wie sie lautstark gegen die eigene Vorsitzende Nahles rebelliert hat, als diese den umstrittenen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen zum Staatssekretär befördern wollte. Ihre Unterstützer nennen noch weiter Erfolge. Etwa, dass durch Kohnen die SPD-Spitzenleute aus Berlin zur Wahlkampfunterstützung nach Bayern kamen. Oder aber, wie sie in der Kommission für bezahlbares Wohnen "Dampf" gemacht habe. Zudem werde der Parteivorstand ja eh verkleinert auf nur noch drei Stellvertreter. Kohnen sei es auch immer gewesen, die im Vorstand den Finger in die Wunde gelegt habe, wenn Kompromisse beschlossen werden sollten, die mit den Grundwerten der SPD schwer vereinbar seien.

Klar sei sie damit auch gegen die Wand gerannt, das mehr als angespannte Verhältnis zur früheren SPD-Chefin Andrea Nahles ist kein Geheimnis. Aber immerhin habe Kohnen den Mund aufgemacht. Was die einen loben, ist für die anderen genau das Problem. Einige in der Landesgruppe beschweren sich über das ständige "friendly fire" aus Bayern. Ob nun Klimaschutzgesetz oder Grundrente, ständig kämen Maximalforderungen, die das vom Kompromiss geprägte Regieren in einer großen Koalition nicht gerade einfacher machten.

Manch einer bezweifelt, dass sie überhaupt noch mal gewählt worden wäre. Florian Post, Bundestagsabgeordneter aus München und nicht als Vorsitzender des Kohnen-Fanclubs bekannt, sagt: "Vielleicht beurteilt sie ihre Wiederwahlchancen relativ realistisch." Kohnen nicht mehr im Bundesvorstand? "Fällt nicht weiter auf." Er befürworte ihre Entscheidung, sich nun auf Bayern zu konzentrieren: "Wenn es dazu führt, dass wir zumindest in Bayern wieder hörbar werden, dann begrüße ich das."

Manche aber fragen sich, wie jemand, der sich selbst so geschwächt hat, in Bayern stark auftreten könne. Horst Arnold, Fraktionschef im Landtag, dagegen stellt sich hinter Kohnen. Sie habe Bayern in Berlin "gut vertreten". Dass sie jetzt wieder mehr in München statt in Berlin sein kann, sei doch gut. "Wenn man nicht so viele Menschen hat, ist man froh um jeden." Vielleicht komme dann ja die Bayern-SPD wieder "in die Puschen".

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SZ vom 21.11.2019/syn
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