Regierungserklärung im Landtag:Söder will Bayern von der Leine lassen

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Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, am Donnerstag im bayerischen Landtag, in dem er seine Regierungserklärung zur Wirtschaftspolitik abgegeben hat. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

„Mehr Freiheit statt Regulation“, unter dieses Leitmotiv stellt der Ministerpräsident seine Ideen zur Wirtschaftspolitik. Dabei skizziert er ein ehrgeiziges Modernisierungsprogramm bis 2030. Oder sind da noch ganz andere Ambitionen im Spiel?

Von Johann Osel

Nein, nicht um die Ampel soll es gehen, ausnahmsweise. Sondern um Bayern. Das wurde vor der Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eifrig kolportiert. Da steht Söder also, Donnerstagmorgen, am Rednerpult im Landtag, und beginnt – mit der Bundesregierung. Die Ampel habe „Deutschland in eine Sackgasse manövriert“, Söder nennt den „ideologischen“ Atomausstieg, Heizungsgesetz und Agrardiesel, „das völlig verkorkste Bürgergeld“.

Bayern stemme sich gegen den „nationalen Abwärtstrend“, noch. Man könne sich halt nicht abkoppeln von der gesamtdeutschen Entwicklung, zahle aber weiterhin viel, zu viel, für den Länderfinanzausgleich. „Wir sind nicht der Goldesel der Nation.“ Aber warten darauf, dass eine neue Bundesregierung die Versäumnisse korrigiert? Das sei nicht der bayerische Stil. Daher jetzt: diese Regierungserklärung.

Mit einem Entbürokratisierungs- und Beschleunigungsprogramm 2030 will Söder behördliche Regulierung im Freistaat abbauen, Innovation in der Wirtschaft befeuern, die Energiewende beschleunigen und besser Fachkräfte gewinnen. Es sei ein „Bayern-Update“, eine Fülle von Einzelmaßnahmen. Das Ganze soll ein Prozess sein, oft geht es um Strukturen, kostet kaum zusätzliches Geld. Im Zentrum von Söders Paket steht der Bürokratieabbau, ein „schlankerer Staat“, mehr Eigenverantwortung. Söder will, wenn man so will, Bayern von der Leine lassen.

Was ist geplant? Im Zuge der „Paragrafen-Bremse“ sollen etwa für ein neues Gesetz künftig zwei alte wegfallen. Neue Gesetze sollen „auf Bewährung“ sein – mit einem Ablaufdatum von fünf Jahren, Verlängerung nur bei erwiesener Sinnhaftigkeit. Das Baurecht soll entschlackt werden, einige Beispiele: keine Baugenehmigungen mehr für Dachausbauten oder Umwandlung von Büro- in Wohnraum. Die Einplanung von Stellplätzen bei Neubauten soll den Kommunen überlassen sein, nicht mehr landespolitisch geregelt. Ausschreibungen im Vergaberecht, Umweltberichte in der Landesplanung, Schreiben der Ministerien an untere Ebenen – alles soll einfacher werden. Generell sollen Beamtinnen und Beamte animiert werden, „schneller und mutiger“ zu entscheiden; überdies die Berücksichtigung dieser Eigenschaft etwa bei Beförderungen.

Interessant ist die „Modifizierung“ des Verbandsklagerechts. Es könne nicht sein, dass „ortsfremde NGOs“, Lobbygruppen also, in Gemeinden das Fortkommen von Projekten verhindern, sagt Söder. Auch Bürgerentscheide sollten „weiterentwickelt“ werden. Diese seien „ein hohes Gut“, sie könnten „befrieden, aber sie werden zunehmend auch als Blockade eingesetzt“. Es gelte, eine Balance zu finden „zwischen Allgemeinwohl und Partikularinteressen“. Einen Vorschlag dazu soll ein breit angelegter runder Tisch finden, unter Leitung des früheren Ministerpräsidenten Günther Beckstein.

Einen Kurswechsel plant Bayern beim Bau neuer Stromtrassen: Bereits geplante Projekte sollen weiter unter der Erde verlegt werden. Für neue große Leitungen soll aber gelten: „Überirdisch, wo möglich, unterirdisch, wo nötig.“ Das werde den Bau neuer Trassen schneller und billiger machen. Bayern will von seinem Recht zur Übernahme von mehr als 85 Uniper-Kraftwerken an bayerischen Flüssen vom Jahr 2030 an Gebrauch machen. Ein Kauf durch den Freistaat war zuletzt nicht zustande gekommen. Für die Genehmigung von Windparks sollen künftig einheitlicher die Bezirksregierungen zuständig sein, anstelle der Landkreise. Das Vetorecht von Gemeinden bei geplanten Windanlagen in Staatsforsten soll wegfallen; dies hatte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) schon dieser Tage angekündigt.

Das Ehrenamt soll weniger reguliert werden

Thema Fachkräfte. „Wir brauchen Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, aber nicht in die sozialen Sicherungssysteme“, sagt Söder. In der Realität sei dieser Unterschied nicht sichtbar, Wirtschaftsingenieure für Firmen stünden oft in derselben Schlange mit Schutzsuchenden. Künftig soll es eine schnelle Spur für ausländische Fachkräfte aller Berufe geben; wie bislang schon für die Pflege, dort seien die Bearbeitungszeiten im Schnitt um ein Drittel reduziert worden. Bei der schlecht funktionierenden Anerkennung ausländischer Abschlüsse soll es zentrale Zuständigkeiten geben. Die Finanzierung für Wirtschaft und Mittelstand wird umgestaltet: Die LfA Landesförderbank soll ausgebaut werden, bei neuen Technologien springt der Freistaat für womöglich zögerliche Hausbanken von Firmen ein. Für Start-ups kommt ein „Super-Risiko-Kapitalfonds“, für „Unternehmen im Umbruch“ ein Transformationsfonds. Alles in allem sollen dadurch milliardenschwere Investition im Freistaat entstehen.

Das Ehrenamt soll weniger reguliert werden. Wenn Vereine zweimal Feste erfolgreich abgehalten haben, soll keine neue Genehmigung mehr nötig sein; nur noch eine Anzeige beim Amt. Vorstände sollen bei der Haftung entlastet werden, Umzüge von Trachtenvereinen, Schützen oder Sportlern sollen weitgehend kostenfrei werden.

Söders Vorschläge sind nicht beschlossene Sache – sondern werden nun den Weg der Gesetzgebung im Landtag nehmen. „Mehr Freiheit statt Regulation“ sei „die Grundphilosophie dieser Staatsregierung“, ein Leitmotiv. Damit bekommt die zweite volle Regierungszeit Söders quasi eine Überschrift – der Koalitionsvertrag von CSU und FW im Herbst wirkte auf viele eher mäßig ambitioniert. Und gerade zuletzt kam im politischen München immer wieder die Frage auf: Hat Markus Söder Langeweile? Den Eifer, den er bei Zwischenrufen gegen die Ampel an den Tag legte, vermissten manche in der Landespolitik. Ob die Inszenierung jetzt als Anpacker auch Vorbote für doch mögliche Kanzlerambitionen ist, wird sich zeigen.

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Über Monate hatte die Staatsregierung den Aufschlag vorbereitet, intern und im Dialog etwa mit den Kammern. Aber dem Vernehmen nach bewusst erst nach der Europawahl vorgelegt, um sich nicht dem Vorwurf einer Beeinflussung auszusetzen. Alle Ressorts waren eingebunden, heißt es in Regierungskreisen, eine „Team-Leistung“. Also auch mit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, in dessen Bereich sich Söder nun sichtbar hervortut? „Alles abgesprochen“, sagt Söder. Aiwanger ist am Donnerstag nicht in der Plenarsitzung. Indes aus gutem Grund – in Landshut tagt die Konferenz der Wirtschaftsminister, Aiwanger ist Gastgeber. FW-Fraktionschef Florian Streibl lobt dezidiert „alle Fachminister, die hier zugetragen haben“. Diese Koalition „lebt, sie hat Power und Kraft“. CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek nennt die Regierungserklärung „einen Plan, eine Idee für die Zukunft“ Bayerns.

Die Opposition hat das Manko, dass sie in Söders Rede erstmals von dessen Ideen hört – und dennoch kontern muss. Ingo Hahn (AfD) wittert ein „Strohfeuer“. Und über allem schwebe ja die Gefahr durch „kulturfremde Migranten“. Der grüne Fraktionsvize Johannes Becher hätte sich gewünscht, dass die Vorschläge dem Landtag vorher zugegangen wären, schließlich sei bei der Umsetzung fortan „konstruktiver Austausch“ gefordert. Diese Mahnung kommt auch aus Söders eigenen Reihen, von Kerstin Schreyer (CSU). Eines kann sich Becher nicht verkneifen. Beim Thema Cannabis habe es nach dem Bundesgesetz keine Notwendigkeit für ein bayerisches Zusatzgesetz zur Regulierung gegeben – Söder sei also „Experte für politisch motivierte Bürokratie“. Florian von Brunn (SPD) vermisst den Hochwasserschutz, ein „schlimmes Beispiel für die unerträglich lange Dauer, bis Großprojekte in Bayern fertig sind“. Und er fragt an Söders Adresse: Ob die Beschleunigung für Bayern nicht auch „als Karriere-Turbo für Sie“ gedacht ist?

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