Ministerpräsident Söder in Polen:Auf den Spuren von Willy Brandt

Lesezeit: 4 Min.

Mit einem Kniefall vor dem Denkmal der Helden des Warschauer Ghettos gedenkt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder der Opfer des Nationalsozialismus. (Foto: Marco Hadem/dpa)

Bayerns Ministerpräsident Söder führt mit der Reise nach Warschau seine außenpolitische Offensive fort. Zugleich verfolgt er damit innenpolitische Ziele – Staatsregierung und CSU sollen für ihre künftige Rolle im Bund gestärkt werden.

Von Johann Osel, Warschau

Markus Söder steht erst still und schweigend da, man hört nur die militärischen Ehren, Uniformierte mit Trommel und Trompete. Er verbeugt sich schließlich. Und dann geht er auf die Knie. Es ist die Geste wie im Dezember 1970 beim Kniefall des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt. Und es findet an genau derselben Stelle statt: im kalten Wind vor dem Mahnmal für die Helden des jüdischen Ghettos in Warschau, für die Aufständischen gegen die Nazi-Barbarei. Ein vergeblicher Aufstand von jenen Juden, die 1943 noch nicht nach Treblinka deportiert waren.

Bayerns Ministerpräsident ist nach Warschau gereist – vorgesehen sind laut Programm Kranzniederlegungen zum Gedenken an den Ghetto-Aufstand und an die Opfer des Zweiten Weltkriegs. „Das gebietet nicht nur unsere historische Verantwortung, sondern ist mir auch persönlich sehr wichtig“, hieß es zuvor. Dass es dann diese bildstarke, historisch bekannte Geste wird, war nicht absehbar. Man hätte es bei Söder aber vielleicht doch ahnen können.

SZ Bayern auf Whatsapp
:Nachrichten aus der Bayern-Redaktion – jetzt auf Whatsapp abonnieren

Von Aschaffenburg bis Berchtesgaden: Das Bayern-Team der SZ ist im gesamten Freistaat für Sie unterwegs. Hier entlang, wenn Sie Geschichten, News und Hintergründen direkt aufs Handy bekommen möchten.

Söder reist diese Woche, am Mittwoch und am Donnerstag, nach Warschau sowie nach Prag – für Gespräche mit den Regierungschefs von Polen und Tschechien, Donald Tusk und Petr Fiala. „Ein Doppelbesuch innerhalb von zwei Tagen: Es geht dabei um die Verfestigung und den Ausbau unserer Osteuropa-Strategie“, sagt er. Bei Tschechien liegt der Anlass auf der Hand: die direkte Grenze zu Bayern, die Beziehungen, die nach historischer Belastung seit gut anderthalb Jahrzehnten wieder enger gepflegt werden. Gerade die acht Grenzlandkreise in der Oberpfalz, in Niederbayern und Oberfranken sind vielfach verbandelt mit den tschechischen Nachbarregionen. Aber bei Polen, das kein Nachbarland des Freistaats ist?

„Nicht so intensiv“ seien die bayerisch-polnischen Beziehungen, räumt Söder ein. Wobei, wirtschaftliche Kontakte gibt es. 2023 verzeichnete das bilaterale Handelsvolumen zwischen Bayern und Polen gut 25 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Polen belegt bei Bayerns Außenhandelspartnern unter allen EU-Staaten immerhin den fünften Platz. Etwa 3000 bayerische Firmen unterhalten derzeit Geschäftsbeziehungen in Polen, teils auch eigene Niederlassungen. Das gelte es auszubauen, sagt Söder. Inklusive dezentem Hinweis, dass das Bruttoinlandsprodukt des Bundeslands Bayern höher sei als das der gesamten Republik Polen.

Aber da ist natürlich noch mehr als die Wirtschaft, die ihn zu dieser Reise veranlasst. Seit Donald Tusks Zeit als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) habe er einen persönlichen Draht zum polnischen Regierungschef, sagt Söder. „Wir wollen ein neues Kapitel der Zusammenarbeit mit Polen aufschlagen.“ Auch nach dem Regierungswechsel zu Tusk und der anti-deutschen Stimmung, wie sie die rechtspopulistische Vorgängerregierung geschürt hatte. In Polen finde gerade „ein neuer demokratischer Anfang“ statt. Grob alle zwei Jahrzehnte seien bayerische Ministerpräsidenten nach Polen gereist, wie Franz Josef Strauß (1983) und Edmund Stoiber (2001). Doch Polen sei jetzt noch bedeutender, als Partner in der Sicherheitspolitik, als „Bollwerk an der Nato-Grenze“. Polen verdiene dieselbe Augenhöhe, findet Söder, wie sie Deutschland zu Frankreich habe.

Man sieht an diesem Tag: den Außenpolitiker Markus Söder, maximal ernsthaft, wenn es um diese Themen geht. Aber in Warschau wird natürlich auch viel geschlemmt und geschäkert. Beim Rundgang durch Altstadt und Weihnachtsmarkt schert Söder zum Wurststand aus und beißt genüsslich in seinen Einkauf. Der Warschauer Markt reiche aber nicht an den in seiner Heimatstadt Nürnberg heran, bilanziert der kundige Ministerpräsident.

Unter anderem will Söder ein neues bayerisches Büro in Polen gründen, um die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zu verbessern. Weltweit hat Bayern ein Repräsentanten-Netzwerk mit rund 30 Standorten, meist getragen vom Wirtschaftsministerium; in China und in den USA, in Südamerika oder in der arabischen Welt. Einzelne Vertretungen fallen direkt in die Zuständigkeit der Staatskanzlei, so auch in Prag. In Warschau gibt es bislang eine Anlaufstelle des Wirtschaftsressorts. Jetzt soll ein Polen-Büro unter Ägide der Staatskanzlei dazu kommen – und zwar in Breslau im Westen des Landes. Das gibt Söder auf der Reise bekannt. Übrigens auch, dass in Bayerns NS-Gedenkstätten Hinweisschilder künftig auch auf Polnisch übersetzt werden sollen.

Kann offenbar auch in Warschau an keinem Wurststand vorbeigehen: Markus Söder lässt es sich während seines Besuchs in Warschau auf einem Weihnachtsmarkt schmecken. (Foto: Marco Hadem/dpa)

Was steckt hinter Söders außenpolitischer Offensive seit ein paar Jahren, unter anderem auf der Chinesischen Mauer in Peking, vor Pyramiden in Ägypten, in Israel, auf dem Balkan, jetzt in Osteuropa? Die These, er wolle sein außenpolitisches Portfolio für weitere Karrierepläne aufpolieren, hat sich zerschlagen. Sein Platz ist nach letztem Stand der Dinge in Bayern. Der Eindruck, dass er Fluchten aus der oft kleinteiligen Routine des Münchner Regierungsbetriebs sucht, trägt da schon eher. Was indes sicher der Fall ist: Die traditionelle Nebenaußenpolitik bayerischer Ministerpräsidenten soll gepflegt werden. Die Staatsregierung und die CSU als mögliche künftige Regierungspartei im Bund sollen mitreden in der Welt. Söder will mitreden.

Und so geht es in Warschau dann noch um viel mehr – beim Treffen mit Tusk in dessen Regierungssitz. Ohne Presse allerdings. Die Gespräche drehen sich dem Vernehmen nach um die Ukraine, um Migration und um Verteidigung. Themen, die für die CSU auch daheim eine Rolle spielen, erst recht im aufziehenden Wahlkampf. Am Montag hatte sich Söder nach dem CSU-Vorstand zum Krieg in der Ukraine geäußert. „Der unbestreitbare Wille zum Frieden ist bei allen vorhanden“ – man brauche aber eine „dauerhafte stabile Sicherheitsarchitektur“, keine „brüchige Situation, die jederzeit zu neuen Konflikten führen kann“.

So erkennt man in der CSU, wie die SPD gerade mit dem Thema Waffenlieferungen und Kriegsangst in den Wahlkampf zieht. Söder nannte es am Montag „schäbig“, dass Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz „in irgendeine Nähe“ gerückt werde. Gemeint war die Aussage von Kanzler Olaf Scholz, Merz spiele wegen des Marschflugkörpers Taurus mit Deutschlands Sicherheit „russisch Roulette“. Auch die simplen Anti-Kriegs-Losungen der AfD, die in Umfragen zweitstärkste Kraft in Bayern ist, treiben die CSU um.

Auf der Warschau-Reise sagt Söder, Polen habe seine Sicherheit stark ausgebaut, das könne „Vorbild“ für Deutschland sein. Die CSU will ja im Wahlkampf für die „massive Stärkung der Bundeswehr“ werben, druckt diese Forderung sogar auf Wahlplakate. Söder ruft Scholz dazu auf, sich für die Bildung einer Ukraine-Kontaktgruppe einzusetzen. Ein solches Format mit Ländern wie Deutschland, Frankreich, aber auch Polen solle die europäische Ukraine-Politik koordinieren. Damit bestätigt Söder einen Vorstoß von Friedrich Merz. Dieser war am Dienstag, einen Tag vor Söder, ebenfalls in Warschau und sprach mit Tusk. Es ging da ganz eindeutig um die künftige bundesdeutsche Außenpolitik. Nicht nur um ein Mitreden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPolitik in Bayern
:Der unausweichliche Social-Söder

Dem bayerischen Ministerpräsidenten ist praktisch nichts zu blöd, was bei den Leuten gut ankommen könnte. Wie Markus Söder auf Insta, Tiktok und X als Spaßpolitiker Erfolg hat – und welchen Preis er dafür zahlt.

Von Roman Deininger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: