Süddeutsche Zeitung

Politik in Bayern:Wo liegt Söders Schmerzgrenze?

Hubert Aiwangers Impfskepsis hat die Koalition in eine Krise gestürzt. Der Ministerpräsident steht nun vor der Frage, wie lange er seinen Vize gewähren lässt. Die Antwort darauf ist nicht ganz einfach.

Von Andreas Glas und Johann Osel

Die Woche hatte überraschend ruhig begonnen. Trügerisch ruhig, wie inzwischen jeder weiß. Am Dienstag, nach der Sitzung des Kabinetts, traten Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Münchner Hofgarten vor die Presse. Klar, es war eine Spitze, als Söder die Hoffnung äußerte, dass die Koalition nach der Bundestagswahl "noch seriöser" zusammenarbeiten werde. Trotzdem dankte er seinem Vize Aiwanger demonstrativ für die gute Zusammenarbeit - trotz dessen Ansichten zum Impfen, die mit der Söder-Linie kollidieren. Gute Zusammenarbeit, echt? Das könne er, so Aiwanger, "ohne nachzudenken" bestätigen. Und jetzt, nur Tage später? Sind da Fragen. Können CSU und FW noch miteinander, ist gar ein Bruch der Koalition denkbar? Was will Söder sich noch alles gefallen lassen von seinem Vize, wo liegt seine Schmerzgrenze? Im Deutschlandfunk hatte sich Aiwanger als Fürsprecher der Impfkritiker und Zögerer präsentiert und das "politische Establishment" getadelt, dem er sich nicht beugen werde. Und zu dem er sich als stellvertretender Regierungschef des Freistaats anscheinend nicht zählt. Wann wird der anfangs so bequeme Partner für die CSU doch zu unbequem? Und was hat Aiwanger noch in petto für den Wahlkampf mit Ziel Bundestag? Ziemlich viel, was das politische München da plötzlich umtreibt, mit Stoßwellen bis Berlin.

Eines steht fest: An einer Regierungskrise hat die CSU kein Interesse, so kurz vor der Wahl erst recht nicht. Und die Pandemie ist nicht vorbei, im Fall des Krisenmanagers Söder dürfte auch das ein Faktor sein. Er setzt sich ja gerade wieder an die Spitze der Corona-Bekämpfer. Ohnehin die Wahl: Bei drei Prozent liegen die Freien Wähler bundesweit in Umfragen, inzwischen bekommen sie oft einen eigenen Balken. Dass die CSU mit zuletzt um 36 Prozent weit unter ihrem eigenen Soll ist, kommt hinzu. In der CSU herrscht die Sorge, dass zu viel Aufmerksamkeit für Aiwanger just die zwei Prozent bringen könnte, die den FW fehlen, um tatsächlich im Bundestag zu landen - und dass das der CSU wichtige Stimmen klaut. Was also tun?

Bis jetzt sieht alles danach aus, als versuche sich die CSU in einem waghalsigen Balanceakt. Die Parteispitze geht zwar auf Abstand zu Aiwanger, um nicht das Gesicht zu verlieren - distanziert sich aber nur so deutlich vom FW-Chef, wie es unbedingt nötig ist. Bei Söder klingt das dann zum Beispiel so: "Ich mache mir Sorgen um ihn", sagt der Ministerpräsident im aktuellen Spiegel. Wer glaube, sich "bei rechten Gruppen und Querdenkern anbiedern zu können, verlässt die bürgerliche Mitte". Andererseits sagte er im selben Interview: Die Zusammenarbeit mit den FW in Regierung und Parlament sei "exzellent." Der Frage nach seiner Schmerzgrenze bei Aiwanger weicht Söder sogar komplett aus.

Das alles könnte man sich schärfer vorstellen, oder wuchtiger, um ein Adjektiv zu bemühen, das Söder gern benutzt, wenn es um eigene Vorhaben geht. Insgesamt, das fällt auf, bleibt die CSU doch gebremst, Tenor: keine Eskalation! "Ich mache mir Sorgen" - das erinnert ein wenig an einen Vater, der über seinen pubertären Teenagersohn spricht, der bockig ist, abstruses Zeug redet, sich mit zwielichtigen Freunden herumtreibt, aber Gott sei Dank noch nicht polizeilich auffällig wurde. Quasi: Das wird sich schon wieder einpendeln.

Dass Söder nicht direkt die höchste Eskalationsstufe zündet, hat auch mit seinen eigenen Erfahrungen zu tun. Dass sich Aiwanger aus seiner Sicht bei den Querdenkern anbiedert, erinnere ihn an den CSU-Landtagswahlkampf 2018, auch das sagte der Ministerpräsident im Spiegel. Damals setzte die CSU ja auf einen scharfen Kurs in der Asyldebatte, um AfD-Wähler abzuwerben. Dass die CSU nun immer öfter die Begriffe Querdenker oder AfD im Zusammenhang mit Aiwanger fallen lässt, dürfte also den Zweck erfüllen, die Freien Wähler als unwählbar darzustellen - in der Hoffnung, dass Aiwangers Partei am Ende genauso abgestraft wird wie die CSU 2018.

Spannend wird auch: Kann sich Aiwanger bremsen bis zur Bundestagswahl? Will er das überhaupt? Geht er am Ende sogar noch weiter in seiner Rolle als Quertreiber vom Dienst? Oder bremst ihn seine Partei ein? Bei der Impffrage erntet er durchaus Skepsis an seiner Basis. Andererseits: Alle wissen, dass bei den Menschen vor allem die Person Aiwanger die Stimmen zieht. Noch vor Kurzem war auch in der CSU noch ein gewisser Neid auf einen Politikertypus wie Aiwanger spürbar. Ein Typus, den es in Söders erneuerter, modernisierter, auf die Grünen als Hauptgegner durchgestylter CSU kaum noch gibt - einen, der sich als Volkstribun inszeniert, auch wenn es noch so knallig daherkommt oder auf einer fragwürdigen Faktenlage fußen mag.

Beim Thema Migration etwa versuchte Aiwanger jüngst ein Feld zu beackern, das die CSU jahrzehntelang für sich beanspruchte. Nach dem Attentat in Würzburg forderte er prompt neue Asylregeln. Auch zu Gleichstellungsfragen hat der FW-Chef neulich schon kantig vorgelegt, indem er den Grünen "Mobbing gegen Männer" vorwarf. Söder ließ zuletzt durchblicken, dass nicht mehr die Grünen der Hauptgegner in den letzten Wahlkampfwochen sein werden, sondern Freie Wähler und auch FDP.

Was also, wenn Aiwanger in den kommenden Wochen nicht bremst, sondern noch mehr Gas gibt, eben auch in der Debatte um Impfen und Corona? In seinem Umfeld gehen einige davon aus, dass dieses Szenario eintritt. Aiwanger sei "kein Mann der Einsicht", heißt es auch aus der CSU-Spitze, die sich bereits auf eine weitere Eskalation der Lage einstellt.

Zumindest theoretisch könnte Söder unkompliziert die Pferde umspannen und mit den Grünen koalieren, zumal er sich selbst als Klimaretter sieht. Anruf bei Ludwig Hartmann, Fraktionschef der Grünen. Aiwangers "Sabotage" der Impfkampagne der eigenen Regierung sei "kein Ausrutscher mehr, sondern mittlerweile anscheinend System für den Wahlkampf". Sehr wohl könne man "fragen, wo da die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist" - und warum Söder "überhaupt keine Führungsstärke" zeige. Das Aus der Koalition aber erwartet Hartmann nicht. Falls doch, stünden seine Grünen dann bereit? Es folgt ein thematischer Monolog: zu Energiewende, ökologischer Landwirtschaft, Flächenverbrauch. Söders Pläne seien da überall unzureichend, die CSU-Denke erst recht. Soll wohl heißen: Trotz Impfkrise sind die FW der bequeme Partner für die CSU. Nur, wie lange noch?

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Quelle:
SZ vom 31.07.2021
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