Die Kreissäge kreischt, Martin Lames muss die Stimme heben, um sich Gehör zu verschaffen. Das ist ihm wichtig, denn als Lehrstuhlinhaber an der TU München ist er eine Art Gesandter aus der Zukunft. Doch er bringt keine guten Nachrichten aus dem hochschulpolitischen Experimentierfeld, im Gegenteil. Er berichtet vom hohen Druck, Geld von außen zu sammeln. Darüber, wie Studierende darum bangen, dass es ihr Fach in den nächsten Jahren überhaupt noch gibt. Summa summarum, wie "die Axt gerichtet", sein Fachgebiet der Sportwissenschaften stillschweigend abgewickelt wird. Dann ist es still, und kurz hört man nur noch die Bagger, die auf und ab fahren, in einem der größten Umbauprojekte des Landtags in der jüngeren Geschichte. Im laufenden Betrieb. Das sei "eine große Herausforderung für alle", erklärte Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) unlängst.
Was man auch für die bayerischen Hochschulreform sagen könnte. Zwei Jahre ist es her, dass Ministerpräsident Söder eine neue Marschrichtung für die Hochschullandschaft vorgab. "Transfer", "Deregulierung", "Entfesselung", "neue Epoche", so lauteten die Schlagworte, die deutlich attraktiver klangen als das Klein-Klein hinter der Umwälzung des bayerischen Hochschulgesetzes von 2006. Diese soll die Hochschulen mittels weniger Bürokratie, ergebnisorientierter Forschung und einfacherer Start-up-Gründungen unternehmerischer machen - und den Freistaat wettbewerbsfähiger.

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Zwei Jahre später steckt der neue Entwurf noch in der Ressortabstimmung. Und vor dem Landtag spielt sich ein weiteres der vielen Kapitel im Tauziehen um die Frage ab, in welche Richtung die bayerischen Hochschulen steuern sollen. Mehr Partizipation? Oder mehr Windschnittigkeit? Bernd Sibler (CSU) muss die drei Aktenordner mit knapp 9000 gebündelten Protestunterschriften erst einmal auf einem Holzstapel ablegen, so schwer lastet der Verteilungskampf in seinen Armen.
Gesammelt hat sie die Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften (GuS), eine Gruppe, die fürchtet, dass mit der Stärkung der Zukunftsbereiche ihre eigenen Fächer untergehen. Auch Sandra Flurer steht im eiseskalten Novembermorgen. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Literaturbereich der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg berichtet von Kürzungen, die es zunehmend schwierig machten, komplexe Forschung zu betreiben. Christoph Klein, Kunstpädagoge an der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste fragt, wie ein Bereich, der Selbstzweck ist, in Zukunft der Marktwirtschaft dienen soll. Eduard Meusel, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Indogermanistik an der LMU München, hat miterlebt, wie aus 24 Studienplätzen zehn wurden. Er fragt sich, was das eigentlich für eine Logik ist, unter der die Hochschulen in Zukunft arbeiten sollen.
Es ist eine Frage, die sich viele stellen, auch dieser Tage, in denen es verdächtig ruhig geworden ist um das bayerische Zukunftsprojekt. Die Freien Wähler hätten noch Klärungsbedarf gehabt, ist zu hören. Deren hochschulpolitischer Sprecher zeigt sich schmallippig. Doch auch Hubert Faltermeier deutet an, dass es nicht zuletzt um jene Themen geht, die die Kritiker am Donnerstag zum Landtag getrieben hat. Nicht nur naturwissenschaftliche Fächer dürften im Vordergrund stehen und Hochschulen nicht so umstrukturiert werden, dass alles auf Effizienz aus sei. Man sei "am Ringen", aber auch gut vorangekommen.
Wobei die Zwangs-Entschleunigung manchen gerade zupasskommt. Groß war der Aufschrei im Frühjahr, als die Liberalisierung der Hochschulen zunächst im Eiltempo von sechs Wochen durchgedrückt werden sollte. Sie sollten sich maximal verschlanken und ihre eigene Verfassung bestimmen können - das war selbst manchen Antreibern zu radikal. "Der Gesetzgeber muss schon den Rahmen vorgeben", sagt Walter Schober, Präsident der Technischen Hochschule Ingolstadt und Sprecher der bayerischen Hochschulen.
Viele fragen sich, wo der vermeintlich große Wurf geblieben ist
Wie viel Einfluss sollten Unternehmen auf die Hochschulen haben? Wie viel Mitbestimmung kann es geben, wenn Entscheidungen schneller fallen sollen? Wie viel Macht dem Kanzler, ohne dass dieser plötzlich durchregiert? Hier die deutsche Partizipation, dort die angelsächsische Idee einer unternehmerischen Hochschule. "Beide Visionen waren im Entwurf nicht gut zusammengefügt", sagt Sabine Döring-Manteuffel, Präsidentin der Uni Augsburg und Sprecherin der bayerischen Universitäten.
Kann die Quadratur des Kreises gelingen? Fakt ist: Mit dem letzten Entwurf wirkt keiner so richtig glücklich. Die Studierendenvertreter der Landesastenkonferenz sehen sich entmachtet, der Mittelbau vernachlässigt, die Antreiber ausgebremst. Doch der Druck bleibt hoch, die Unternehmung gilt als eines der Prestigeprojekte Söders. Da müsse jetzt mal was kommen, sagte er Teilnehmern zufolge zuletzt auf der 50-Jahre-Jubiläumsfeier bayerischer Hochschulen.

Hochschulen in Bayern:Endlich wieder in echte Gesichter schauen
Für etwa 140 000 Studentinnen und Studenten in Bayern geht es an diesem Montag zurück in den Hörsaal. Für viele zum ersten Mal. Eine Studentin, ein Psychologe, ein Professor und ein Präsident blicken zurück und nach vorne.
Selber schuld, meint die Opposition. "Man hätte das ganz anders vorbereiten müssen", sagt Verena Osgyan (Grüne). Nicht "Hauruck" mit Eckpunkten kommen und nachgelagertem Diskussionsprozess. Markige Worte findet auch Christian Flisek (SPD). Handwerklich "desaströs" sei das gelaufen: Die Reform zusammen mit der High-Tech-Agenda zu verkünden, sei der "Geburtsfehler" gewesen. Die beiden hochschulpolitischen Sprecher stehen am Donnerstagmorgen ebenfalls vor dem Landtag, um ihre Solidarität zu bekunden.
Und Sibler, der selber Germanistik und Geschichte studiert hat? Der nimmt sich Zeit, hört erst einmal zu. Und versucht dann, die Bedenken aufzufangen. Der Mensch stehe im Mittelpunkt und nicht die Technik, bei der Kunst verbiete sich eine Bewertung von Haus aus, und natürlich sollten die mehr als 2000 neuen Professuren nicht nur in im technischen Bereich entstehen. Er deutet an, woran es derzeit hakt: die hochschulinternen Checks und Balances seien "der schwierigste Punkt". Es sind die Worte eines Ministers, der das Kunststück vollbringen muss, die bayerischen Hochschulen fit für die Zukunft zu machen, ohne dabei allzu große Schäden zu hinterlassen. Sportwissenschaftler Lames macht sich hingegen keine großen Hoffnungen mehr. "Wir haben resigniert", sagt er. Im Hintergrund kreischt die Säge.