Bayerische Geschichte:Die Urahnen des Shitstorms

Shitstorm

Eine Internetverbindung, eine Neigung zum Schimpfen und eine Prise Gehässigkeit - das ist alles, was der moderne Hater (Hassende) braucht, um sein Herz zu wärmen.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Hass und Häme sind alte Bräuche, die sich bis heute größter Beliebtheit erfreuen. Ein frühes Shitstorm-Opfer war die Tänzerin Lola Montez.

Glosse von Hans Kratzer

Dass die Bayern ganz allgemein als ein Volk von Deppen gelten, ist durch unzählige Urteile von sogenannten Saupreußen einwandfrei belegt. Die Reaktion der Verunglimpften besteht in der Regel aus trotziger Aufwallung. Schon vor 1200 Jahren notierte ein bayerischer Mönch auf einer Handschrift: "Stulti sunt Romani, sapientes sunt Paioari!" Auf gut Deutsch: Die Römer sind dumm, die Baiern gescheit. Der gute Mann provozierte damit wohl den ersten Shitstorm der bayerischen Geschichte.

Der aus Hass und Häme geformte Shitstorm ist ein Brauch, der sich bis heute größter Beliebtheit erfreut. Eine Internetverbindung, eine Neigung zum Schimpfen und eine Prise Gehässigkeit - das ist alles, was der moderne Hater (Hassende) braucht, um sein Herz zu wärmen. Ein frühes Shitstorm-Opfer war die Tänzerin Lola Montez, die vielen Männern den Kopf verdrehte, aber auch die Gabe besaß, sich ganz schnell unbeliebt zu machen. Das Theatervolk zischte die Dame nach Kräften aus. Bisweilen reckte sie dem Publikum, das ihre Leistungen nicht würdigte, den hinteren Teil ihres Körpers entgegen.

Heute behalten viele ihre Meinung lieber für sich, sie fürchten den Shitstorm, dessen Wucht sich im Netz orkanartig aufgeblasen hat. So fällt der Mensch wieder in sein Schweigen zurück, fast wie früher, als sich das Landvolk oft verstockt gab. "Ja mei!", sagten die einen. "Von mir aus!", sagten die anderen, und die besonders Grantigen raunzten: "Schleich di!" Ein wenig Linderung im allgemeinen Verdruss brachte das Fluchen, das ein Genosse des Shitstorms ist. Manche schmeckten, vom Gewissen geplagt, ihre Flüche mit raffinierter Wortakrobatik ab. Statt Sakrament sagten sie Sacklzement, und statt Kruzifix riefen sie Kruzifünferl.

Das Leben muss wehtun, sonst ist es nicht richtig, hieß es einst. Selber denken, das war nicht erwünscht, der Journalist Fritz Meingast erlebte das in Kriegszeiten sehr eindringlich. Sein Vater erklärte ihm: "Wer die meisten umbringt, der hat gesiegt." Fritz entgegnete ihm, in der Religionsstunde habe er gelernt: Du sollst nicht töten! Der Vater gab ihm eine Trumm Watschn und schrie: "Wennst noch einmal so saudumm daherredest, dann kriegts noch einmal a Watschn."

Auf Twitter und Facebook wird diese Geschichte trefflich weitergeschrieben.

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