Debatte über Schwimmfähigkeiten:Sanierungsstau im Schwimmbad

Debatte über Schwimmfähigkeiten: Viele Kinder lernen heutzutage Schwimmen in Kursen, die meist in kommunalen oder schulischen Schwimmbädern abgehalten werden.

Viele Kinder lernen heutzutage Schwimmen in Kursen, die meist in kommunalen oder schulischen Schwimmbädern abgehalten werden.

(Foto: Catherina Hess)

Viele Kinder sind im Wasser unsicher. Ein Grund ist die Schließung der Bäder wegen des maroden Zustandes. Bis zu einer Milliarden Euro würde ihre Sanierung kosten. Doch wer kommt dafür auf?

Von Johann Osel

Nach Berichten über viele Badetote nimmt die Debatte über Schwimmfähigkeiten und die Schließung kommunaler Bäder an Fahrt auf. "Bayern ist in diesem Jahr leider trauriger Vorreiter bei den Badetoten", sagte Landtagspräsidentin Ilse Aigner am Wochenende bei einem Besuch der Wasserwacht am Chiemsee. Aigner, die auch Schirmherrin der Kampagne "Bayern schwimmt" ist, zeigte sich besorgt über die Einsatzzahlen und die zahlreichen Badeunfälle, so viele wie in keinem anderen Bundesland. Laut Deutscher Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und Medienberichten ertranken in Bayern 2021 bereits mindestens 33 Menschen. Die DLRG verwies auf die wegen Corona lange geschlossenen Bäder: "Ein kompletter Schuljahrgang hat das sichere Schwimmen nicht lernen können." Ohnehin kommt von der DLRG regelmäßig - auch schon vor der Pandemie - die Warnung, dass es um die Schwimmfähigkeiten in der Bevölkerung, gerade bei Kindern, schlecht bestellt sei.

Mittlerweile ist ein Aufholprozess eingeleitet: Die Staatsregierung sponsert "Seepferdchen"-Gutscheine, private Schwimmschulen haben kaum freie Plätze, die Kampagne bietet auch Online-Videos und animiert zum Schwimmenlernen, bei den Brückenangeboten des Kultusministeriums in den Ferien soll das Thema eine Rolle spielen, Wasserwacht, Vereine und Ehrenamtliche sind aktiv. Kultusminister Michael Piazolo (FW) sieht eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe", man sollte "das nicht nur bei der Schule ansiedeln; das verkürzt es zu sehr. Klassischerweise ist es so, dass man in der Familie schwimmen lernt".

Doch über all dem schwebt die Frage, ob es überhaupt genug Hallen- und Freibäder zum Schwimmenlernen gibt, egal ob für Schulunterricht, Eltern, kommerzielle Anbieter oder die Kurse von Ehrenamtlichen. Dutzende Bäder in Bayern haben über die Jahre dichtgemacht - nicht selten wurden sie in den Siebzigerjahren errichtet und haben, wie es heißt, "ihren Lebenszyklus erreicht". Oder drastischer gesagt: Technik veraltet, Zustand marode, das große Bröckeln - bis irgendwann nichts mehr geht.

Zum Auftakt der Schwimmkampagne kürzlich in Freising riefen Wasserwacht und Bayerisches Rotes Kreuz (BRK) Städte und Gemeinden zum Erhalt ihrer Bäder auf. BRK-Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk sprach von einem "Bädersterben" und dem "schleichenden Wegfall der Schwimmmöglichkeiten". Stärk appellierte an Kommunen, marode Bäder nicht zu schließen, sondern zu renovieren oder sogar neue zu bauen. Das ist eine übliche Ansage auch aus der Landespolitik.

Beim Gemeindetag stoßen derlei Forderungen auf Kritik. Es sei ohnehin in Debatten "die neue Spielart, pauschal mit dem Finger auf die Kommunen zu zeigen", sagt der Präsident und Abensberger Bürgermeister Uwe Brandl (CSU). Natürlich sei jedes Bad wichtig, aber die Gemeinden müssten nun mal die gesamte Infrastruktur im Blick haben und finanzieren. Und Bäder seien teuer. Sie mit kostendeckenden Eintrittspreisen zu betreiben, sei den Bürgern nicht zumutbar. Ein Bad sei "ein Betrieb mit laufenden Defiziten", Hunderttausende Euro im Jahr könnten das rasch werden. Dazu komme eben der Renovierungsbedarf vielerorts, den sich Kommunen nicht mehr leisten könnten, sodass es zur Schließung komme. Bürgermeister hätten zu entscheiden, was im Portfolio Priorität habe. Das könne mitunter die Frage sein: Sanierung Kindergarten oder Hallenbad?

Im Jahr 2018 hat die Staatsregierung ein Sonderprogramm Schwimmbadförderung aufgelegt. Ein breites Angebot von Bädern in den Gemeinden sei auch eine Voraussetzung, dass Kinder gefahrlos Schwimmen lernen können, hieß es. Da eine erhebliche Anzahl aber sanierungsbedürftig sei und sich aus dem Betrieb Mittel dafür nicht erwirtschaften ließen, wolle man "beim Abbau des Sanierungsstaus" helfen. Für 2019 und 2020 wurden jeweils 20 Millionen Euro dafür im Haushalt verplant, sechs Jahre soll das Programm insgesamt laufen (weitere Förderung kann dezidiert für Schulsportbäder beantragt werden). "20 Millionen Euro, das ist nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist im Grunde nichts", sagt Uwe Brandl über das Programm.

Im Landtag rügte zuletzt auch die Opposition das schmale Budget. Die Fördersumme reiche ja nicht mal, um ein einziges Bad zu bauen, meinte Diana Stachowitz (SPD). "Die Kommunen brauchen Unterstützung, um überhaupt den Unterhalt sicherstellen zu können. Das ist doch alles viel zu kurz gedacht." Und Max Deisenhofer (Grüne) teilte jetzt mit Blick auf die Badetoten mit: "Es reicht nicht, einen Gutschein fürs Seepferdchen auszugeben, wenn es kein Schwimmbad vor Ort gibt, die Wartelisten überlaufen oder die Rettungsorganisationen und Schwimmvereine keine Wasserzeiten bekommen." Die Regierung dürfe "nicht alles auf die Kommunen abschieben, schon gar nicht, wenn es um Leben und Tod geht".

Aktuelle Daten zum Sanierungsstau liegen nicht vor. Mehrmals hatte Markus Rinderspacher (SPD) bei der Regierung schriftlich dazu angefragt, zuletzt 2018. Da zählte man 863 öffentliche Bäder, jedes zweite galt als sanierungsbedürftig, 55 als derart marode, dass die Schließung drohte. Kostenschätzung landesweit: bis zu einer Milliarde Euro. Einen neuen Stand gibt es nicht, auf Anfrage der Grünen verwies die Regierung jüngst auf die Daten von 2018. Eine weitere Abfrage sei "unverhältnismäßig".

Daten fehlen übrigens auch beim Schulunterricht. Eine Aussage zu tatsächlich abgehaltenen Schwimmstunden ist laut Kultusministerium nicht möglich. Der Lehrerverband BLLV beklagt, dass vielerorts Hallenbäder fehlten oder sie recht weit entfernt von Schulen lägen - alles zulasten des Schwimmunterrichts.

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