Dass sie einiges anders machen will für Bayerns Schulen, hatte Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) schon zum Amtsantritt im Herbst 2023 erklärt. Und das kommende Schuljahr wird für 1,72 Millionen Kinder und Jugendliche in Bayern mehr Neues bringen als die vergangenen Jahre. Am Dienstag geht der Schulbetrieb im Freistaat wieder los und auf Schüler wie Lehrkräfte kommen grundlegende Veränderungen zu.
Zwar hatte Stolz bei ihrer ersten Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn am Freitag in München keine Überraschungen parat, die großen Neuerungen wie die Grundschulreform für mehr Deutsch und Mathematik, die Verfassungsviertelstunde, die Sprachtests für alle Kinder vor der Einschulung und die flächendeckende Ausstattung der Schüler mit digitalen Endgeräten waren schon bekannt. Grundlegend anders war bereits die Wahl des Ortes: Statt wie üblich ins oder in die Nähe des Kultusministeriums zu laden, fand die Pressekonferenz in einer Münchner Schule statt. Die Symbolik war klar. Die Schulen stehen im Mittelpunkt.
Dort habe sie sich im Rahmen ihrer „Zukunftswerkstätten“, also den Schulbesuchen im ganzen Land gleich nach Amtsantritt, 5000 Anregungen abgeholt, sagte Stolz. „Diese Begegnungen werden meinen Kurs maßgeblich bestimmen.“ Wo das hinführt und ob sie ihre Ziele erreicht, bleibt abzuwarten.
Klagen über zu hohen Druck seien ihr bei den Schulbesuchen häufig begegnet, sagte Stolz. Den möchte sie nun herausnehmen, Lehrkräfte durch multiprofessionelle Teams entlasten oder Bürokratie abbauen. Aber Kinder wie Lehrpersonal sollen auch lernen, mit Stress umzugehen. „Oberstes Ziel ist es, die Kinder starkzumachen für die Lebens- und Arbeitswelt von morgen“ und sie auf diese Leistungsgesellschaft vorzubereiten. Stolz’ favorisiertes Mittel und eines ihrer Lieblingsthemen: mehr Sport und Bewegung an Schulen.
Trotzdem will die Ministerin „Freiräume schaffen“ und das sogar in den Lehrplänen. In diesem Schuljahr soll eine erste Überarbeitung erfolgen, die Ministerin will die Pläne „entschlacken“, flexibler machen und zeitgemäßer. Dabei ist der aktuelle Lehrplan Plus noch gar nicht in der 13. Klasse des Gymnasiums angekommen. Und jede Überarbeitung wird von den Fachschaften kritisch begleitet, eifersüchtig werden die eigenen Inhalte verteidigt. Groß war etwa die Aufregung darüber, dass Goethes Faust I keine Pflichtlektüre mehr im neunjährigen Gymnasium ist. Verglichen mit einer Entschlackung aller Lehrpläne ist das nur eine winzige Änderung. Diese Diskussionen scheint Stolz nicht zu scheuen. Übersichtlicher sollen die Lehrpläne werden, nutzerfreundlicher. „Lehrkräfte sollen die Pläne als Hilfestellung empfinden und nicht als Korsett.“
Ergebnisse versprach sie auch bei einem anderen Thema, das seit Jahren besprochen wird: Zahl und Art der Prüfungen. Dass sich durch die Digitalisierung die Prüfungskultur ändern muss, ist klar – und seit Chat-GPT überfällig. Entsprechende Schulversuche laufen längst. Stolz will nun „tragfähige Antworten auf die Frage, was wir prüfen, wie und wie viel“.
Den Vorgängern war das Wort „Lehrermangel“ früher kaum zu entlocken
Anders reagierte die Ministerin sogar bei der Frage jedes Schuljahresbeginns: Gibt es genügend Lehrerinnen und Lehrer an den 6000 Schulen? Stolz sprach Klartext. War das Wort „Lehrermangel“ den Ministern früher kaum zu entlocken, sagte sie: „Wir haben zu wenig Personal, wir haben Lehrermangel.“ Qualifiziertes Personal für die Schulen zu finden, sei die größte Herausforderung. Denn die Zahl der Schülerinnen und Schüler ist um 31 200 gestiegen. Insgesamt besuchen nun 1,72 Millionen die bayerischen Schulen, davon 134 000 Erstklässler.
Mehr Schüler und Schülerinnen brauchen mehr Lehrkräfte, an den Universitäten aber schreiben sich immer weniger fürs Lehramt ein. Die detaillierten Zahlen wurden schon vor den Ferien bekannt: Es schaut an fast allen Schularten düster aus. 5000 Vollzeitstellen könnten bis 2034 unbesetzt bleiben, wenn sich keine Lösung findet. Die Situation fürs neue Schuljahr beschreibt Stolz als „herausfordernd, angespannt, aber beherrschbar“.
Lösungen will die Ministerin mit Vertretern der Schulfamilie besprechen und im Frühjahr bekannt geben. Wenn alle einbezogen sind, kann hinterher kaum gemotzt werden. Und dass zügig eine Idee hermuss, ist klar. Schon im vergangenen Januar hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in einem Interview angedacht, die Teilzeitmöglichkeiten der Lehrer grundsätzlich einzuschränken. Die Kultusministerin ging damals dazwischen. Sie setzt auf Freiwilligkeit und Appelle. Ob das reicht, um dem Lehrermangel beizukommen, muss sich zeigen. Denn im Hintergrund liefen längst sehr konkrete Gespräche dazu, wie das Problem strukturell zu lösen wäre. Etwa über eine Einschränkung der großzügigen Teilzeitmöglichkeiten im bayerischen Beamtengesetz. Dann wären alle im Staatsdienst betroffen und der Unmut enorm.
Stolz anderer Stil scheint jedenfalls anzukommen: Derzeit begegnen ihr selbst die kritischsten Vertreter der Lehrer, Schüler und Eltern mit Wohlwollen und Respekt. Aber bei allen Kurswechseln und neuen Ideen muss die Kultusministerin sich an ihren Erfolgen messen lassen.
Und Wohlwollen schützt vor Wünschen nicht: Während die Lehrerverbände das Einlösen der Versprechen bei Bürokratieabbau oder Entlastungen forderten, und die Gymnasiallehrer angesichts der Lehrplanreform vor „Leistungsverfall“ warnten, schlug die Landtagsopposition schärfere Töne an. Eine „Druckbetankung“ durch die Verfassungsviertelstunde statt gelebter Demokratie, kritisierte Gabriele Triebel (Grüne) und plädierte für mehr Mitbestimmungs- und Gestaltungsrechte. Und die SPD im Landtag forderte 250 Euro Schulstart-Budget für Familien, die sich die Erstausstattung nicht leisten können. „Wir wollen echte Lernmittelfreiheit für gleiche Startchancen für alle Kinder in Bayern“, sagte Fraktionschef Holger Grießhammer. Stolz winkte ab, die Staatsregierung tue sehr viel für Familien.