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Schule:Warum die Digitalisierung in Bayern Probleme bereitet

Der reiche Freistaat steht zwar besser da als andere Bundesländer. Trotzdem würde der Distanzunterricht wohl auch nach den Sommerferien nicht an allen bayerischen Schulen rund laufen.

Von Anna Günther

Eine Woche, bevor in Bayern die Schule beginnt, versuchte Ministerpräsident Markus Söder, dräuendem Unmut bei Eltern, Lehrern und Schülern vorzubauen: "Ich glaube nicht, dass es perfekt laufen wird." Noch bei keinem Schulstart habe alles funktioniert wie geplant, und diesmal handle es sich um ein Schuljahr unter Corona-Bedingungen.

"Man wird nie ausschließen können, dass es ein lokales Infektionsgeschehen gibt. Das ist leider ein Stück Normalität in Pandemie-Zeiten", sagte auch Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) am Dienstag nach der Sitzung des bayerischen Kabinetts, in der die Regeln für das neue Schuljahr beschlossen wurden. Sie sollen neue Schulschließungen verhindern - und damit reinen Digitalunterricht.

Zu dem würde es nur kommen, wenn in der jeweiligen Stadt oder im Landkreis sieben Tage lang mehr als 50 Infizierte pro 100 000 Einwohner gemeldet sind, genauer gesagt zunächst zu einem Wechsel aus Digitalunterricht daheim und kleinen Gruppen in der Schule. Flächendeckende Schulschließungen mit reinem Digitalunterricht sind Ultima Ratio. Offenbar würde dieser sogenannte Distanzunterricht an den bayerischen Schulen auch nach den Sommerferien nicht überall rund laufen.

Dabei haben sich laut Piazolo mittlerweile drei Viertel der 120 000 bayerischen Lehrer für digitalen Unterricht fortbilden lassen. Neue Regeln für den Distanzunterricht sollen den Lehrern erklären, was von ihnen erwartet wird. Eltern wiederum sollen darin nachlesen können, was sie erwarten dürfen. Noch liegen die Regeln allerdings nicht vor. Die immensen Unterschiede zwischen den Schulen in der digitalen Ausstattung, in Methodik und Motivation der Lehrer hatten viele Eltern im Frühjahr an den Rand der Verzweiflung getrieben.

Immer wieder hatten sie einheitliche, verbindliche Regeln für den Digitalunterricht und Leihgeräte für bedürftige Kinder gefordert. Auch die Schülersprecher beklagten große Unterschiede und fehleranfällige Technik. Die Corona-Krise zeigt, dass selbst im reichen Bayern, wo gleichwertige Lebensverhältnisse Verfassungsrang haben, nur der Lehrplan annähernd Gleichheit bringt, alles andere ist von Lehrern und Budget der Kommunen abhängig.

Im Juli riefen Söder und Piazolo einen zusätzlichen "Turbo" aus

Bayern steht bei der Digitalisierung besser da als die meisten anderen Bundesländer. Seit zwei Jahren gibt es ein Digitalisierungsprogramm für die Schulen, insgesamt zwei Milliarden Euro investiert die Staatsregierung, 900 Millionen Euro davon stammen vom Bund. Ende Juli hatten Söder und Piazolo einen zusätzlichen "Turbo" ausgerufen. Die Digitalisierung fasziniert beide, das Geld sitzt also locker. Bis 2024 sollen unter anderem 250 000 Leihgeräte für bedürftige Schüler, eine Schul-Cloud, ein Youtube-Äquivalent mit Lernvideos und Podcasts sowie 600 Stellen für Systemadministratoren folgen.

Bayern hatte schon vor Beginn der Pandemie als einziges Bundesland ein Schulnetzwerk mit Tausenden Unterrichtsmaterialien. Aber schnell stellte sich raus, dass "Mebis" auf den massenhaften Zugriff nicht ausgelegt und diesem auch nicht gewachsen war. Die Entwickler des Ministeriums besserten zwar nach, aber Bayerns 6200 Schulen dürfen nun auch offiziell MS Teams nutzen. Findige Schulleiter hatten schon vor Ostern darauf gesetzt, private Schulträger wie das Bistum Augsburg gleich alle Schulen damit ausgestattet. Dort lief der Digitalunterricht dann oft besser als anderswo.

Eine landesweite Lernplattform gibt es mittlerweile auch in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Für Heinz-Peter Meidinger sind diese Plattformen ein Schlüssel für erfolgreichen Digitalunterricht. "Die Ausgangsbasis mit Mebis war in Bayern deutlich besser als in anderen Ländern", sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Aber dass jedes Land an seiner Plattform bastle, statt Geld und Wissen zu bündeln, nennt er "einen Witz".

Bis Ende Juli war Meidinger Chef eines modernen Gymnasiums in Niederbayern, auch er setzte auf MS Teams. Bayern dürfe sich nicht auf dem Vorsprung ausruhen, sagt Meidinger. Die anderen Bundesländer holten auf, und Vorbild sollten ohnehin Estland oder Finnland sein. Sie seien Deutschland digital weit voraus.

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SZ vom 02.09.2020/amm
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