Studie zur Ganztagsbetreuung:Mehr als hunderttausend zusätzliche Plätze bis 2030 - aber wie?

Ganztagsausbau in Bayern: Die Systemfrage

In vier Jahren hat jedes Schulkind in Bayern einen Anspruch darauf, den ganzen Tag über betreut zu werden. Die Voraussetzungen dafür sind noch nicht erfüllt.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

In wenigen Jahren bekommen Grundschulkinder einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Doch Bayern hinkt massiv hinterher, das Land muss neue Plätze und Vollzeitstellen schaffen. Ein Kraftakt.

Von Viktoria Spinrad

1690 Tage sind es noch, bis der Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder in Kraft tritt. Bis dahin haben Politik, Kommunen, Schulen und Träger in Bayern noch eine Menge zu tun. Denn genau wie Nordrhein-Westfalen hängt der Freistaat beim Ausbau hinterher - im bundesweiten Vergleich liegt Bayern beim Ausbau auf dem letzten Platz. Bisher hat knapp jedes fünfte Grundschulkind einen Platz ergattert - in Thüringen hingegen ist die Versorgung mit 89 Prozent fast flächendeckend. Einer Studie zufolge müssen bis 2030 in Bayern 108 000 bis 136 000 zusätzliche Plätze geschaffen werden. Dafür sind dann 4100 bis 7800 Vollzeitstellen zusätzlich nötig. Kann der politische Kraftakt überhaupt klappen?

Wie auch im Schul- und Kita-Bereich herrscht auch im Ganztag bereits jetzt Personalmangel. Teils werden aus der Not Sozialpädagogen eingesetzt, die eigentlich die Familien unterstützen sollten. Viele monieren, dass die Betreuung nach (offener Ganztag) oder zwischen den Schulstunden (gebundener Ganztag) eher einer Aufbewahrungsstelle als einer Bildungsstätte gleicht.

Zudem gleicht die geografischen Verteilung einem Flickenteppich, wie eine Anfrage der SPD-Fraktion im Landtag zeigt. In den Landkreisen Rhön-Grabfeld, Ostallgäu oder Mühldorf am Inn etwa gibt es nur für einen Bruchteil der Grundschüler Angebote - höchstens sechs Prozent haben dort im Jahr 2020 einen Ganztagsplatz bekommen. Wobei es freilich Gegenden gibt, besonders ländlich geprägte etwa, in denen die Nachfrage etwas geringer sein dürfte. Aktuell gibt es bayernweit 6550 Gruppen im offenen Ganztag, 5865 Gruppen in der Mittagsbetreuung und 4660 Klassen im gebundenen Ganztag. Gerade bei letzteren beiden stagniert der Ausbau seit Jahren.

In den Städten ist der Ganztag sehr gefragt

Anders sieht es in den Städten aus, in denen Eltern oft beide arbeiten und möglicherweise weniger Unterstützung von Großeltern haben, die vielleicht weiter weg wohnen. So fallen die Zahlen etwa in Hof, Würzburg und Aschaffenburg anders aus - dort liegen die Quoten bei mehr als 50 Prozent. Was tendenziell aber immer noch unter der Nachfrage liegt. Laut einer Umfrage befürworten 60 Prozent den Ausbau des Ganztags, 20 Prozent sind neutral, weitere 20 Prozent sind dagegen. Wie sehr es beim Ganztag drunter und drüber geht, zeigt ein Bericht des Obersten Rechnungshofs aus dem Jahr 2016. Chaotische Finanzierung, nicht erfüllte Voraussetzungen - "die vorgegebenen Schablonen passen schlichtweg nicht zur Realität", sagt Matthias Fischbach, parlamentarischer Geschäftsführer und bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag.

Um den Ausbau voranzutreiben, hat sich die neue Ampel-Koalition in Berlin mit Fischbachs Parteikollegin, der neuen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, einiges vorgenommen. "Wir werden den Ausbau der Ganztagsangebote mit einem besonderen Augenmerk auf die Qualität weiter unterstützen", heißt es dort. Man wolle einen "gemeinsamen Qualitätsrahmen" entwickeln. Sprich: Die neuen Koalitionäre wollen nicht nur irgendwelches Personal auftreiben - es soll auch fachlich geschult sein. Doch wo soll es herkommen?

Die Landtags-FDP fordert hierbei eine Liberalisierung. Durch Leistungsanreize, gut ausgestattete Arbeitsplätze, Quereinsteigerprogramme aus dem Lehramt und eine bessere Anerkennung ausländischer Abschlüsse soll das Personal gewonnen werden, wie in einem Positionspapier nachzulesen ist. Zudem sollen die Personalkosten zu 100 Prozent vom Freistaat getragen werden. "Wir müssen Kinder fördern, nicht Gruppen", betont Fischbach.

Die Staatsregierung sieht kein Defizit

Doris Rauscher, SPD-Vorsitzende des Sozialausschusses im Landtag, warnt vor zu vielen Kompromissen bei der Qualität. Aber auch sie mahnt mehr Tempo an: Gerade an den Fachakademien müsse man zügiger vorankommen. Auf ihren Vorschlag hin wurde in Bayern eine verkürzte und vergütete Form der Erzieherausbildung eingeführt. Bisher nimmt jeder fünfte Azubi am "Optiprax"-Programm teil. Rauscher moniert, dass viele Betreuer aufgehört hätten. Bessere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen - "so bekommen wir die Leute zurück", sagt sie.

Die Staatsregierung beurteilt das Defizit derweil als nicht gar so gravierend wie die Opposition. Familienministerin Carolina Trautner rechnete kürzlich die Mittagsbetreuung schlicht zum Ganztag hinzu und kommt so auf eine Versorgungsquote von 57 statt 38 Prozent. Für die Opposition sind das Rechenspiele, die das Bild verzerren. "Das ist schlichtweg nicht das Gleiche", sagt Rauscher. Der Staatsregierung kommt entgegen, dass der gesetzliche Anspruch zunächst für Grundschulkinder der ersten Klassenstufe gilt und in den Folgejahren je um eine Klassenstufe ausgeweitet werden soll. Von August 2029 an soll dann jedes Grundschulkind der Klassenstufen eins bis vier einen Anspruch auf ganztägige Betreuung haben. Wie Bayern dahinkommen kann, wird im neuen Jahr wieder Thema im Landtag sein: Die SPD-Fraktion hat einen entsprechenden Berichtsantrag zum Thema gestellt.

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