Süddeutsche Zeitung

Wrestling in Bayern:Bitte nicht zu Hause nachmachen

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Der schreckliche Yuri heißt eigentlich Christian Adamczyk und ist ein umgänglicher Typ. Seine Leidenschaft gilt einer Sportart, die man entweder hasst oder liebt: eine Nahkampfaufnahme der bayerischen Wrestling-Szene.

Von Johann Osel

Es läuft nicht alles glatt für Yuri Gromow. Er hat seinem Gegner Hans von Krupp zwar schon einige saftige Schläge und Tritte versetzt, ihn wild durch den Ring herumgeschleudert und auf den Boden geknallt, obwohl der Kontrahent mit 130 Kilogramm deutlich schwerer ist als er. Aber man merkt dem Wrestler die Anstrengung an, und da ist nichts gespielt: Ein Schweißfilm rinnt an Gromows Schläfen, er muss mitunter die Augen zukneifen, die Haare sind zerzaust, der Kampf geht an die Substanz.

Und dann wendet sich das Blatt, ungünstig für ihn: Als Gromow eine Flugeinlage startet, fängt der Gegner ihn in der Luft auf und wirft ihn aus dem Ring, vor die Füße der Zuschauer. Kurz darauf landet er mit dem Kopf auf dem Eckpfosten und wird angezählt. Ein Sieg für Gromow ist nun kaum zu erwarten - doch dann benutzt er zuerst den Ringrichter als "Waffe", schubst den Mann auf den Gegner; und am Ende, nach gut 20 Minuten, zieht er Krupp einen Klappstuhl über den Schädel. Eins, zwei, drei - Sieger Gromow.

Wrestling-Shows, ob in den Vereinigten Staaten oder in Bayern wie unlängst bei einem Gastspiel in Amberg, leben vom Schema Gut gegen Böse, in der Fachsprache "Faces" gegen "Heels". Hier tugendhafte Publikumslieblinge, da brutale Halunken und Provokateure. Gromow ist Heel, und was für einer. Er entstammt, so erzählt der Veranstalter New European Championship Wrestling (NEW) seine Biografie, einer "illustren, russischen Ahnenriege", bis an den Zarenhof reichend.

Er sei rücksichtslos, listig und gibt "sein Bestes, den Kalten Krieg im Kleinen heraufzubeschwören". Am Stammsitz der NEW-Liga in Heßdorf bei Erlangen, wo normalerweise die Shows stattfinden, beschimpft Gromow gerne das Publikum "aus den fränkischen Inzestdörfern", zetert über die "westliche Dekadenz" - und ergötzt sich an den Buhrufen. Einmal hat er das Ringgirl entführt, gefesselt und geknebelt.

Der schreckliche Juri ist im echten Leben ein sympathischer, überlegt sprechender Typ. Wobei Christian Adamczyk, wenn man ihn einige Stunden vor der Show interviewt und durch die Vorbereitungen begleitet, schon sagt: "Man kann nur darstellen, was zumindest ein bisschen in einem drinsteckt." Am Kampftag schlüpfe er peu à peu in die Rolle der fiesen Rampensau. Die habe er sich gezielt ausgesucht - wie den Job. "Es gibt Kindheitsträume, der eine will Feuerwehrmann werden, der andere Astronaut", sagt der 32-Jährige. "Ich wollte Wrestler werden." Das war damals die goldene Wrestling-Ära in den Neunzigerjahren, als auch in Deutschland Buben auf dem Schulhof Sammelkarten tauschten, von Größen wie Hulk Hogan. "Inzwischen habe ich das Privileg, den Traum zu leben", sagt Adamczyk.

Freilich als Spätzünder: Nach seinem Studium hat er in der Medienbranche gearbeitet, etwa als Reporter bei einem Münchner TV-Sender. Mit 27 kam der Schwenk: Er besucht die Wrestlingschule des Ex-Profis Alex Wright in Nürnberg, mit dem Ziel, vor dem 30. Geburtstag den ersten Kampf zu haben. Der kam 2017, seitdem kämpft er bei NEW. Adamczyk wohnt in Amberg. Das führt dazu, dass der Bösewicht ausnahmsweise bejubelt wird. Die nötige Publikumsbeschimpfung übernimmt dafür Gegner Hans von Krupp, ein brachialer Kerl in Flecktarn.

Wrestling liebt oder verachtet man, ein Dazwischen gibt es selten. Die Schaukämpfe sind ein Mix aus Hochleistungssport, Akrobatik und Schauspiel. Eine Art Live-Actionfilm. So gewalttätig alles aussieht: Ziel ist es - neben der Unterhaltung natürlich -, den Gegner gerade nicht zu verletzen. Für ihre Rollen und die oft kuriose Handlung drumherum schreibt ein Kreativteam "Storylines". Die Kämpfe selbst folgen in gewissen Abläufen einer Choreografie, bei NEW jedoch nicht im Detail, wie Adamczyk verrät. Man weiß, was der andere kann, und wie man das abzufedern hat. Mehr als ein Dutzend regionale Wrestling-Veranstalter gibt es deutschlandweit.

Gegründet hat die NEW Alex Wright, in Nürnberg geboren, der Ursprung des Unternehmens war 2007 zunächst eben seine Schule. Der Name Wright hat in der Szene einen famosen Ruf: Er kommt aus einer Wrestlerfamilie, wechselte quasi vom Kinderwagen in den Ring und schaffte in den Neunzigern den Sprung in die Spitzenriege in den USA - anfangs als das tollkühne "Wunderkind", zeitweise als Heel, als dünkelhafter Deutscher namens "Berlyn". Die Schule liefert der Liga Nachwuchs. "Kraft und Ausdauer ist der erste Baustein", erzählt Wright, dann vermittle er "das Handwerk". Wie bei Adamczyk alias Gromow.

Der trainiert jeden Tag, hat Lebenswandel und Ernährung umgestellt. Heute hat er nur Huhn mit Reis gegessen. Um agil zu sein, um nicht in den Ring zu kotzen, wenn er geworfen wird. "Fünf Minuten im Ring sind wie zehn Kilometer laufen." Gefordert sei ein Wechsel aus Springen, Fallen, Aufstehen, Treten. Und "Einstecken", zum Beispiel über Atemtechnik. Es gebe gute Gründe, dass im US-Fernsehen der Slogan laufe: "Dont't try this at home!" Nicht daheim nachmachen! Man müsse genau wissen, wie man Attacken nimmt, zumal bei einem 200-Kilo-Mann. Ein solcher, breit wie ein Goggomobil, sitzt tagsüber in der Amberger Halle und beobachtet die Aufbauten. Crater, "The Monster", Profi aus England, ist für den Hauptkampf eingeflogen. So weit ist Adamczyk noch nicht. Den Lebensunterhalt durch Wrestling kann er auch nicht bestreiten. Im Hauptberuf ist er heute Fitnesstrainer. In der Liga hat er sich aber binnen zwei Jahren etabliert.

"Wir geben Vollgas", verspricht der Amberger. Am Abend wird das eingelöst. Zu sehen sind nicht nur Prügel, sondern gewagte Sprünge und spektakuläre Würfe. Die Seile wackeln, am Ringboden klatscht es wie Kanonenschläge, wenn die Zentner aufprallen. Einer stemmt seinen Gegner hoch und lässt ihn kreisen. Offenbar sind treue Fans da, sie rufen: "Hub-Hub-Hubschraubereinsatz". Man erkennt die Vielfalt der Rollen, im Jargon "Gimmicks". Aparte Athleten, schaurige Schurken, ein Lederhosenzausel mit Bierkrug ("Schorschi"). Tagsüber kann man letzte Beratungen mit dem Kreativteam belauschen. Da stehen sie ohne Kostüm beisammen, dicke Muskeln unter Shirts, und tüfteln am Auftritt. "Zack, zack, zack", hört man, oder: "Die Idee find' ich geil, aber ob's die Leute checken?" Man hört bairsche, fränkische, ostdeutsche und österreichische Töne.

"Die Zeit ist reif für Wrestling in Amberg", sagt Adamczyk. Der Plan geht auf, die Show ist ausverkauft, Gäste werden weggeschickt. Es sind nicht nur junge Männer hier, auch Ältere (einer von der Gattin abgeliefert und mit Bussi verabschiedet); dazu Frauen, Mütter von Wrestlingschülern halten Fachdiskurse. Für Wright hat der Termin große Relevanz. Das Interesse am Sport laufe in Wellen, die besten Zeiten gingen bis etwa zur Jahrtausendwende, danach war in Deutschland Flaute.

Inzwischen steige die Nachfrage, auch durch digitale Vermarktung. Amberg ist der Startschuss, um die Shows in die Fläche zu bringen, bald geht es nach Eichstätt, Straubing und Hof. Bemerkt hat man auch das Gastspiel der Stars der US-Top-Liga im November in Regensburg. Tausende Fans kamen, ließen sich die Karten teils mehr als 100 Euro kosten. Wer dabei war, kann sagen: Die Show war sicher besser als die in Amberg, aber keineswegs um Lichtjahre.

Eine Karriere in den USA, wäre das etwas für Juri? Zuletzt hat Wright schließlich ein Talent der Schule in den amerikanischen Großzirkus gebracht. "Da hätte ich früher anfangen müssen", sagt Adamczyk. Er fühle sich am richtigen Platz, im Kindheitstraum - "und den will ich ausleben, solange mein Körper das mitmacht".

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Quelle:
SZ vom 15.02.2020
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