Süddeutsche Zeitung

Artenschutz:Das große Schmetterlings-Sterben

  • Daten aus 12 bayerischen Landkreisen zeigen das Schmetterlingssterben im Freistaat auf. Die Studie von drei Biologen wird als wissenschaftliche Begründung für den neuen Biotop-Verbund gesehen.
  • Den Verbund will der Freistaat als Folge des "Volksbegehrens Artenvielfalt - Rettet die Bienen" einrichten.
  • Die Studie verweist auf die Wichtigkeit von Naturschutzgebieten und Biotopen als Schutzräume für Schmetterlinge

Von Christian Sebald

Der Mädesüß-Perlmuttfalter oder Brenthis ino hat gelborange und schwarz gemusterte Flügeloberseiten. Der Außenrand seiner Flügelpaare ist schwarz mit einem fein gestrichelten weißen Rand an den Kanten. Nach innen trägt er parallel zum Außenrand zwei schwarze Punktreihen. Die Flügelunterseiten des Schmetterlings sind hellgelb und bräunlich gefärbt. Und auf den Hinterflügeln weist er eine Querbinde mit einem verlaufenen violett-weißen Streifen auf. Deshalb wird Brenthis ino, der zu den Edelfaltern zählt und bis zu vier Zentimeter Flügelspannweite hat, auch Violetter Silberfalter genannt. Einst war er sehr häufig in Bayern. Inzwischen sind die Bestände so dramatisch gesunken, dass er auf der Vorwarnliste der Roten Liste rangiert.

Der Mädesüß-Perlmuttfalter ist ein Beispiel für das Verschwinden der Schmetterlinge. Wie dramatisch der Schwund insgesamt ist, zeigt einmal mehr die neue Studie "Langfristige Bestandsentwicklung von Schmetterlingen in Bayern", die in der aktuellen Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Anliegen Natur erschienen ist. Die Biologen Matthias Dolek, Carmen Liegl, die am Landesamt für Umwelt arbeitet, und Anja Freese-Hager haben dafür Daten zu 90 bayerischen Schmetterlingsarten aus den vergangenen 30 Jahren ausgewertet. Für ihre Studie verglichen sie 2160 sogenannte Altnachweise der 90 Arten zwischen 1980 und 2008 mit den Ergebnissen erneuter Kontrollen der Fundstellen in den Jahren 2010 bis 2017. Das Ergebnis: "65 Prozent der Altnachweise konnten nicht mehr bestätigt werden", sagt Dolek. "Wenn der Altnachweis länger als 25 Jahre zurücklag, waren es sogar etwa 80 Prozent."

Natürlich stehen Arten, die vom Aussterben bedroht sind, im Zentrum des Schwunds. Für den Streifen-Bläuling (Polyommatus damon), die Rostbinde (Hipparchia semele) oder den Mattscheckigen Braun-Dickkopffalter (Thymelicus acteon), die alle drei in der allerhöchsten Gefährdungsstufe der Roten Liste geführt werden, konnten 80 Prozent der Altnachweise nicht mehr bestätigt werden. Aber selbst bei ungefährdeten Arten wie dem Weißbindigen Wiesenvögelchen (Coenonympha arcania) oder dem Ulmen-Zipfelfalter (Satyrium w-album) betrug die Wiederfundrate weniger als 50 Prozent.

Die Daten selbst stammen aus zwölf Landkreisen - von Memmingen im Südwesten über Deggendorf im Osten bis hin zu Kitzingen und Kulmbach in Franken. Oberbayern ist mit den beiden Landkreisen Neuburg an der Donau und Pfaffenhofen vertreten. Damit umfasst die Studie mit Ausnahme der Alpenregion alle Landschaftstypen des Freistaats. Dolek und seine Kolleginnen beanspruchen deshalb, dass ihre Ergebnisse repräsentativ für den Freistaat insgesamt sind.

Die Resonanz der Fachwelt ist zustimmend: Der Mikrobiologe und Schmetterlingskundler an der Zoologischen Staatssammlung in München, Andreas Segerer, nennt die Studie ebenfalls in Anliegen Natur einen "wichtigen Baustein für die Dokumentation des Insektensterbens in Bayern". Segerer ist der Forscher, der herausgefunden hat, dass von den insgesamt 3297 heimischen Schmetterlingsarten im Freistaat bereits 364 oder elf Prozent ausgestorben oder verschollen sind. Thomas Schmitt vom renommierten Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut spricht von "ernüchternden Ergebnissen", die "leider voll in den Trend des Insektensterbens passen". Und aus Sicht von Professor Jan Christian Habel, der an der Uni Salzburg über Insekten forscht, belegt die neue Studie, dass "der Rückgang besonders stark auf Flächen ist, die von intensiv genutzter Landschaft umgeben sind".

Denn das ist ein weiteres wichtiges Ergebnis von Dolek und seinen Kolleginnen. Nach ihrer Studie können Naturschutzgebiete den Schwund zwar nicht aufhalten. Aber sie verlangsamen ihn zumindest. "In Naturschutzgebieten sind etwa 60 Prozent der Altnachweise bestätigt worden", sagt Dolek, "außerhalb waren es nur gut 30 Prozent." Auch die sogenannten FFH-Gebiete, die aufgrund der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU ausgewiesen worden sind, haben offenkundig einen positiven Effekt. "In den FFH-Gebieten betrug die Wiederfundrate immerhin 42 Prozent", sagt Dolek, "außerhalb waren es wieder nur 30 Prozent." Als einen Grund für die Diskrepanzen nennt Dolek, dass "Naturschutzgebiete und FFH-Gebiete ja nur auf Flächen eingerichtet worden sind, die von Haus aus eine höhere Lebensraum- und Artenvielfalt haben." Außerdem seien die Bemühungen um Flora und Fauna in Naturschutz- und FFH-Gebieten per se größer als außerhalb von ihnen. "Dadurch sind sie natürlich resilienter gegenüber Verschlechterungen."

Aber auch jenseits von eigens ausgewiesenen Naturschutz- und FFH-Gebieten kann man den Schwund bremsen - mit Hilfe ausreichend vieler Biotope, also kleinen und größeren Lebensräumen, in denen die Natur möglichst intakt ist. "In Gebieten mit einem Biotopanteil von mindestens zehn Prozent liegt die Quote der bestätigten Altnachweise ebenfalls bei etwa 60 Prozent", sagt Dolek. "In Regionen mit weniger als zehn Prozent Biotop-Anteil halbiert er sich auf etwa 30 Prozent." Gebiete mit mindestens zehn Prozent Biotop-Anteil sind freilich selten in Bayern.

Mit diesem Ergebnis liefern Dolek und seine Kolleginnen aber gleichsam nebenbei die wissenschaftliche Begründung für den neuen Biotop-Verbund, den der Freistaat in Folge des "Volksbegehrens Artenvielfalt - Rettet die Bienen" einrichten will. Eine Kernforderung der Initiative, für die sich vor einem Jahr 18,3 Prozent der Stimmberechtigten ausgesprochen haben, war ein Biotop-Verbund von 13 Prozent der freien Landschaft in Bayern. "Nur so lassen sich die immensen Verluste an Bienen und anderen Insekten stoppen", sagte die Sprecherin des Volksbegehrens, die ÖDP-Politikerin Agnes Becker, zur Begründung. Nach dem überaus großen Erfolg des Volksbegehrens erhöhte die Staatsregierung die angestrebte Quote sogar. Bis 2030 soll der Biotop-Verbund demnach 15 Prozent der freien Landschaft betragen.

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SZ vom 27.01.2020/wean
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