Bayern 2022:Katastrophensommer auf Bayerns Schienen

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Anfang Juni kam es bei Garmisch-Partenkirchen zu einem schweren Zugunglück. Zwei auseinandergeschnittene Waggonteile warten auf den Weitertransport. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Beim Zugunglück von Burgrain starben fünf Menschen, Dutzende wurden verletzt. Das Unglück steht beispielhaft für all die Probleme im Bahnverkehr. Eine Bestandsaufnahme.

Von Maximilian Gerl und Matthias Köpf, Garmisch-Partenkirchen

Das Unglück, das den Bahnverkehr in Bayern und ganz Deutschland vollkommen durcheinanderbringen sollte, geschieht unmittelbar zu Beginn der Pfingstferien. Am 3. Juni kurz nach Mittag springen auf Höhe des Garmisch-Partenkirchner Ortsteils Burgrain alle fünf Waggons und die Lok des Regionalzugs Richtung München aus den Schienen, zwei Wagen kippen komplett um und rutschen vom Bahndamm ab, das Ende eines weiteren Doppelstockwagens bohrt sich am Ende mehrere Meter weiter unten am Fuß der Böschung ins Bett des Katzenbachs, eines schmalen Grabens zwischen der eingleisigen Bahnstrecke und der Bundesstraße 2. Wie viele Menschen unter den Waggons begraben liegen, ist in den ersten Stunden unklar. Am Ende zählen die Behörden fünf Tote und 68 Verletzte.

Das Zugunglück von Burgrain war der Auftakt zu einem Schienen-Sommer, wie ihn der Freistaat selten erlebt hat: mit mehr Streckensperrungen und Baustellen als üblich, mit zahllosen Verspätungen und Zugausfällen, mit Sondertickets und mit Eisenbahnunternehmen, die an den Grenzen der Belastbarkeit operieren. Selten waren die Probleme, die Bayerns Gleise schon seit Jahren begleiten, so sichtbar wie 2022. Und selten gab es so viele Versprechen, dass künftig alles besser werden soll.

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Besonders groß fielen die Probleme im Werdenfelser Netz aus, auch abseits der eigentlichen Unfallstelle. Als unmittelbare Folge des Zugunglücks kündigte die für Infrastrukturmaßnahmen zuständige DB Netz eine "Generalsanierung" der Gleisanlagen an. Doch als Erstes richtete sie rund um Murnau und Garmisch-Partenkirchen aus Sicherheitsgründen zahlreiche Langsamfahrstellen ein, die Züge nur mit gedrosselter Geschwindigkeit passieren durften. Manche Streckenabschnitte wurden auch gleich ganz gesperrt. So etwas schürt schon in normaleren Zeiten den Frust bei Pendlern. Diesmal aber kam noch schlechte Kommunikation dazu. In den betroffenen Orten klagten Bürgermeister, nur sporadisch über Sperrungen und die Baustellenpläne informiert zu werden, wenn überhaupt.

Auch auf anderen Strecken kämpften Eisenbahnunternehmen zeitweise darum, überhaupt von Bahnhof zu Bahnhof fahren zu können. Immer wieder brachten kurzfristig angesetzte Langsamfahrstellen und Bauarbeiten alles durcheinander. Und wenn die Züge halbwegs verkehrten wie gedacht, waren sie schon mal überfüllt. Das Neun-Euro-Ticket, gültig von Anfang Juni bis Ende August, machte zwar den Traum wahr vom Regionalverkehr für alle, über sämtliche Tarifzonen hinweg.

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Doch was der Bund als Entlastung für Pendlerinnen und Pendler gedacht hatte, entpuppte sich auch als Belastung. Gerade auf den Ausflugsstrecken herrschte an den Wochenenden manchmal so großer Andrang, dass Fahrgäste am Bahnsteig zurückbleiben mussten. Das wiederum führte zu neuem Frust - den immer wieder Zugbegleiterinnen und Schaffner abbekamen. Dabei hatten die schon genug zu tun, die Corona-bedingten Maskenvorgaben zu kontrollieren. Oder die Polizei zu rufen, wenn deshalb die Fäuste flogen.

Ermittlungen zur Unfallursache gehen weiter

Die Maskenpflicht im bayerischen Nahverkehr ist inzwischen Geschichte. Die übrigen Probleme bleiben. Branchenvertreter verweisen darauf, dass über Jahre zu wenig Geld in die Schiene geflossen seien. Nun stauten sich die Pläne und der Investitionsbedarf, bei der Sanierung alter Strecken genauso wie beim Bau neuer. Doch wer dafür am Ende wie viel zahlt, sorgt seit jeher für Streit zwischen Bund und Ländern.

Immerhin, für Bayern gibt es seit diesem Dezember eine Art Konzept: Die "ÖPNV-Strategie" der Staatsregierung beschreibt aber weniger den Fahrplan in bessere Zeiten als vielmehr die Baustellen auf dem Weg dorthin. Unter anderem mehr Fahrzeuge, bessere Taktungen, neue Tarife und leistungsfähigere Strecken sollen dem Nahverkehr bis 2030 doppelt so viele Fahrgäste bescheren. Was sich davon tatsächlich umsetzen lässt, wird auch davon abhängen, wie viel Geld nach Pandemie und Energiekrise übrig ist.

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Das Risiko ist also groß, dass erst einmal vieles so bleibt, wie es ist. Und schnell geht auf der Schiene ohnehin wenig hierzulande. Als beispielhaft hierfür dürfen die Gleise Richtung Tschechien gelten: An einen besseren Bahnanschluss hinüber ins Nachbarland wird schon seit den 1990er-Jahren gedacht, nur fertig ist man damit auf bayerischer Seite noch nicht. Auch die Planungen zum vor Jahren beschlossenen Nordzulauf des Brenner-Basistunnels dürften sich noch eine Weile hinziehen. Zu sehr verhärtet sind hier die Fronten zwischen der Deutschen Bahn auf der einen Seite und den Anwohnern auf der anderen, als dass ein baldiger Spatenstich realistisch erscheint.

Geduld werden Bayerns Bahnreisende also noch lange mitbringen müssen. Auch im neuen Jahr. Konkret geplant sind Bauarbeiten auf der Strecke Nürnberg - Würzburg, der Abschnitt von Rottendorf nach Fürth soll für Oberleitungsarbeiten über Monate gesperrt werden. Weitere Einschränkungen warten zwischen Bamberg und Forchheim sowie natürlich im Werdenfelser Netz.

Und auch die Ermittlungen zum Zugunglück in Burgrain werden weitergehen. Denn Probleme an den Schienen und Schwellen gelten zwar als wahrscheinlichste Unfallursache - offiziell ermittelt ist diese aber noch nicht. Was an jenem Junitag fünf Menschen das Leben kostete, ist nach wie vor offen.

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