Mehr als 50 Kilometer strömt die Salzach ungehindert Richtung Norden, ehe sie kurz nach Burghausen in den Inn mündet. Sie gilt als letzter Voralpenfluss in Bayern, der auf längerer Strecke frei dahinfließen kann. Doch der Freiheit sind enge Grenzen gesetzt: Weil die Salzach seit dem 19. Jahrhundert Bayern von Österreich trennt und beide Staaten keine mäandernde Grenze mit Kiesbänken im Niemandsland haben wollten, wurde das Flussbett begradigt, auf eine Breite von 60 Wiener Klaftern oder 114 Metern festgelegt und entsprechend befestigt. Der Fluss gräbt sich in diese Rinne immer tiefer ein, weshalb es beiderseits der Grenze längst darum geht, einen Durchbruch seines Betts nach unten zu verhindern und die Ufer wieder aufzuweiten.
Die bayerische Staatsregierung würde bei dieser Gelegenheit nur zu gern neue Wasserkraftwerke bauen, womit das freie Fließen dann auch der Länge nach ein Ende hätte. Doch nun ist ein amtliches Gutachten zu dem Schluss gelangt, dass sich die Salzach auch ohne großen Eingriff sanieren lässt. Auf den Tisch legen will die Studie vorerst niemand.
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Aktuell ist es vor allem Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der angesichts des Ukraine-Kriegs vom Ausbau der Wasserkraft an der Salzach spricht - zuletzt nach der Kabinettssitzung Mitte Mai, als es um Bayerns "Heimatenergie" ging. Das Umweltministerium habe landesweit 30 potenzielle Standorte an vorhandenen Querbauwerken ermittelt, hieß es damals. Ziel sei es, ein Potenzial von rund 160 Gigawattstunden Stromproduktion jährlich zu erschließen. Zum Vergleich: Allein die laufende Erneuerung des Innkraftwerks bei Töging bringt 140 Gigawattstunden zusätzlich, seine dann 700 Gigawattstunden im Jahr sollen für 200 000 Haushalte reichen.
Doch an der Salzach gibt es Querbauwerke nur am Oberlauf, wo die Österreicher längst zahlreiche Kraftwerke gebaut haben. Diese sind der Hauptgrund dafür, dass am Unterlauf das natürliche Geschiebe aus Schotter und Kies fehlt. Auch darum fräst sich der Fluss dort immer tiefer ein. Dem ließe sich laut einer Studie von 2014 unter anderem mit weiteren Querbauten begegnen - und solche Querbauten will die Staatsregierung schon länger prinzipiell für die Wasserkraft nutzen.
Bis zu drei Kraftwerke mit einer Gesamtproduktion von 100 Gigawattstunden pro Jahr hatte der österreichische Verbund vorgeschlagen, der auch die deutsch-österreichischen Grenzkraftwerke am Inn betreibt. 2019 kamen beide Länder aber überein, dass "aus flussbaulichen Gesichtspunkten aktuell nur ein Querbauwerk unterhalb der Laufener Enge erforderlich ist", wie ein Sprecher des bayerischen Umweltministeriums mitteilte und betonte: "Neue Querbauwerke nur aus Gründen der Wasserkraft wird es nicht geben."
Doch eine neue, von beiden Ländern bestellte Geschiebestudie hat nach SZ-Informationen nun ergeben, dass aus flussbaulichen Gesichtspunkten gar kein Querbauwerk mehr nötig ist. Demnach bringt die Salzach mehr Geschiebe mit als angenommen. Dieses Geschiebe würde laut der Studie zum Stabilisieren des Flussbetts reichen, wenn sich die Salzach selbst zusätzliches Material von ihren Ufern holen könnte. Dazu ließ das zuständige Wasserwirtschaftsamt Traunstein die befestigten Flussufer südlich von Laufen schon vor einigen Jahren aufbrechen und lässt dies mit den Behörden in Oberösterreich seit einigen Monaten auch nördlich von Tittmoning tun. Dann könnte der Fluss auch stellenweise wieder einen naturnahen, Hochwasser abpuffernden Auwald schaffen.
Dieses Ergebnis passt zwar zu den Ideen der "Aktionsgemeinschaft Lebensraum Salzach" aus mehreren Naturschutzorganisationen, die sich seit Jahrzehnten gegen alle Kraftwerkspläne stemmen. Umso weniger passt es zur "Heimatenergie"-Strategie der Staatsregierung und der jüngsten Ansage Söders. Das von FW-Chef Hubert Aiwanger geführte Wirtschaftsministerium verweist bei dem Thema auf das Umweltministerium von Aiwangers Parteifreund Thorsten Glauber. Dort heißt es, vor weiteren Entscheidungen seien "die aktuell laufenden energiepolitischen Diskussionen auf EU- und Bundesebene abzuwarten" , die abschließende Bewertung erfolge "durch das dafür zuständige Bayerische Wirtschaftsministerium".
Der Bund Naturschutz ist Teil der "Aktionsgemeinschaft Lebensraum Salzach" und seiner abschließenden Bewertung schon sehr nahe. Söders Pläne seien "aus unserer Sicht unverständlich", sagt der BN-Vorsitzende Richard Mergner, denn sie widersprächen allen europarechtlichen Naturschutzbestimmungen. Auch dass das Umweltministerium die fertige Geschiebeuntersuchung nicht öffentlich macht, "halten wir für politisches Manövrieren". Denn die Studie kommt auch nach den Informationen des BN zum Ergebnis, dass keine Querverbauung nötig ist.