Wintergatter am Spitzingsee:Warum werden die Rothirsche gefüttert?

Wintergatter am Spitzingsee: Zwischen 50 und 60 Rothirsche werden täglich einmal im Wintergatter am Spitzingsee gefüttert.

Zwischen 50 und 60 Rothirsche werden täglich einmal im Wintergatter am Spitzingsee gefüttert.

(Foto: Engelbert Holzner)

Dass die Tiere in der Valepp in den Wintermonaten Nahrung bekommen, sorgt für viel Kritik. Dabei hat der Mensch die umstrittene Praxis mitverschuldet, sagt der Revierjäger.

Von Nina Böckmann, Spitzingsee

Dicke Nebelschwaden ziehen an diesem Freitagmorgen durch das Tal der Valepp, als Revierjäger Engelbert Holzner vor einem metallenen Gatter wartet. Hinter dem Gatter führt eine Schotterpiste den Hang hinauf, links und rechts stehen hohe dunkle Nadelbäume. Es ist der Weg zum sogenannten Wintergatter am Spitzingsee, einer umzäunten Fläche von 25 Hektar mitten im Wald. Ab kurz vor Weihnachten werden an dieser Stelle zwischen 50 bis 60 Rothirsche einmal täglich gefüttert. "Diese Futterstelle ist eine von insgesamt zehn Stück, die wir hier auf dem Gebiet des Forstbetriebs Schliersee unterhalten", erklärt Stephan Breit auf dem Weg hinauf zum Futterplatz. Der stellvertretende Leiter des Forstbetriebs zählt das Pro und Contra der zwei verschiedenen Fütterungsvarianten auf. Denn außer den umzäunten Futterstellen gibt es auch solche ohne Zäune. Die Gatter bieten mehr Garantie, den Forst schützen zu können, sagt Breit. "Die Freifütterungen hingegen bieten dem Wild mehr Platz umherzuziehen." Der 2,40 Meter hohe Zaun sei eine Barriere, "aber wenn ein Hirsch ihn überwinden will, dann schafft der das auch", ergänzt Holzner lachend.

Die Fütterungen sind nicht unumstritten. Gegner des Konzepts bemängeln den Eingriff in die natürliche Lebensweise der Tiere. "Was wir so auf jeden Fall aushebeln, ist bei einigen Tieren der natürliche Tod durch Unterernährung", schildert Revierjäger Holzner. Doch das Problem ist deutlich komplexer. In die Not, die Tiere über den Winter füttern zu müssen, komme man tatsächlich vor allem aufgrund der intensiven Nutzung des Gebietes. "Sie haben hier Mountainbiker, Wanderer, Skitourenläuferinnen auf der einen Seite, Straße und Siedlungsgebiete auf der anderen Seite. Das alles verhindert, dass das Rotwild in den harten Wintermonaten - wie es natürlicherweise der Fall wäre - ins Tal kommen kann, um dort zu fressen", erklärt Holzner. Stattdessen würden sich die Tiere in den Wald zurückziehen und dort das fressen, was ihnen in den kargen Zeiten zur Verfügung stehe: junge Triebe und Baumrinde. Dies ruft eine weitere Konfliktpartei auf den Plan. Denn die Schäden an den Bäumen, die durch den Verbiss und das Schälen entstehen, bedeuten finanzielle Verluste für die Waldbauern.

Rotwildfütterung in Bayern

Revierjäger Engelbert Holzner ist auch verantwortlich für das Futterlager.

(Foto: Nina Böckmann)

Logistisch stellen die Fütterungen einen immensen Aufwand dar, denn das Rotwild bringt großen Hunger mit. An die 17,5 Tonnen verfüttert Jäger Holzner allein am Spitzingsee-Wintergatter. "Die Ernährung der Tiere ist nicht ganz unkompliziert. Wir müssen zur richtigen Zeit den richtigen Energiebedarf abdecken", schildert Holzner. Aktuell seien die Tiere dabei, Fettreserven für den Winter anzulegen. "Ab der Wintersonnenwende stellt sich dann aber der Stoffwechsel um und die Tiere sind im Energiesparmodus. Das müssen wir auch mit dem richtigen Futter begleiten." Neben Heu und Grassilage verfüttert man daher auch mit Kraftfutter versetzte Silage. Seit einiger Zeit kommt das Futter von einem Landwirt am Schliersee. "Das ist auch deshalb wichtig, weil das Rotwild die Pflanzen kennt, die es mit der Silage bekommt. Kommt das Futter von weiter weg, kann es sein, dass es Pflanzen enthält, die es hier nicht gibt. Das Rotwild ist da sehr vorsichtig und frisst im Zweifelsfall nur, was es kennt", sagt Holzner.

Ein Problem für die winterlichen Fütterungen: Störung durch den Menschen ist ein großer Stressfaktor für die scheuen Tiere. Gar nicht gerne sieht Jäger Holzner daher, wenn jemand einfach durch das Gattergelände stapft. "Mithilfe von Rangern der Unteren Naturschutzbehörde versuchen wir, die Situation zu kontrollieren. Aber klar gehe auch ich hinterher, wenn ich bei meiner Runde frische Spuren im Schnee entdecke." Mittlerweile gibt es für die Stressminimierung auch gesetzliche Rückendeckung. Das Waldgebiet, in dem sich die Gatter befinden, gilt während der Fütterungszeit zwischen Dezember und Mitte Mai als temporäres Wildschutzgebiet. "Wer sich dennoch hineinbegibt, kann mit einer Geldstrafe belegt werden", erklärt Stephan Breit.

Aber nicht immer nur Verbote zu schaffen, das ist Revierjäger Holzner wichtig. Unter anderem deshalb unterhält man im Forstbetrieb Schliersee die Schaufütterung im Winter: Um den Menschen etwas mehr Nähe zu den Bewohnerinnen des Waldes zu vermitteln, für Verständnis zu sorgen und um Fragen zu beantworten. Wer die scheuen Tiere aus der Nähe sehen will, wird gegen 15.30 Uhr vom Revierjäger am Tor unterhalb der Futterstelle abgeholt. Während sich dann die Besucherinnen und Besucher im Schuppen oberhalb der Fütterungsstelle setzen, legt Holzner das Futter aus. Anschließend kehrt er zurück und mit Einsetzen der Dämmerung ist Zeit für allerlei Fragen rund um das Rotwild - natürlich möglichst leise. "Da sind manchmal schon Fragen dabei, bei denen wundert man sich doch sehr. Die Leute sind sehr entfremdet von der Natur. Umso besser ist es, wenn man ihnen möglichst früh gewisse Zusammenhänge verständlich macht", sagt Holzner.

Die Fütterungen am Spitzingsee finden ab kurz vor Weihnachten bis zu den Faschingsferien statt. In der Ferienzeit täglich, außerhalb der Ferien von Donnerstag bis Sonntag. Auch in Vorderriss und nahe Oberammergau finden Schaufütterungen statt.

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