Bayerns Verfassungsschutzbericht 2021:"Hass und Hetze hatten ein bislang nicht gekanntes Ausmaß erreicht"

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Die Corona-Proteste waren laut Innenminister Herrmann "ein idealer Anknüpfungspunkt" für Reichsbürger. Auch die Zahl der Straftaten ist 2021 gestiegen.

(Foto: imago images/aal.photo)

Das Milieu der sogenannten Reichsbürger ist in Bayern weiter gewachsen. Allgemein war der Einfluss von Extremisten auf die Corona-Proteste laut dem neuen Verfassungsschutzbericht aber geringer als befürchtet.

Von Johann Osel

Die Zahl der sogenannten Reichsbürger in Bayern hat laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) einen "traurigen Höchststand" erreicht. Vergangenes Jahr rechnete das Landesamt für Verfassungsschutz der Szene 4605 Anhänger zu; 450 gelten als "harter Kern". Gestiegen ist auch die Zahl der Straftaten, von 243 auf 425.

Das zeigt der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021, den der Minister am Montag vorgestellt hat. Die Corona-Proteste und deren "teilweise Staatsfeindlichkeit" waren demnach "ein idealer Anknüpfungspunkt" für Reichsbürger: "Sowohl im virtuellen als auch im realen Raum ist es der Szene gelungen, Anhänger der Corona-Proteste zu gewinnen."

Reichsbürger leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, in ihrer "kruden Theorie", so Herrmann, sähen sie Staatsbedienstete und Politiker als "Erfüllungsgehilfen" einer Verschwörung - und träten zunehmend aggressiv auf. Zum Phänomen gehören auch "Selbstverwalter", die ihr eigenes Grundstück als souveränes Staatsgebiet mit eigenem Gesetz definieren.

Unter den Straftaten finden sich schwerpunktmäßig Erpressung, Drohung und Nötigung, oft gegen Beamte. "Die Entwaffnung der Szene treiben wir weiter voran", sagte der Minister. Seit dem Mord an einem Polizisten durch einen Reichsbürger 2016 in Georgensgmünd gehen die Behörden massiv gegen die Szene vor. Seitdem wurden in insgesamt 460 Fällen Waffenscheine entzogen.

Der allgemeine Einfluss von Extremisten auf die Corona-Proteste in Bayern war laut Minister aber geringer als befürchtet: "Lediglich bei 207 von rund 3000 Protesten gegen staatliche Pandemie-Maßnahmen haben die Verfassungsschützer Personen mit extremistischen Bezügen festgestellt. Und: Die Mehrzahl der Protestbewegungen ist friedlich verlaufen." Es sei aber alarmierend, wenn es unter Ausnutzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu Ausschreitungen komme.

Gerade die Debatte über die Impfpflicht habe Hemmungen abgebaut. "Hass und Hetze hatten vergangenes Jahr ein bislang nicht gekanntes Ausmaß erreicht - im Netz, auf der Straße bis hinein ins private Umfeld", so Herrmann. "Zwar flauen derzeit die Diskussionen um die Pandemie etwas ab. Die Szene wird sich aber möglicherweise neue Themen suchen."

Rechtsextreme suchen Anschluss ans bürgerliche Spektrum

Auch das rechtsextremistische Milieu versuchte, die Corona-Proteste für seine Zwecke zu nutzen und oft unter "gezielter Verschleierungstaktik" Anschluss ans bürgerliche Spektrum zu finden. Das sei jedoch überwiegend nicht gelungen, trotz Präsenz etwa von Neonazis bei Demos.

Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten sei zwar auf 1750 gesunken (Vorjahr: 2455), von einer Trendumkehr geht der Minister aber nicht aus. Das Personenpotenzial der Szene in Bayern liege bei 2700 Rechtsextremen. Aus der AfD wird deren Parteinachwuchs "Junge Alternative" mit 100 Personen aufgeführt. Beim völkischen "Flügel", eigentlich vom Verfassungsschutz beobachtet, ist im Bericht keine Zahl mehr genannt - unter Verweis auf die offizielle Auflösung der innerparteilichen Strömung. 2021 seien keine "Nachfolgeaktivitäten" bekannt geworden.

Sorge bereitet dem Minister die Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene. Diese habe besonders die kritische Infrastruktur als Anschlagsziel entdeckt, Sabotageakte zeigten immer größere Skrupellosigkeit. Derzeit werde versucht, über den Klimaschutz gesellschaftliche Proteste zu radikalisieren - mit der Forderung, "das kapitalistische System zu Fall zu bringen". Für den G7-Gipfel im Juni in Elmau seien Aktivitäten zu erwarten - mit der Taktik, "im Schatten bürgerlicher Proteste an Einfluss zu gewinnen".

Herrmann warnte ferner davor, den Islamismus aus dem Blick zu verlieren. Diese Szene versuche nach wie vor, Präsenz zu zeigen, auch mit Einzeltäter-Anschlägen an beliebigen Orten, "nahezu aus dem Nichts". Zu nennen sei der Messerangriff eines Syrers in einem ICE bei Regensburg im November, dessen Motiv sich später als wohl islamistisch herausstellte. Angesichts des Ukraine-Kriegs warnte Herrmann zudem vor Cyber-Attacken auf bayerische Behörden und Unternehmen sowie aus Russland gesteuerte Falschmeldungen. Man habe die Kapazitäten diesbezüglich erhöht.

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